Florentiner Juraprofessor soll italienischer Ministerpräsident werden

Angenehme Arbeitsumgebung: der große Hörsaal der Universität Florenz. Foto: I, Sailko. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Staatspräsident Mattarella prüft Regierungsbildungsauftrag - Lega legt in Umfragen weiter zu

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Nachdem letzte Woche fast täglich neue Namen möglicher Ministerpräsidenten durch die italienischen Medien gingen, hat der M5S-Capo Luigi Di Maio gestern den Namen offenbart, den er und der Lega-Chef Matteo Salvini dem Staatspräsidenten Sergio Mattarella am Sonntagnachmittag tatsächlich vorschlugen: Giuseppe Conte. Der 54-Jährige mit dem vollen Haar und dem kleinen Bäuchlein ist ein gebürtiger Apulier, lehrt aber seit 16 Jahren an der Universität Florenz Privatrecht. Ein bedeutendes politisches Amt hatte er bislang nicht inne. Trotzdem soll er Di Maio und Salvini zufolge kein neutraler Technokrat, sondern ein "politischer Premier" sein. Seinen Äußerungen aus der Vergangenheit nach steht er der M5S, die er als "wunderbares, unglaubliches, politisches Labor" lobte, näher als der Lega.

Anhänger der Parteien nahmen gemeinsames Regierungsprogramm an

Nun prüft der italienische Staatspräsident Mattarella, ob er Conte einen Regierungsbildungsauftrag erteilt. Bei dieser Prüfung darf er auch das Programm berücksichtigen, das der Ministerpräsident in spe im Auftrag der Lega und der M5S als Ministerpräsidenten umsetzen soll. Das knapp sechzigseitige und in 30 Punkte untergliederte Dokument wurde am Wochenende in einer Online-Abstimmung der M5S angenommen, an der sich 45.000 Anhänger beteiligten. In lokalen Befragungen der Lega befürworteten es 91 Prozent von etwa 215.000 Teilnehmern.

Es enthält unter anderem ein Ende der Fornero-Rentenreform und das M5S-Wahlversprechen einer Grundsicherung in Höhe von 780 Euro monatlich, die aber auf Druck der Lega höchstens zwei Jahre lang ausgezahlt wird. Dafür musste die Lega Zugeständnisse bei ihrem Wahlversprechen einer Flat Tax machen, statt der es eine progressive Steuer mit zwei Stufen gibt: 15 und 20 Prozent.

Finanziert werden soll beides mit Wachstum durch Bürokratieabbau und einem verstärkten Kampf gegen Korruption und Steuerhinterziehung. Beschäftigungsprogramme, über die italienische Medien zu Anfang der Kontaktaufnahme spekulieren, kommen im Regierungsprogramm dagegen ebenso wenig vor wie neue staatliche Förderprogramme für Süditalien.

Salvini: Die Franzosen sollen "sich um Frankreich kümmern und ihre Nase nicht in die Angelegenheiten anderer stecken"

Eine ganze Reihe von Vorhaben betreffen die EU: Zum Beispiel die Abschaffung der Russlandsanktionen, die Italien wirtschaftlich besonders hart trafen. Die europäischen Stabilitäts- und Verschuldungsvorschriften will man "im Dialog diskutieren" und "anpassen". Der EVP-Chef und CSU-Europapolitiker Manfred Weber (der sich Medienberichten nach anschickt, Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident zu beerben) warnte bereits vor einem "Spiel mit dem Feuer"; der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire vor Gefahren für "die gesamte finanzielle Stabilität der Eurozone".

Matteo Salvini entgegnete Le Maire darauf hin öffentlich, die Franzosen sollen "sich um Frankreich kümmern und ihre Nase nicht in die Angelegenheiten anderer stecken"; Di Maio rief dazu auf, "sich erst einmal anzusehen, was wir konkret machen wollen" und nicht schon "zu attackieren, bevor wir überhaupt die Regierungsarbeit aufgenommen haben".

Bei den Italienern kam das, was letzte Woche aus dem Programm durchsickerte, eher gut an (womöglich nicht zuletzt auch deshalb, weil die Auswirkungen der europäischen Datenschutz-Grundverordnung inzwischen bei italienischen Fleischern angelangt sind): Einer am Sonntag in der Repubblica veröffentlichte repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Demos nach möchte eine deutliche Mehrheit von sechzig Prozent, dass es M5S und Lega nun miteinander versuchen. Nur vierzig Prozent der Italiener plädieren für Neuwahlen, bei denen die beiden Regierungsparteien Lega einer IPSOS-Umfrage vom 16. und 17. Mai nach auf 58 Prozent kämen. Die fast acht Prozent mehr als bei den Wahlen am 4. März gehen vor allem auf das Konto der Lega, die seitdem von 17,4 Punkte auf 25 Prozent zulegte.

Vorbild Österreich

Um migrationspolitische Wahlversprechen möglichst umfassend umzusetzen will ihr Chef Salvini Innenminister werden. Als Vorbild nannte er bereits im Wahlkampf die türkis-blaue Regierung in Österreich, der es den vorletzte Woche veröffentlichten Zahlen nach gelang, die Zahl der Abschiebungen unter anderem durch eine Erhöhung der Zahl der Schubhäftlinge um 90 Prozent deutlich zu steigern. Für weitere Steigerungen sieht der Entwurf für eine Fremdenrechtsnovelle vor, dass Minderjährigkeit und hier geborene Kinder Straftäter weniger stark vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen schützen.

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz würde einer repräsentativen INSA-Umfrage nach eine Wahl gegen Angela Merkels CDU/CSU mit 38 zu 32,5 Prozent und fünfeinhalb Punkten Vorsprung gewinnen, wenn er in Deutschland anträte. Dort könnte er nicht nur Wähler der Union und der AfD überzeugen, sondern auch solche der SPD und der Linken, die zu jeweils einem Fünftel für ihn stimmen würden.

Bei einem Besuch des tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš in Wien twitterte Kurz am Freitag: "Wir setzen uns beide entschlossen für einen Systemwechsel in der europäischen Migrationspolitik - vor allem auch für einen ordentlichen Schutz der EU-Außengrenzen - ein. Eine reine Verteilung in Europa löst das Migrationsproblem nicht." Babiš meinte kurz darauf - anscheinend nicht nur mit Blick auf Österreich, sondern auch auf Italien: "In der Flüchtlings- und Migrationsfrage […] kommen Politiker in Europa, welche uns verstehen."