Jean-Luc Godard, Brigitte Bardot und eine Lampe im Lichte der #MeToo-Debatte

Le mépris

Die Nacht der Verachtung, Teil 1

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Statt um Harvey Weinstein, Quentin Tarantino und Dieter Wedel soll es hier primär um zwei Regisseure gehen, die beide einen Film über das Filmemachen gedreht haben. Für den einen, Jean-Luc Godard, war Die Verachtung seine kommerziellste Produktion. Als der andere, François Truffaut, mit Die amerikanische Nacht nachzog warf ihm Godard vor, sich an den Kommerz verkauft und eine Lüge produziert zu haben. Darüber zerbrach die Freundschaft der beiden Mitbegründer der Nouvelle Vague. Die #MeToo-Debatte ist eine gute Gelegenheit, sich Le mépris und La nuit americaine noch einmal anzuschauen und dabei neu zu sehen.

Truffaut, um das gleich vorwegzunehmen, könnte - wenn er nicht schon lange tot wäre - durch die #MeToo-Dynamik jederzeit unter die Räder kommen, obwohl er am Set ein Anti-Wedel war. Diktatorisches Regisseursgehabe, mit Herumbrüllen und der Demütigung von Mitarbeitern, war ihm ein Graus. Doch sein berühmtes Diktum, dass Filmemachen darin bestehe, mit schönen Frauen schöne Sachen zu machen, nahm er allzu wörtlich. Er hatte die Neigung, sich seinen Darstellerinnen erotisch anzunähern, und meistens, sagt man, hatte er Erfolg damit.

Truffaut verließ sich auf seine Verführungskünste, den Frauen wie den Kinozuschauern gegenüber. Von Gewaltanwendung ist nichts bekannt. Inzwischen müsste er trotzdem damit rechnen, an den medialen Pranger gestellt und vom Sturm der Entrüstung weggefegt zu werden. Revolutionen sind nun mal chaotisch, sagt Ashley Judd, die von Weinstein bedrängt und gemobbt wurde, in einem BBC-Interview. Für Differenzierungen bleibt da selten Platz. Vielleicht ist es darum ganz gut, sich der aktuellen Debatte aus zeitlicher Distanz anzunähern. Man sieht dann klarer, worum es beim Machtmissbrauch sonst noch gehen könnte, zusätzlich zum Sex und zur körperlichen Gewalt.

Godard vs. Mussolini und King Kong

Das Kino wurde erfunden, damit sich reiche Männer die begehrenswertesten Frauen kaufen können. Louise Brooks, die das gesagt hat, sammelte als Stummfilmheroine einschlägige Erfahrungen und wurde zu Beginn der Tonfilmära von allmächtigen Studiobossen aufs Abstellgleis geschoben, weil sie sich weder den Mund verbieten noch sich zur Ware machen lassen wollte. Wer nicht reich ist kauft sich eine Eintrittskarte und darf die schönen Frauen zumindest auf der Leinwand bewundern. Dieses Geld, um den Gedanken weiterzuspinnen, fließt zurück in die Kassen der reichen Männer, die sich wieder schöne Frauen kaufen und so fort.

Louise Brooks. Bild: George Grantham Bain / Library of Congress / Public Domain

Brigitte Bardot, damals das größte Sexsymbol der westlichen Hemisphäre, schreibt in ihren Memoiren, dass sie sich bei den Dreharbeiten zu Le mépris - anders als sonst - nicht in einen ihrer Filmpartner verliebt habe, weil Michel Piccoli nicht ihr Typ gewesen sei und Jack Palance ausgesehen habe wie ein Affe. Andere haben erzählt, dass sie beunruhigt gewesen sei, weil keiner der Beteiligten versuchte, sie ins Bett zu kriegen. So etwas war sie nicht gewöhnt. Ich nehme an, das gilt dann auch für Carlo Ponti und seinen amerikanischen Partner Joseph E. Levine, die Produzenten.

Allerdings hatten die beiden viel Geld für den Star bezahlt (die Gagen von Bardot, Lang und Palance sollen mehr als die Hälfte des Budgets betragen haben, mit dem Löwenanteil für BB). Bei der Durchsicht der Muster stellten sie fest, dass sie nie nackt war. Eine nackte Bardot aber hielten sie für unerlässlich, um ihre Investition an der Kinokasse zurückzuholen. Deshalb machten sie Godard, der den Produzenten die Beinamen "Mussolini" und "King Kong" gab, die Hölle heiß. Godard reagierte auf seine Weise. Er lieferte Ponti und Levine die geforderten Nacktszenen, dies aber so, dass es zu seinem Film passte.

Die erste Einstellung bringt uns nach Cinecittà, also in das Filmstudio in Rom, das die Faschisten in den 1930ern bauen ließen, um das Kino zur "mächtigsten Waffe" im Propagandakrieg zu machen, wie auf den Spruchbändern zu lesen stand, als Mussolini die Filmstadt 1937 eröffnete. In einer desolat wirkenden Atelierstraße sind Schienen verlegt. Geboten wird ein Blick hinter die Kulissen. Ein Tracking Shot entsteht. Raoul Coutard und seine Kamera fahren auf den Schienen neben Giorgia Moll her, und dabei langsam auf uns zu.

Godard vs. Mussolini und King Kong (7 Bilder)

Le mépris

Godard sagt uns damit, was kommen wird: Auffällige Kamerafahrten an emotionalen und thematischen Schlüsselstellen des Films. Mindestens genauso wichtig: Er verbindet die Kamerafahrt mit Giorgia Moll und räumt der Frau im gelben Pulli einen privilegierten Platz ein. Das ist ein Hinweis, worauf wir achten sollten, auch wenn Giorgia Moll von den Kritikern kaum zur Kenntnis genommen wird, weil das ein Film mit Brigitte Bardot ist. Es gibt aber keine Verpflichtung, sich beim Sehen eines Films vom Starsystem leiten zu lassen, und bei einem Film wie diesem, der sich an keine Regel hält, schon gar nicht.

Mit Hilfe von Molls gelbem Pullover hätte man schon 1963 die #MeToo-Debatte führen können, nur dass das keinen interessierte, weil man entweder über Godard als den wichtigsten Erneuerer des Kinos seit D. W. Griffith diskutierte oder sich, insbesondere als Amerikaner, entgeistert mit einer schrägen Mischung aus Exploitation und europäischem Arthouse-Film mit Avantgarde-Elementen konfrontiert sah. Auch in den folgenden Jahrzehnten wurden Giorgia Moll und ihr Oberteil kaum wahrgenommen. Möglicherweise lag es daran, dass Godard ein Angebot machte, das man von ihm, dem unermüdlichen Innovator, nicht erwartete, weil es so traditionell ist.

Gutes Kinohandwerk, so die alte Weisheit, erkennt man daran, dass uns der Beginn eines Films Anhaltspunkte dafür liefert, wie er gesehen werden will, einen Leitfaden, wie wir uns gewinnbringend durch die nächsten anderthalb bis zwei Stunden bewegen können. Wenn Quentin Tarantino, der einer von Godards Epigonen ist, genauer hingeschaut (und die entsprechenden Schlüsse daraus gezogen) hätte, müsste er sich heute nicht dafür entschuldigen, dass er von Weinsteins Aktivitäten nichts mitkriegte oder um des eigenen Vorteils willen schwieg wie viele andere, statt den Mund aufzumachen.

Kino als Ersatzwelt und Wunscherfüllung

Anstelle der geschriebenen Anfangstitel, an die wir uns gewöhnt haben, spricht Godard den Vorspann aus dem Off, während das Filmteam Giorgia Moll begleitet: Nach dem Roman von Alberto Moravia … die Bilder sind von Raoul Coutard … der Schnitt ist von Agnès Guillemot … etc. Damit verbeugt er sich vor Orson Welles, der es bei Othello (1952) so macht, auch einem Film über das Scheitern einer Ehe. Bei der US-Fassung von Othello (1955) wurde der Regelverstoß korrigiert. Welles erzählt nun die Vorgeschichte der Intrige, statt zu rätselhaften Bildern die Namen der Darsteller und seiner Mitarbeiter zu nennen. Das dient der Orientierung des Zuschauers, den Hollywood gern an der kurzen Leine hält.

Die Verantwortlichen für die englische Version von Le mépris waren offenbar so irritiert, dass sie den von Godard eingesprochenen Vorspann ersatzlos von der Tonspur löschten. In der deutschen Synchronfassung regiert die Abgeschlossenheit des Imperfekts ("Georges Delerue schrieb die Musik"), weil das den Film in die Büchse sperrt, in der er uns nicht gefährlich werden kann. Godard dagegen betont die Offenheit und den Film als Prozess. Darum zieht er das Präsens vor, oder das in die Gegenwart hereinreichende Perfekt: "Georges Delerue hat die Musik geschrieben" (die jetzt gerade für uns gespielt wird).

"Die Kamera führte Raoul Coutard" (deutsche Version) ist unsinnig, wenn wir dazu sehen, wie Coutard die Kamera gerade "führt" und das in alle Ewigkeit gerade tun wird, wenn der Film beginnt. Am Ende der Kamerafahrt, nach der Nennung der Produktionsfirmen, zitiert Godard den größten französischen Filmkritiker der Nachkriegszeit: "‚Le cinéma’, disait André Bazin, ‚substitue à notre regard un monde qui s’accorde à nos désirs.’" In der deutschen Fassung wird es so übersetzt: "‚Der Film’, sagt André Bazin, ‚unterschiebt unserer Vorstellung eine Welt, die mit unseren Wünschen übereinstimmt.’"

Le regard ist der Blick und nicht die Vorstellung. Sinngemäß ist wohl gemeint: Das Kino bietet unserem Blick eine Ersatzwelt dar, die im Einklang mit unseren Wünschen steht (im Gegensatz zur Wirklichkeit), und anstelle von "Wünschen" könnte man vom "Begehren" sprechen, denn das französische Wort désir bedeutet auch das sexuelle Verlangen, und das Kino befriedigt bekanntlich die Schaulust des Betrachters. Da nun schon mal vom Publikum die Rede ist richtet Raoul Coutard die Kamera auf uns, die Zuschauer.

Das ist die Aufkündigung des stillschweigenden Kontrakts zwischen Filmindustrie und Publikum, dass wir als unsichtbare Voyeure im abgedunkelten Kino sitzen und zugleich die Überleitung zur von den Produzenten verlangten "Sexszene". Sex im Kino der 1950er und frühen 1960er kam meistens in Form einer leicht schmierigen Komplizenschaft mit einem verklemmt-lüsternen Zuschauer daher, den es tatsächlich gab oder den sich die Produzenten als den imaginären Abnehmer für ihr Produkt so konstruiert hatten. Wer diese Regenmantel-Erotik von einem Godard-Film erwartet ist selber schuld.

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