Griechenland: Wie man zum linksradikalen Terroristen gemacht wird

Bild: Wassilis Aswestopoulos

Irianna & Perikis - der Prozess. Kafka als reale Neuauflage

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Irianna und Periklis, so werden zwei Personen, deren abenteuerliche Behandlung durch die griechische Justiz Aufsehen erregt, kurz nach ihrem Vornamen genannt. Anders als Straftäter aus dem ultrarechten Milieu, die weiterhin frei auf einen Prozess warten können, mussten beide junge Wissenschaftler hinter Gitter (Griechische Justiz: Im Zweifel gegen die Angeklagten … und Griechische Anti-Terror-Institutionen im Amok gegen junge Akademikerin).

Sie wurden zu mehr als zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, weil sie nach Ansicht der Strafverfolger soziale Kontakte zu linksradikalen "Terroristen" pflegen. Dass der Irianna zur Last gelegte, "verbotene" Kontakt ihren rechtskräftig frei gesprochenen Lebensgefährten betrifft, interessiert griechische Gerichte ebenso wenig wie die Tatsache, dass die der Verurteilung zugrunde gelegten DNA-Beweise wissenschaftlichen Standards keineswegs genügen.

Im Fall von Irianna belegt die DNA-Probe nach Ansicht zahlreicher renommierter Biologen sogar, dass sie eigentlich unmöglich die ihr zur Last gelegten Vergehen begangen haben kann.

Bekanntschaft mit Personen, die als Terroristen verurteilt wurden

Eine Beteiligung an Anschlägen oder anderweitig als terroristisch eingestuften Straftaten konnte beiden nicht nachgewiesen werden. Bei Periklis wurden DNA-Proben an einem Buch gefunden, das bei einem als Terroristen Verurteilten bei einer Durchsuchung entdeckt wurde. Sowohl Perikles als auch mittelbar Irianna kannten Personen, die später als Terroristen verurteilt wurden.

Im Fall von Irianna bestand die Bekanntschaft über deren Lebensgefährten, der sich in einem früheren Prozess bereits verantworten musste. Konstantinos, so heißt der Lebensgefährte, den Irianna in Haft ehelichte, wurde nach längerer Haft in letzter Instanz von allen Vorwürfen frei gesprochen.

Seit nunmehr einem Jahr sitzen Irianna und Periklis hinter Gittern. Ihre Odyssee mit der Justiz währt auch schon fast ein Jahrzehnt. Für Irianna steht ihre akademische Karriere auf dem Spiel, für Periklis seine Gesundheit.

Beide hatte gegen ihre erstinstanzliche Verurteilung Revision eingelegt. Vor dem Urteil hatte sie jahrelang sämtliche Auflagen erfüllt. Anders als übrigen Straftätern wurde es ihnen nicht gestattet, bis zum Revisionsverfahren in Freiheit zu verbleiben.

Das Revisionsverfahren: Zahlreiche Ungereimtheiten

Mehrere griechische Gerichte sahen durch den Freiheitsentzug keinerlei Einschränkungen für die Leben der beiden. Dabei spielte es keine Rolle, dass die Beweislage so dürftig ist, dass kaum jemand die Verurteilung nachvollziehen kann.

Seit dem 21. März läuft das Revisionsverfahren. Bisher fanden drei Verhandlungstage statt. Dabei kamen zahlreiche Ungereimtheiten der Anklage erneut zur Sprache. Zudem jedoch bewies das Gericht einige seltsame, in der griechischen Justiz offenbar weit verbreitete Ansichten.

In der Nähe von Iriannas Arbeitsplatz an der Universität wurden nach Hinweisen eines Zeugen Waffen gefunden. Auf der Tüte, welche diese in der Erde versteckten Waffen schützte, fand sich die Spur einer DNA-Probe. Die Probe war so gering, dass es von ihr nach der Testdurchführung keinerlei Material mehr gibt.

Die Analyse zeigte, dass es drei wichtige Faktoren gibt, bei denen die DNA der Probe von Iriannas DNA abweicht. Trotzdem schloss die verantwortliche Wissenschaftlerin des Labors, dass die Genetik beweisen würde, dass Irianna Kontakt zu den Waffen gehabt habe.

Bei Gericht kam zudem an die Öffentlichkeit, dass der Zeuge zugegeben hatte, die gefundenen Waffen von ihrem ursprünglichen Fundort entfernt und anders abgelegt zu haben. Der Zeuge trat trotz Ladung nicht vor Gericht auf. Die Waffen konnten seitens der Polizei mit keiner terroristischen Organisation in Verbindung gebracht werden.

"Thessalier haben Waffen" und "in Barcelona wimmelt es von Terroristen"

Der Vorsitzende Richter befragte den Vater von Perikles, ob dieser Kontakt zu Waffen und bewaffneten Organisationen habe. Der Vater lehnte die ab, woraufhin der Richter verwundert aussprach, "aber sie stammen doch aus Thessalien".

Damit spielte der Richter darauf an, dass Thessalien zur Zeit der Besetzung Griechenlands durch Nazi-Truppen und im auf den Weltkrieg folgenden Bürgerkrieg zahlreiche Partisanen hervorgebracht hat. Ergo, so der Richter, läge der Schluss nah, dass Griechen aus Thessalien pauschal waffenaffin sind.

Damit verhält sich das Gericht zumindest hinsichtlich der Verwendung von Pauschalurteilen, die gewöhnliche Zeitgenossen in der Regel als rassistisch motiviert bezeichnen würden, ganz auf der Linie der ersten Instanz. Dieses befand, dass eine Reise nach Barcelona Periklis' terroristische Gesinnung belegen würde.

Denn schließlich sei die katalonische Stadt bekannt für ihre Terroristen. Wen wundert da, dass auch die Vermieterin Iriannas sich anhören musste, dass sie froh sein könne, nicht selbst vor dem Kadi zu stehen?

Schließlich interessierte sich das Gericht am zweiten Verhandlungstag, am 10. Mai, dafür, ob Irianna ihren Lebensgefährten bei einem Konzert des kretischen Künstlers Psarantonis kennengelernt habe. Offenbar ist auch dessen Musik terrorismusfördernd. (Eine Hörprobe des kretischen Lyraspielers findet sich hier).

Der ob der Frage nach seinem Musikgeschmack durchaus verdutzte Lebensgefährte Iriannas erinnerte das Gericht daran, dass die erste Instanz Irianna verurteilt hatte, weil - wie es in der Urteilsbegründung als Grund angegeben ist - sie sich nicht von ihm getrennt habe. Er wollte damit die Richter mit dem Surrealismus ihrer Fragen und Begründungen konfrontieren.

Die Richter blieben davon unbeeindruckt. So fragten sie Periklis, warum seine damalige Lebensgefährtin nicht vor Gericht als Entlastungszeugin auftreten würde. Perikles erklärte, die Dame habe sich von ihm getrennt. Auch das ließ das Gericht nicht als Erklärung gelten.

Was nun richtig ist, sich von Verdächtigen, die später wie der Lebensgefährte Iriannas frei gesprochen werden, zu trennen, oder sich nicht zu trennen und vor Gericht solidarisch aufzutreten, das haben die Richter niemanden wissen lassen.