Da waren es schon drei: V-Leute im Umfeld von Anis Amri

Obleute des Untersuchungsausschusses im Bundestag äußern sich zu aktuellen Meldungen - Hat das BfV das Parlament belogen?

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Zur Meldung, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) habe im Umfeld des späteren mutmaßlichen Attentäters Anis Amri, eine eigene nachrichtendienstliche Quelle gehabt (siehe Welt vom 17.5.2018), äußerten sich am Donnerstag mehrere Obleute des Amri-Untersuchungsausschusses im Bundestag. Danach kann man davon ausgehen, dass es diese Quelle tatsächlich gab. Aber auch, dass das im Parlamentarischen Kontrollgremium, das in geheimen Sitzungen die Belange der Geheimdienste kontrollieren soll, seit über einem Jahr bekannt ist.

Die jetzt bekannt gewordene V-Person hatte das BfV in der Fussilet-Moschee in Berlin platziert, wo Amri, der den LKW-Anschlag auf dem Breitscheidplatz begangen haben soll, ein- und ausging. Damit hat sich die Zahl der Spitzel mit Kontakt zu dem Tunesier auf drei erhöht. Schon länger bekannt ist die V-Person "Murat", genannt "VP 01", des Landeskriminalamtes von Nordrhein-Westfalen, die Amri mindestens einmal sogar im Auto nach Berlin gefahren hatte. Die zweite V-Person wurde von einer Berliner Behörde, mutmaßlich dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV), ebenfalls im Umfeld der Fussilet-Moschee geführt. Die dritte kam nun also vom BfV.

Vor der Ausschuss-Sitzung, in der Sachverständige zur Frage der bundesdeutschen Sicherheitsarchitektur gehört wurden, darunter der frühere langjährige BfV-Präsident Heinz Fromm, stellten sich Obleute von Grünen, FDP und Linken, sowie der Ausschussvorsitzende den Fragen von Journalisten.

Konstantin von Notz (Grüne): "Es scheint entgegen den bisherigen Aussagen in Innenausschuss-Sitzungen eben doch eine Quelle des BfV im Umfeld von Amri gegeben zu haben. Das wirft Fragen auf. Offenbar gibt es doch eine ganze Reihe von Quellen. Die Erzählung der Bundesregierung der ersten Tage nach dem Anschlag, dass es sich bei Anis Amri um einen Kleinkriminellen handelte, den man nicht auf dem Zettel hatte, diese Geschichte stimmt vorne und hinten nicht." Frage: "Wissen Sie, ob das Parlamentarische Kontrollgremium [PKGr] von der Quelle wusste?"

Von Notz: "Ich war in der letzten Legislaturperiode nicht Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums, bin das jetzt, ich darf über Vorgänge im PKGr bei gesetzlichem Verbot nicht in der Öffentlichkeit reden. Das ist ein Dilemma. Trotzdem lohnt es, in den öffentlichen Bericht des PKGr zu Amri zu gucken, um eine Grundidee zu bekommen. Es wird nicht alle Fragen beantworten, aber eine Grundidee bekommt man."

Benjamin Strasser (FDP): "Mich empört das auch, was gestern durch die Medien kam. Und es stellt sich schon die Frage nach dem Vorgehen des BfV, wenn Herr Maaßen uns eineinhalb Jahre erzählt, der Fall Amri sei ein reiner Polizei-Fall gewesen und jetzt wird enttarnt - vermeintlich -, dass sich eben auch Quellen im Bereich der Fussilet-Moschee bewegt haben vor dem Anschlag. Die Zeit des Herausredens ist jetzt vorbei. Wir wollen wissen, was wussten die Nachrichtendienste, was wusste das Bundesamt für Verfassungsschutz? Manches kommt einem natürlich aus dem NSU bekannt vor, was die V-Mann-Praxis des BfV angeht. Klar sein muss, nicht die Bundesregierung kontrolliert das Parlament, sondern das Parlament die Regierung und die Geheimdienste."

Martina Renner (Linke): "Wir haben die Presseberichterstattung zu einem mutmaßlichen Quellen-Einsatz im Umfeld von Amri zum Anlass genommen, die Protokolle des Innenausschusses anzusehen und können an vielen Stellen durchaus klar formulieren, dass wir dort wenigstens unzureichend, wenn nicht gar falsch informiert wurden.

Und das zweite ist ja tatsächlich eine entscheidende Stelle: Hatte der Inlandsgeheimdienst möglicherweise schon vor dem Anschlag über seine Quellen Kenntnis von dem Vorhaben Anis Amris, von seiner Einbindung in Netzwerke, von der Beschaffung von Tatmitteln und ähnlichem? Wir können derzeit nicht sagen, wie viele Quellen im Einsatz waren, was die Zeiträume angeht, in denen die Quellen tätig waren oder sind, oder auch zu den Ergebnissen, die der Quellen-Einsatz gezeitigt hat. Das ist eine zentrale Fragestellung."

Armin Schuster, Ausschussvorsitzender (CDU):

Frage: "Herr Schuster, heute haben wir die Nachricht bekommen, dass das BfV eine Quelle in der Fussilet-Moschee hatte, in der Amri verkehrt ist. Seit wann wissen Sie denn davon?"

Schuster: "Das Ihnen zu sagen, erlaubt mir das Gesetz über das Parlamentarische Kontrollgremium nicht. Ich empfehle Ihnen, den Bericht zu lesen, den viele nicht ernst nehmen, weil er ja öffentlich ist. Wir haben zwei Berichte gemacht: die übliche geheime Version, die Langversion, und daraus extrahiert einen öffentlichen Bericht, immerhin 30 Seiten. Und Sie werden auf Seite 12 Ihre Frage beantwortet finden."

Frage: "Der Bericht ist ein Jahr alt von Mai 2017. Kann man davon ausgehen, dass so lange bekannt ist, dass das BfV diese Quelle hatte?"

Schuster: "Wenn Sie diese Seite 12 lesen, wissen Sie, was wir wussten."

Frage: "Sie hatten bisher keine Möglichkeit, diesen Befund zu kommunizieren?"

Schuster: "Sie unterstellen jetzt in Ihrer Frage, dass es eine Beziehung gibt zwischen dem, was Sie heute in der Zeitung gelesen haben und Amri. Das muss ich nicht bestätigen. Ihre Unterstellungen müssen nicht richtig sein."

Frage: "Wissen Sie, ob sie richtig sind?"

Schuster: "Ich weiß es."

Die Ausführungen zum Bundesamt für Verfassungsschutz im öffentlichen Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums, von denen die Abgeordneten von Notz und Schuster sprechen, finden sich unter der Überschrift "Kenntnislage und Tätigwerden des BfV" nicht auf Seite 12, sondern auf Seite 14. Wörtlich heißt es:

Das BfV befragte im Februar/März 2016 Quellen in Berlin und Nordrhein-Westfalen zu AMRI und seinem Umfeld. Die Befragungen erbrachten keine relevanten Informationen zu AMRI selbst. Erst bei einer Befragung nach dem Anschlag erkannte eine Quelle AMRI. (...)

Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild: Das BfV leitete im Rahmen seiner Zentralstellenfunktion innerhalb des Verfassungsschutzverbundes relevante Informationen vor allem von einzelnen Polizei- und Verfassungsschutzbehörden im Zusammenhang mit AMRI an die zuständigen Verfassungsschutzbehörden der Länder weiter. Das BfV führte eigene nachrichtendienstliche Maßnahmen durch, wertete Informationen von Behörden zu AMRI aus und speicherte relevante Erkenntnisse, glich Informationen ab und führte eine Personenakte zu AMRI.

Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums

Eindeutig ist das nicht. Man kann es aber als Bestätigung lesen, dass das BfV in Berlin mindestens eine Quelle hatte, die über Informationen zu Amri verfügt haben könnte. Vor allem, weil die Abgeordneten speziell auf diese Darlegungen abheben.

Auf jeden Fall ist der Informationsgehalt mehr, als das, was das Maaßen-Amt gegenüber dem Senat von Berlin offengelegt hat. Im Mai 2017 setzte der einen Sonderermittler ein, um das Handeln der Sicherheitsbehörden im Fall Amri aufzuklären. Bruno Jost, Ex-Bundesanwalt im Ruhestand, befragte im Rahmen seiner Nachforschungen auch die Nachrichtendienste. Dabei erhielt er nur negative Auskünfte. Kein Amt, auch das BfV nicht, wollten Informationen zu Amri gehabt haben. In seinem Abschlussbericht liest sich das auf Seite 64 so:

Rolle der Nachrichtendienste: Soweit aus den hier vorliegenden Akten ersichtlich, spielten die deutschen Nachrichtendienste (hier BfV, LfV Berlin und BND) sowohl im Vorfeld des Anschlags vom 19.12.2016 als auch bei der Aufklärung und Aufarbeitung des Verbrechens eine bemerkenswert bedeutungslose Rolle. Dies gab mir Anlass, den Kenntnisstand der jeweiligen Dienste über AMRI zu erfragen. (...) Das BfV hat hierzu auf meine Anfrage vom 10.5.2017 am 17.5.2017 mitgeteilt, es habe vor dem Anschlag keine eigenen Informationen zu AMRI besessen und auch keine eigene Informationsbeschaffung zu AMRI betrieben.

Abschlussbericht

Bei der Vorstellung seines Berichtes im Abgeordnetenhaus in Berlin fügte der Sonderermittler an dieser Stelle noch mündlich an: "Das mag man..., ja, man muss es wohl so zur Kenntnis nehmen." Jetzt weiß man, das Maaßen-Amt hat den Sonderermittler falsch informiert. Augenscheinlich hat der Nachrichtendienst getan, was Nachrichtendienste zu tun haben, und gleich zwei Parlamente getäuscht.