Mit dem Europäischen Verteidigungsfonds zur strategischen Autonomie

Neuron-Drohne. Bild: Dassault

Die EU will europaweite Rüstung fördern, darunter auch Autonome Waffensysteme

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der europäischen Einigung verdanken wir bislang unter anderem Reisefreiheit ohne Geldumtausch beim Mittelmeer-Urlaub. Aber dabei bleibt es nicht: Auch Kampfroboter könnten demnächst ein europäisches Markenprodukt werden. EU-Parlament, Rat und Kommission haben sich darauf geeinigt, sogenannte Letale Autonome Waffensysteme zu fördern, also tödliche Militärroboter. Das können autonom agierende Kampfdrohnen sein oder panzerähnliche Kampfmaschinen, die Feuerkraft mit künstlicher Intelligenz kombinieren und selbstständig agieren.

Für die Entwicklung und Bau neuer Waffen stellt die EU in den Jahren 2019 und 2020 insgesamt 500 Millionen Euro bereit. Das ist das Ergebnis der Verhandlungen über die Eckpunkte für ein Europäisches Entwicklungsprogramm für die Verteidigungsindustrie (European Defence Industrial Development Programme - EDIDP). Von 2021 bis 2027 sollen dann insgesamt weitere 13 Milliarden Euro bereitstehen.

Alternativen abgelehnt

Letale Autonome Waffensysteme zu fördern, ist auch in Europa nicht unumstritten. Das EU-Parlament war dagegen, gab aber schließlich nach. Wie der euobserver unter Berufung auf Teilnehmer der Gespräche berichtet, lag durchaus ein Formulierungsvorschlag auf dem Tisch, wonach Massenvernichtungswaffen, Streumunition, Anti-Personen-Minen und Vollautonome Waffensysteme nicht gefördert werden. Auf Drängen des Europäischen Rates, der die Regierungen vertritt, sei das aber nicht aufgenommen worden.

Nun heißt es, nicht förderungswürdig seien Projekte, deren Endprodukte gegen das Völkerrecht verstoßen ("prohibited by international law"). Außerdem bot der Rat an, einen sogenannten "Erwägungsgrund" anzufügen, wonach bei der Geldervergabe "die Entwicklung des Völkerrechts" beachtete werden solle. Das könnte bedeuten, dass Autonome Waffensystem nicht mehr gefördert würden, sobald ein entsprechendes internationales Verbot vorliegt. Allerdings gelte ein Erwägungsgrund als weniger wirksam als ein eigener Artikel in den Eckpunkten, so der euobserver.

Verhandlungen über ein Verbot Autonomer Waffensysteme laufen bereits. Bei einem Treffen bei den Vereinten Nationen im April schälte sich als Konsens, dass Entscheidungen über Leben und Tod von Menschen getroffen werden müssen und nicht an Maschinen delegiert werden dürfen. Kritiker streben ein völliges Verbot im Rahmen der Vertragskonferenz für Konventionelle Waffen (Convention on Certain Conventional Weapons - CCW) an. Dort finden sich Präzedenzfälle: So sind etwa Brandwaffen seit 1983 und blindmachende Laserwaffen seit 1998 international verboten.

Offen ist allerdings, was genau verboten werden soll, wie die weiteren Verhandlungen laufen und ob wichtige Länder wie die USA und Russland doch irgendwann dafür gewonnen werden können. Von Frankreich und Deutschland gibt es den Vorschlag, zunächst eine politische Deklaration zu verabschieden, die rechtlich noch unverbindlich wäre. Kritiker sehen darin jedoch einen Verstoß gegen das, was CDU, CSU und SPD gerade erst in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hatten: "Autonome Waffensysteme, die der Verfügung des Menschen entzogen sind, lehnen wir ab. Wir wollen sie weltweit ächten."

Parlamentswillen gekippt

Die Kampagne zum Stopp von Killer-Robotern zeigte sich denn auch verärgert über die EU-Einigung, Letale Autonome Waffensysteme erst mal zu fördern. Das sei "kursichtig und unüberlegt", twittere sie und forderte den Europäischen Rat auf, seine Entscheidung zu überdenken: "Er sollte ernsthaft prüfen, ob die EU die Entwicklung Vollautonomer Waffensysteme verhindern oder fördern will."

"Was da beschlossen wurde, macht mich fassungslos", kommentierte auch die Europa-Abgeordnete Sabine Lösing (Linke). Sie verweist auf den Entschließungsantrag, auf den sich Konservative, Sozialdemokraten, Liberale, Grüne und Linke 2014 geeinigt hatten. Demnach solle "die Entwicklung, Produktion und Verwendung von vollkommen autonom funktionierenden Waffen, mit denen Militärangriffe ohne Mitwirkung des Menschen möglich sind", verboten werden. "Dass die konservative Verhandlungsführerin des EPs nun hinter diese Entschließung zurückfällt, das Verhandlungsmandat des EPs mit Füßen tritt, und nun solch einen tödlichen Deal mitträgt, ist unverantwortlich", kritisierte Lösing.

Der grüne Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer nannte es "beschämend und unverantwortlich, dass Parlament und Rat nicht einmal grundlegende Normen und Werte wie Nicht-Investitionen in verbotene und inhumane Waffen wie Streumunition, Brandwaffen oder autonome Waffen aufrechterhalten konnten". Sein österreichischer Parteifreund Michel Reimon sagte, die Waffenindustrie "bedankt sich im nächsten Wahlkampf sicher artig bei den Konservativen".

USA dringen auf KI

Zufrieden zeigt sich aber nicht nur die heimische Rüstungsindustrie. Politiker und Militärs in Europa bemerkten endlich die Bedeutung Künstlicher Intelligenz für das Militär, wurde auf dem US-Portal Defense One gelobt. So habe die französische Regierung unter Emmanuel Macron abgekündigt, 1,85 Milliarden Dollar in fünf Jahren auszugeben für Erforschung und Entwicklung Künstlicher Intelligenz, wozu auch gehöre, eine Behörde ähnlich der DARPA zu gründen. Die DARPA ist in den USA für militärische Forschungsprojekte zuständig.

Die USA sehen die europäischen Forschungen als Beitrag zu den NATO-Rüstungsausgaben und verlangen mehr: Besorgt notieren die Defense One-Autoren, die Rüstungsmanagerin Wendy R. Anderson und Jim Townsend, ein Ex-Pentagon-Mitarbeiter, dass zwar die deutsche Wirtschaft Künstliche Intelligenz fördere: "Aber verglichen mit den anderen NATO-Verbündeten findet solche kommerzielle Forschung und Entwicklung seltener ihren Weg in die Regierung und den Verteidigungssektor."

Die Autoren setzen ihre Hoffnungen auf überstaatliche Organisationen: "NATO und EU können eine wichtige Rolle spielen, den Alliierten zu helfen, die Rolle von Künstlicher Intelligenz zu verstehen und sie einzusetzen. Beide Institutionen können auch Abnehmer sein." Die europäischen NATO-Verbündeten dürften nicht warten, weil sonst eine Lücke zum US-Militär entstehe, warnen sie.

Dass sich die NATO längst auf Autonome Waffensysteme vorbereitet, hat Constanze Kurz bereits in der FAZ beschrieben. Wobei sie allerdings berichtet, der ehemalige NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen verneine ausdrücklich, dass das Bündnis bereits Angriffe mit tödlichen Autonomen Waffensystemen plane. Die NATO müsse sich aber darauf einstellen, sich gegen solche Systeme verteidigen zu müssen.

Strategische Autonomie für Europa

So sehr US-Strategen die EU-Ausgaben für Künstliche Intelligenz jedoch begrüßen - begründet werden diese als Beitrag zur "Strategischen Autonomie" Europas. Denn das EU-Entwicklungsprogramm für die Verteidigungsindustrie ist Teil dessen, was die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) kürzlich die "stille Revolution in Europas Verteidigungspolitik" nannte: die Einrichtung eines Europäischen Verteidigungsfonds (EVF). Dieser bekomme aktuell "wenig Aufmerksamkeit", wundert sich die SWP: "Dabei ist seine Einrichtung hochpolitisch, wird doch die Europäische Kommission damit erstmals in der Verteidigungspolitik und -industrie aktiv."

Der Europäische Verteidigungsfonds soll die Zusammenarbeit in der europäischen Rüstungsindustrie verbessern. Gefördert werden nur Projekte, bei denen mindestens drei Unternehmen aus drei Mitgliedsstaaten zusammenarbeiten. Die EU will auf diese Weise die nächste Generation an Drohnen, Schiffen oder Hubschraubern fördern. Brüssel übernimmt dabei 20 Prozent der Kosten. Die SWP sieht allerdings noch Probleme. So müsse sich erst noch zeigen, "ob ein Zuschuss von 20 Prozent ausreicht, um ein Projekt profitabel zu machen". Außerdem seien die veranschlagten Mittel noch längst nicht sicher: "Gerade angesichts des Brexits, mit dem ein Beitragszahler wegfällt, ist das ein ehrgeiziges Ziel."

Gefeierter Kompromiss

Grundsätzlich sieht die SWP die EU aber damit auf dem richtigen Weg. Auch die EU feiert den erreichten Kompromiss zum EU-Entwicklungsprogramm für die Verteidigungsindustrie. So sagte der bulgarische Verteidigungsminister Krasimir Karakachanov:

Dieses Abkommen erlaubt der Europäischen Union, zum ersten Mal ein Programm für Verteidigungskapazitäten zu finanzieren. Dieser neue Schritt in unserer Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit spiegelt wieder, wie wichtig es in der heutigen Welt ist, als Europäer mehr für die eigene Sicherheit zu tun.

Krasimir Karakachanov

Die bulgarische EU-Präsidentschaft hatte die Einigung mit dem EU-Parlament erwirkt, die am 29. Mai den Botschaftern der Mitgliedsländer zur Billigung vorgelegt werden soll, bevor sie ins EU-Parlament und zum Europäischen Rat zur endgültigen Annahme geht. Für das Europaparlament hatte die französische Abgeordnete Francoise Grossetete (Republikaner/EVP) die Einigung ausgehandelt. Sie befand danach:

Die gesamteuropäische Verteidigungsindustrie, besonders die kleinen und mittleren Unternehmen, werden von diesem Programm profitieren, was unsere strategische Autonomie stärkt. Hauptantriebskräfte werden Exzellenz und Innovation.

Francoise Grossetete

Auch die polnische EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska lobte die Einigung als Stärkung der strategischen Autonomie Europas, während Linken-Abgeordnete Sabine Lösing erklärte, dass sich hinter dem EU-Rüstungsprogramm EDIDP nichts anderes als ein massives Subventionsprogramm für europäische Rüstungsunternehmen verberge. "Nun auch noch mit EU-Steuergeldern Killer-Roboter zu fördern, setzt dem Ganzen endgültig die Krone auf."