Traumatische Arbeit für das Silicon Valley

Bild: © gebrueder beetz filmproduktion

Der Dokumentarfilm "The Cleaners" über Reinigungskräfte in den sozialen Medien: Wie man ethische Grundsätze anhand der Videoaufnahmen von Saddam Husseins Exekution erklärt

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"Ich habe Hunderte von Enthauptungen gesehen", berichtet die philippinische Frau. Ihr Bildschirm zeigt das Bild eines toten Mannes im orangefarbenen Overall. Im besten Fall würden die Mörder eine lange, scharfe Klinge benutzen, erzählt sie. Oft sei das Werkzeug des Henkers aber nur ein stumpfes Küchenmesser. Das Bild auf ihrem Monitor zeugt von einer Hinrichtung mit einem solchen Messer, sie könne das anhand des ausgefranstes Schnittmusters am Hals erkennen.

Die Frau, deren Namen wir nicht erfahren, ist Content-Moderatorin. Eine von insgesamt fünf, die das Regie-Duo Hans Block und Moritz Riesewieck für "The Cleaners" in der philippinischen Hauptstadt Manila interviewt hat. Dort sichten sie all das, was nach den Vorgaben der Silicon-Valley-Riesen Google, Facebook, Twitter und Co. nicht verbreitet werden darf.

Der Arbeitsvorgang ist dabei denkbar einfach: Sobald ein Bild oder Video auf dem Bildschirm des jeweiligen Moderators erscheint, hat er die Wahl zwischen "delete" und "ignore". Wird ein Video nicht in voller Länge angesehen, entgeht das auch den Vorgesetzten nicht. Wer mehr als drei Mal im Monat solche "Fehler" begeht, wird gekündigt - allerdings nicht direkt aus dem Silicon Valley, weil offiziell keiner der Content-Moderatoren aus Manila für einen der kalifornischen Internetriesen arbeitet. Die Zensur ist komplett ausgelagert und mit ihr die traumatische Arbeit von Sichtung und Beurteilung.

Was genau zensiert wird

Was genau zensiert wird, entscheiden allerdings die Großunternehmen selbst. Nicole Wong, ehemalige Policy Managerin bei Twitter und Google, erklärt einen der ethischen Grundsätze anhand der Videoaufnahmen von Saddam Husseins Exekution. Man habe damals entschieden, das Video der Hinrichtung als historisch relevantes Dokument zu bewerten und entsprechend nicht zu löschen, wohingegen weitere Aufnahmen vom Leichnam des Diktators entfernt wurden, weil sie diesen Anspruch nicht erfüllten.

Traumatische Arbeit für das Silicon Valley (5 Bilder)

Bild: © gebrueder beetz filmproduktion

Direkt im Anschluss demonstriert der Film an einem anderen historisch bedeutsamen Bild, wie schnell dieser scheinbar so eindeutige Grundsatz von den eigenen Richtlinien ausgehebelt wird: Eine Content-Moderatorin betrachtet Nick Úts weltberühmtes Vietnamkriegs-Foto, auf dem eine Gruppe einheimischer Kinder weinend vor einer Napalm-Rauchwolke davonläuft. "Delete" lautet die eindeutige Entscheidung der Moderatorin, schließlich sei eines der Kinder nackt und damit ein klarer Verstoß gegen die Regularien gegeben.

Die Gestaltlosigkeit einer digitalen Müllkippe

Der neuralgische Punkt ist letztlich nicht die Frage was und wie zu zensieren ist, sondern die Zensur selbst. So werden Inhalte in Ländern, die keine Meinungsfreiheit zulassen, nicht gelöscht - das verstieße schließlich gegen die Grundsätze des Zuckerbergschen Liberalismus -, sondern blockiert.

Was zu sehen ist, bestimmt in der Regel die jeweilige Landesregierung, deren Anweisungen Facebook und Co. technisch umsetzen. So kann etwa die Regierung Erdogan Oppositionelle und Andersdenkende auch in den sozialen Netzwerken zum Schweigen bringen. Laut Yaman Akdeniz, Rechtsprofessor an der Bilgi Universität in Istanbul, ist die Türkei so zum Land mit den weltweit meisten Content-Sperrungen aufgestiegen. Soziale Netzwerke fördern längst nicht mehr das Recht auf eigene Meinung, sondern das Recht auf eine eigene Realität.

"The Cleaners" arbeitet eine Vielzahl von Teilaspekten der Zensur und Moderation sozialer Netzwerke ab, ohne dabei ein pointiertes Gesamtbild anzustreben. Viele der Fragmente, die Block und Riesewieck hier zusammentragen, stehen schlicht nebeneinander. Das scheint dem Sujet durchaus angemessen und doch vermisst man in "The Cleaners" eine inhaltliche Zuspitzung ebenso wie eine filmische.

Die Themenabzweigungen fliegen wie die Animationen generisch bunter Datenströmen aneinander vorbei, ohne sich zu einem klaren Bild oder zu produktiven Widersprüchen zu verdichten.

Aber vielleicht - zumindest suggeriert es der Film immer dort, wo er sich auf seine Protagonisten konzentriert - braucht es nur eine Perspektive, um den gewaltigen Themenkomplex zusammenzuhalten: den Blick der Content-Moderatoren. Die kurze Momente, in denen die Philippinos scheinbar ins Leere blicken, geben ein besseres Gegenbild zum Mythos der Technik als neutrales Werkzeug ab, als die erratischen Abzweigungen in verschiedene Nutzungsformen der sozialen Medien.

Wer in das Gesicht der philippinischen Angestellten blickt, versteht, dass keiner von ihnen ohne ein Trauma aus dieser Arbeit ausscheiden wird. Jeder von ihnen wird tausende Schreckensbilder sehen und vergessen, bis er auf das eine stößt, das ihn für immer begleiten wird. Warum viele den Job trotzdem nicht aufgeben, erklärt eine der jüngeren Angestellten.

Sie habe schlichtweg Angst wie eine der vielen Armen von Manila zu enden, die, um zu überleben, täglich die Müllberge der Stadt durchforsten müssen. Doch wer wenn nicht die Content-Moderatoren Manilas sind die Müllsammler des Silicon Valley.