BAMF-Affäre: Muss die Bundespolizei gegen ihren Chef ermitteln?

Horst Seehofer. Bild: Sandro Halank, Wikimedia Commons / CC BY-SA-3.0

Staatsanwaltschaft geht von "bandenmäßiger" Zusammenarbeit von Behördenmitarbeitern und Anwälten aus

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In der BAMF-Affäre hat sich die Bundespolizei in die Ermittlungen eingeschaltet. Sie gehört zum Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums, dessen Chef Horst Seehofer selbst immer stärker unter Druck gerät: Dem Münchner Merkur liegen eine E-Mail seiner Vorzimmerdame vom 1. März 2018 und andere Dokumente vor, die "den Verdacht nähren, dass der Innenminister viel früher, als von ihm erklärt, Kenntnis des BAMF-Skandals hatte."

Auch die Führung des BAMF in Nürnberg wird durch die Informationen der Zeitung nicht unbedingt entlastet: Nachdem sie die Aufklärerin Josefa Schmid am 28. Februar in einen mehr als 40 Seiten langen Bericht über die Zustände in der Bremer Außenstelle informiert hatte, wurde die aus Bayern geholte Beamtin einer "vertraulichen Quelle" des Merkur zufolge zu einem "Personalgespräch" einbestellt "weil das Amt fürchtete, Schmid könne Seehofer darüber in Kenntnis setzen." Aus einem Gesprächsprotokoll, das der Zeitung vorliegt, geht hervor, dass Schmid dabei weitere eigene Ermittlungen verboten wurden.

Vorzimmerdame und Staatssekretär

Danach versuchte die von der CSU über die Freien Wähler zur FDP gewechselte Regierungsrätin den damals noch designierten Bundesinnenminister Horst Seehofer über ihre Erkenntnisse zu informieren. Dessen Vorzimmerdame in der bayerischen Staatskanzlei, die Seehofer am 13. März mit nach Berlin nahm, schrieb ihr am 1. März, man werde ihren Gesprächswunsch dem Ministerpräsidenten "unterbreiten". Schmids Aussage zufolge sagte ihr die Frau damals "auch zu, dass Horst Seehofer die Infos von ihr bekommen habe." "Er müsse sich nun selber bei [ihr] rühren, mehr könne sie nicht mehr machen."

Damit konfrontiert, wich das Bundesinnenministerium dem Merkur zufolge aus und bezog sich in seiner Antwort einfach nicht auf diese, sondern auf eine andere Kontaktaufnahme Schmids vom 14. März. Innenstaatssekretär Stephan Mayer, bei dem es die 44-Jährige an diesem Tag versuchte, rief sie allerdings erst am 4. April zurück. Von einer SMS, die Schmid nach eigenen Angaben Seehofer am 30. März an dessen (zwischenzeitlich über einen Ex-Minister ausfindig gemachte) private Handynummer schickte, hat dieser seiner Sprecherin nach keine Kenntnis.

Leitender Mitarbeiter der Bremer BAMF-Außenstelle wollte angeblich Josefa Schmids Tasche durchsuchen

Mayer soll Schmid bei seinem etwa zwanzigminütigem Gespräch am 4. April versichert haben, er werde Seehofer noch vor dessen anstehenden BAMF-Besuch am 6. April "ins Bild setzen". Dass Seehofer dem BAMF bei diesem Besuch für seine angeblich "hervorragende" Arbeit lobt, erklärte er später damit, dass er von Mayer doch erst informiert worden sei, nachdem ihm die Zentrale Antikorruptionsstelle beim Bremer Innensenator am 19. April über Hausdurchsuchungen bei der Hauptverdächtigen Ulrike B. in Kenntnis setzte. Mayer schloss sich dieser Darstellung seines Chefs an und meinte, er habe Schmids Informationen erst selbst "bewerten" wollen, bevor er sie weitergibt. Kurz danach wurde die Affäre öffentlich.

Am 27. April drohte Schmid ein Vorgesetzter ihrer eigenen Eidesstattlichen Versicherung nach: "Wenn noch ein weiterer Bericht über Sie im Zusammenhang mit dem Bremer Asylskandal veröffentlicht wird, werden Sie abgezogen." Das sei so mit dem Bundesinnenministerium "vereinbart". Am 3. Mai wurde Schmid von der BAMF-Leitung erneut zu einem "Personalgespräch" gebeten, wo man sie wegen ihrer Kontaktaufnahmen mit dem Innenministerium und der Staatsanwaltschaft unter Druck setzte. Fünf Tage später folgte ihre Versetzung nach Deggendorf. Als sie am 16. Mai für eine Zeugenaussage bei der dortigen Staatsanwaltschaft wieder nach Bremen musste, kam es ihren Angaben nach zu einer leichteren körperlichen Auseinandersetzung, nachdem ein leitender Mitarbeiter der dortigen BAMF-Außenstelle den Versuch unternahm, ihre Tasche zu durchsuchen.

BamS: Bundesinnenministerium war bereits im Oktober informiert

Die Bremer Staatsanwaltschaft stuft die Vorgänge in der BAMF-Außenstelle inzwischen als "bandenmäßige" Zusammenarbeit zwischen Behördenmitarbeitern und bestimmten Anwälten ein, die im Durchschnitt 97 Prozent ihrer Asylfälle anerkannt bekamen. Wer daran auf Behördenseite außer der ehemaligen Leiterin Ulrike B. und einem Dolmetscher (der jetzt auf Schmerzensgeld klagt) beteiligt war, ist noch nicht klar. Der Peiner Allgemeinen nach werfen Mitarbeiter "der Behördenspitze in Nürnberg vor, Beweismittel zur Seite geschafft" zu haben. Die rechtfertig sich damit, lediglich "Asylakten aus den einzelnen Büros der Mitarbeitenden [sic] in einem Raum gebündelt untergebracht" zu haben.

Der Bild am Sonntag (BamS) zufolge hatte man im Bundesinnenministerium bereits zu Zeiten von Horst Seehofers Vorgänger Thomas de Maizière deutlich mehr als die bislang eingeräumten "punktuellen" Informationen über "einzelne Aspekte" der BAMF-Affäre. Eine Mitarbeiterin gab angeblich zu, dass bereits am 7. November in einer Telefonkonferenz über "viele Ungereimtheiten in der Außenstelle Bremen" gesprochen worden sei, nachdem das Referat Asylrecht und Asylverfahren durch hundert Stichproben aus insgesamt 7.764 auffälligen Fällen zwischen Januar 2016 und September 2017 am 24. Oktober 2017 festgestellt hatte, dass "die positive Entscheidung […] in einer Vielzahl der überprüften Fälle nicht nachvollziehbar [ist], soweit die Akten überhaupt entscheidungsreif waren."