"Suche Frieden" und finde die staatstreue Christenlehre

Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung des 101. Katholikentags in Münster; Bild: Christian Pulfrich / CC BY-SA 4.0

Der Katholikentag in Münster zeigt erneut, dass von den Großkirchen ein Widerspruch gegen die Militarisierung der deutschen Politik nicht zu erwarten ist

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Zu Recht wird der Katholikentag 2018 mit dem Motto "Suche Frieden …" und ca. 90.000 Teilnehmenden in Medien und kirchlichen Gremien als ein erstaunlicher Erfolg bewertet. Der Katholik Horst Seehofer, der in Opposition zum Papst eine rechtspopulistische Flüchtlingspolitik etablieren will, kam trotz Zusage allerdings nicht nach Westfalen. Seine "Anreise"-Probleme wurden mehrheitlich als Angst vor Buhrufen gedeutet.

Zwei Protagonisten, ZdK-Präsident Thomas Sternberg und Kardinal Reinhard Marx, haben in Münster von dem dort versammelten Kirchenvolk hingegen viel Rückhalt bekommen. Wenn die Beifallskundgebungen und Programmschwerpunkte zählen, wird das Kirchenschiff hierzulande einen offenen Kurs Richtung Ökumene und Synodalität halten.

Für die Herrschaft eines klerikalen Männerbundes unter Ausschluss der Frauen und wahnhafte Projekte der Priesterselbstanbetung in zentralisierten Mega-Gemeinden gibt es keine Akzeptanz mehr.

Trotz des fast flächendeckenden Traditionsabbruchs in katholischen Landschaften kann wohl keine Rede davon sein, dass der Katholizismus als soziales und politisches Phänomen bereits tot wäre. Vielleicht ist das Zeitfenster, in dem eine Transformation der letzten traditionellen Milieus auf Zukunft hin gelingt, doch noch nicht ganz geschlossen?

Ein Urteil in dieser Sache fällt schwer, zumal das Münsterland nicht repräsentativ ist. Auch nach einem durchgreifenden Sprechsprachenwechsel hält sich oft über Jahrzehnte der Eindruck, das alte Idiom wäre nach wie vor sehr lebendig. Der Schein trügt, und das wird dann manchmal wie über Nacht offenbar.

"Keine Kritik der Politik"!?

Möglicherweise wäre ich als katholischer Pazifist zu optimistisch von Münster nach Hause gefahren, wenn mir nicht eine improvisierte Passage in der Abschlusspredigt von Kardinal Reinhard Marx geholfen hätte, mein Unbehagen am Friedensprogramm der Großveranstaltung besser zu verstehen.

Der Vorsitzende der deutschen Bischofkonferenz sprach auf dem Schlossplatz über Jesu Auftrag an seine Jünger und kam zum Kern:

Der Friede, die Liebe, die Versöhnung, das, was von vielen verlacht wird, von denen, die meinen, mit militärischer Macht und mit kühler Überlegung würden wir alleine den Frieden gewinnen. Das alles mag notwendig sein. Ich mach’ keine Kritik der Politik hier - im Gegenteil. (Hervhg. D. A.) Ich bemühe mich immer wieder, dankbar zu sein und bin es auch, für alle, die sich engagieren. Aber wir als Christen wissen auch, es braucht einen Überschuss, es braucht ein "Mehr an Hoffnung".

Kardinal Reinhard Marx, Predigt vom 13. Mai 2018

Hier wird es auf den Punkt gebracht, was als gleichsam amtliche Linie des überaus bunten Kirchentags auf allen Fernsehbildschirmen ansichtig werden sollte. Die römisch-katholische Kirche in Deutschland will kein Urteil abgeben über das grundlegende Konzept "militärischer Macht", welches nach Ansicht der maßgebenden Köpfe ja "notwendig sein mag" und offenkundig auch als taugliches - wenngleich nicht als alleiniges - Mittel der "Friedensgewinnung"(!) betrachtet wird.

Die Kirche will die herrschende Politik in unserem Land keineswegs kritisieren: "im Gegenteil"! Dankbarkeit wird angestrebt. Die Christen wollen über das (benedizierte) Bestehende hinaus aber noch irgendwie einen "Überschuss", ein "Mehr an Hoffnung" einbringen.

Kardinal Reinhard Marx predigte - erfrischender Weise - in Münster nicht in Form einer theologischen Vorlesung. Dass der Terminus "Welt" in den johanneischen Schriften der Bibel nicht einfach neutral den irdischen Lebens- und Gestaltungsraum bezeichnet, sondern eher ein ganz bestimmtes Programm der menschlichen Zivilisation, ist ihm bekannt. An anderer Stelle heißt es nämlich in seiner Predigt,

(…) dass wir als Zeuginnen und Zeugen des österlichen Lebens, des österlichen Friedens nie ganz aufgehen in der Logik der Welt, des Messens, des Verbrauchens, des Benutzens, des Herrschens und der Macht; dass mitten in dieser - ich möchte einmal sagen - alten Welt, die keine Zukunft hat, die neue Welt aufbricht - und (…) wie in einem dynamischen Prozess von der Explosion der Osternacht aus in die ganze Weltgeschichte hineinreicht.

Kardinal Reinhard Marx, Predigt vom 13. Mai 2018

Sollen wir in der "Logik des Benutzens, des Herrschens und der Macht" nur "nie ganz aufgehen"? Oder sollen "wir Christen" der Logik einer in den Augen Jesu endgültig veralteten "Welt", die der Menschheit jede Zukunft verbaut, nicht vielmehr Widerstand entgegensetzen - durchaus auch mit Hilfe "kühler Überlegung"?

Die Abschlusspredigt von Münster, beim Wort genommen, vermittelt den Regierenden in Deutschland wohl kaum das Gefühl, einer "alten Welt, die keine Zukunft hat", verhaftet zu sein. Die implizite Botschaft lautet vielmehr: Wir Christen machen keine Revolte! Unser Land zählt ja zu den Guten …