"Ein Weibchen hat den Roboter in den Arm genommen"

In der BBC-Serie „Spy in the Wild“ haben Dokumentarfilmer verschiedenste Tierarten unterwandert: Sie entsendeten Spionage-Roboter, die den Tieren verblüffend ähnlich waren. Und filmten Reaktionen, über die auch Zoologen staunen.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Jan Berndorff

Technology Review: Mr. Gordon, welche geheimen Informationen haben die Roboterspione für "Spy in the Wild" (deutsch als: "Spione im Tierreich") aus der Tierwelt mitgebracht?

Matthew Gordon: Unser Ziel war, Eigenschaften und Verhaltensweisen zu dokumentieren, von denen man früher dachte, sie wären allein dem Menschen vorbehalten: Liebe, Intelligenz und Freundschaft zum Beispiel. Dass sie auch bei Tieren zu finden sind, war zwar schon vor unseren Filmen kein Geheimnis mehr. Aber viele Aspekte sind schwer zu beobachten. Mit unserer Methode – möglichst echt wirkende Roboter als vermeintliche Artgenossen einzuschleusen – gelingt das recht gut: Wir kamen extrem nah an die Tiere heran und sammelten sehr persönliche Eindrücke aus ihrer Welt. Die Experten, die uns beraten haben, waren zum Teil ziemlich baff. Jill Pruetz, Schimpansenforscherin an der Texas State University, sagte, sie habe noch nie solch menschlich wirkende Gesichtsausdrücke bei den Tieren gesehen. Ein anderer sagte uns, mit den Aufnahmen hätten wir ihm zehn Jahre Arbeit erspart.

Spy in the Wild: Tierroboter (11 Bilder)

Roboterzoo der BBC

Für Die Dokumentation Spy in the Wild wurden 34 verschiedene Roboter gebaut.
(Bild: Stephen J Downer / John Downer Productions)

Sie haben vier einstündige Filme und ein Making-of produziert. Wie viele Tierarten haben Sie ausspioniert?

An die 50 – von Affen und Halbaffen über Elefanten, Fischotter und Delfine bis hin zu Fregatt- und Nashornvögeln. Wir haben 34 verschiedene Roboter gebaut, wobei nicht jeder einem Artgenossen der beobachteten Tiergruppe entsprach. Die Elefanten zum Beispiel haben wir mit vergleichsweise einfachen, fahrbaren Schildkröten- oder Reiherattrappen gefilmt. Also mit Tieren, die Elefanten meist unbeachtet unter sich dulden. Oder wir haben unsere Dung-Cam eingesetzt, die auch bei früheren Filmen zum Einsatz kam

Dung-Cam?

Das ist im Prinzip ein ferngesteuertes Auto mit Kamera, das aber aussieht wie ein Elefantenhaufen. Dieses Mal war die Attrappe aber realistischer: Sie roch auch nach Dung, weil wir sie damit eingeschmiert haben. Glücklicherweise hat die Episode ein Kollege gedreht, es hat bestialisch gestunken!

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Nicht alle Tiere ließen sich so einfach täuschen, oder?

Nein. Es hängt aber nicht immer davon ab, wie intelligent die Tierart ist, sondern auch, welche Verhaltensweise wir filmen wollten. Mit am aufwendigsten war unser Orang-Utan. Wir baten die berühmte Orang-Utan-Forscherin Biruté Galdikas um Rat. Sie sagte: „Da könnt ihr machen, was ihr wollt. Die werden sofort am Geruch erkennen, dass euer Roboter nicht zu ihnen gehört.“ Wir wollten es aber trotzdem versuchen. Also gab sie uns den Tipp, alles auf eine möglichst realistische Optik zu konzentrieren.

Wie haben Sie das erreicht?

Wir haben unter anderem die besten Animatroniker Englands engagiert, die auch schon für große Kinofilme wie „Harry Potter“ gearbeitet hatten. Die haben extrem detailverliebte, aufwendige Maschinen für uns gebaut. Da wurden die künstlichen Haare des Fells einzeln in die Silikonhaut gesteckt, damit sie richtig sitzen. Weil bei Orang-Utans vor allem die Mimik wichtig ist, arbeiteten allein im Gesicht dieses Roboters neben einer hochauflösenden Augenkamera mehr als 30 kleine Motoren, um möglichst viele Gesichtsausdrücke nachzuahmen. Außerdem konnte er die Arme so bewegen, dass er Holz sägen und sich die Arme einseifen konnte. Diese Verhaltensweisen hatten sich die echten Affen nämlich von den Menschen abgeschaut. Und wir wollten sie bei den Orangs gezielt auslösen, um sie zu dokumentieren.

Aber wenn die Affen den Roboter sofort als falsch erkennen – warum spielen sie mit?

Man kann sich das vorstellen wie unser Verhalten, wenn wir ein Wachsfigurenkabinett besuchen: Wir wissen, dass die Figuren nicht echt sind. Trotzdem schauen wir sie genau an, um sicherzugehen, und stellen uns daneben, um ihre Gesten nachzumachen. So ähnlich ergeht es den Affen: Sie inspizieren diese Kreatur, um zu verstehen, warum das kein Artgenosse sein kann. Und lassen sich verleiten, einige Dinge zu tun. So entstehen, auch ohne dass die Täuschung zu 100 Prozent wirkt, sehenswerte Bilder.

Wie teuer ist so ein Roboter?

Für die aufwendigen Exemplare hätte man auch ein Mittelklasse-Auto kaufen können.

Und die Tiere haben keinen Roboter zerstört?

Interessanterweise gingen fast alle Tiere respektvoll mit unseren Spionen um, auch wenn sie wussten, dass diese nicht zu ihnen gehören. Ein Wildhund hat allerdings unsere Attrappe eines Wolfsjunges zerbissen. Und ein Elefant ist beim Spielen mit dem Kunsttier auf unsere Schildkröte getreten. Aber sonst blieben alle Roboter unversehrt.

TR 04/2018

(Bild: 

Technology Review 04/2018

)

Dieser Beitrag stammt aus Ausgabe 04/2018 der Technology Review. Das Heft ist ab 22.03.2018 im Handel sowie direkt im heise shop erhältlich. Highlights aus dem Heft:

Haben Sie jede Bewegung ferngesteuert?

Einige Abläufe waren programmiert. Aber wir konnten sie jederzeit unterbrechen, um auf die Situation zu reagieren. Anfangs haben meine Kollegen und ich Tage gebraucht, um die Fernbedienung eines Roboters flüssig zu beherrschen. Bei manchen gab es sogar zwei Fernbedienungen, eine für Mimik und eine für Gestik. Und einige konnten auch Laute von sich geben – diese wurden als MP3-Datei eingespeist und per Bluetooth-Lautsprecher ausgespielt. Bei den späteren Modellen hatten wir den Dreh schneller raus.

Welche Reaktion der Tiere hat Sie am meisten beeindruckt?

Ein Szenario hat mich besonders ergriffen: Wir wollten das Babysitting-Verhalten von Languren in Indien filmen. Dazu haben wir eine Jungtierattrappe auf einen Ast gesetzt. Es dauerte nicht lang, bis ein Weibchen den Roboter in den Arm genommen hat. Sie merkte jedoch schnell, dass damit etwas nicht stimmte, und ließ die Attrappe fallen. Das Roboterjunge fiel zu Boden und blieb dort regungslos liegen. Dann kam ein anderes Weibchen, hob es auf, drückte es an die Brust und schien regelrecht seine Lebensfunktionen zu prüfen. Anschließend legte sie es sachte ab, als hätte sie den Tod festgestellt, andere Affen kamen dazu, schauten es einzeln an, beschnupperten es und nahmen sich gegenseitig in den Arm, als würden sie das Junge betrauern. Die Forscher bestätigten uns fasziniert, dass sie solche Rituale auch bei ech-ten Todesfällen unter Languren beobachtet hätten. Unser Roboter war also Gegenstand einer hochemotionalen Szene, ein magischer Moment.

War unter den Lauten, die Ihre Roboter produzieren konnten, auch ein Paarungsruf dabei – und gab es da Reaktionen?

In einem älteren Projekt haben wir mal eine Felsenpinguindame entwickelt, die um Männchen warb. Eines zeigte sich sehr interessiert, putzte ihr die Federn, warf laut rufend den Kopf in den Nacken. Doch dann kam sein eigentliches Weibchen – Pinguine gehen ja feste Beziehungen ein – und stoppte die Avancen: Sie rupfte so heftig an der Konkurrentin, dass diese umfiel. Das Pärchen versöhnte sich wieder. Unsere Filme zeigen also Geschichten wie im wahren Leben.

(anwe)