Polen: Russisch-chinesischer Spion oder politischer Aktivist?

Piskorski im Gefängnis. Screenshot von einem YouTube-Video von Zmiana

Keine Aufklärung im Fall Piskorski. Der Gründer der Partei Zmiana befindet sich schon seit 2 Jahren in Untersuchungshaft

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Russisch-chinesischer Spion oder politischer Häftling der nationalkonservativen Regierung in Warschau? Obgleich Mateusz Piskorski schon seit zwei Jahren in Untersuchungshaft in Warschau sitzt, ist erst Ende April diesen Jahres eine Anklageschrift von der Generalstaatsanwaltschaft gegen den vierzigjährigen Gründer der Partei "Zmiana" (Veränderung) veröffentlicht worden. Am Dienstag wurde die Untersuchungshaft vor dem Berufungsgericht um sechs Monate auf Antrag des Bezirksgerichts verlängert

Die polnische Generalstaatsanwaltschaft will Dokumente besitzen, die eine Spionagetätigkeit Piskorskis für Russland und China belegen. Ein Teil der Dokumente unterliegt den Auflagen von "Ermittlungsgeheimnissen", ein weiterer Teil denen des strengeren "Staatsgeheimnisses". Die Menschenrechtskommission der UNO, bezeichnet die Haft als "willkürlich"

Sicher ist, das Piskorski als Aktivist für den Kreml tätig war. Anfang 2015 gründete er die Partei "Zmiana" (Veränderung) mit vielen anderen ehemaligen Mitgliedern der Partei "Samoobrona" (Selbstverteidigung), die in den Nuller Jahren erfolgreich die Unzufriedenen des polnischen Kapitalismus sammelte (Putin-Aktivist will Partei gründen).

Der Politologe gehört schon lange zu einem NATO-Kritischen Netzwerk, das in Europa wirkt, hierzu gehören auch Kontakte zur AfD und den Linken. In mehreren Ländern war er als Wahlbeobachter unterwegs, darunter auch auf der Krim.

"Zmiana", zu der auch Mitarbeiter des russischen internationalen Nachrichtenportals "Sputnik" gehören, kritisiert vor allem die Unterstützung Warschaus der Ukraine. Warschau gilt trotz Differenzen weiterhin als Anwalt von Kiew im Westen.

"Er ist in Haft, da er mit russischer Hilfe in die Ukraine-Politik Polens eingegriffen hatte", so Nabil Al Malazi, der stellvertretende Vorsitzende der Partei, der mit einigen seiner Getreuen am Dienstag vor dem Berufungsgericht ausharrte. Der Syrer, ein pensionierter Bauingenieur, der schon seit über 40 Jahren in Polen lebt, trug wie viele Mitstreiter ein "Free-Piskorski-Button" am Anzug. Er sieht den Einfluss ukrainischer und amerikanischer Geheimdienste hier am Werke.

Ursprünglich wollte Piskorski mit internationalen Unterstützern Protestaktionen gegen den NATO-Gipfel im Juli 2016 in Warschau starten, der Inlandgeheimdienst ABW machte ihm dann am 18. Mai 2016 mit einer Verhaftung auf der Straße einen Strich durch die Rechnung.

Nach Angaben des Anwalts Pawel Osik lässt sich noch nicht absehen, wann der Prozess gegen Piskorski beginnt, theoretisch könne das jetzt zuständige Bezirksgericht eine weitere Haftverlängerung beantragen. Zuvor beantragte die Staatsanwaltschaft die Haftverlängerung, dies ist nach zwei Jahren Einsitzen nicht mehr möglich. Wie die Beweisunterlagen ist auch die Argumentation für die Urteilsverkündung geheim, der Prozess fand ohne den Angeklagten und unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Der Vorwurf "Spionage" ist nach polnischem Recht recht unscharf formuliert. Man kann auch darunter das Agitieren für einen anderen Staat im Auftrag eines fremden Dienstes verstehen. Am Donnerstag meldete die Gazeta Wyborcza, dass der ABW eine Russin unter diesem Vorwurf fest genommen hat. Wegen "antipolnischer Hybridaktivitäten" und dem Versuch, "ukrainisch-polnische Animositäten" zu schüren (parallel dazu in der Ukraine: Ukraine wirft Leiter von Ria Novosti Ukraine "Landesverrat" vor).

Das UNO-Schreiben, das Ende April erstellt wurde, sieht durch Piskorkis Aktivitäten den Vorwurf Spionage nicht gerechtfertigt und verlangte eine sofortige Freilassung sowie eine Entschädigung. Die UNO beschwerte sich auch über das Schweigen der polnischen Stellen bei Nachfragen.

Die Furcht der nationalkonservativen Regierung in Warschau vor einer russischen Infiltration, angesichts der Skandale in Amerika um Kreml-Einflüsse auf das Trump-Umfeld ist verständlich. Allerdings ist die Skepsis gegenüber dem Kreml in Polen weit verbreitet - nach Umfragen Ende 2017 befürworten 92 Prozent der Bevölkerung die NATO-Mitgliedschaft. Polen ist somit das am meisten protransatlantische Land Europas. Doch die Geheimniskrämerei und die andauernde Inhaftierung geben den wenigen Anhängern von Piskorski die Vorlage, Polen als Unrechtsstaat darzustellen.