Medien in der Ukraine: Die Schock-Strategie

Bild: SBU

Nach der Mordinszenierung - Ein Gastkommentar

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Erfahrung zählt. Aus der Inszenierung um den angeblich geplanten Mord an dem ukrainischen Blogger Arkadi Babtschenko ging nur Europas Dienst ältester Außenminister unbeschädigt hervor: Sergej Lawrow reagierte auf die Nachricht über den angeblichen Mord am Mittwoch sichtlich gelassen. Es sei traurigerweise Mode geworden, so Lawrow, nach solchen Vorfällen sofort Russland zu beschuldigen. Das liege daran, dass sich die Ukraine "einer völligen Straffreiheit seitens ihrer westlichen Aufpasser" erfreue.

Während westliche Journalisten und Politiker sich wie üblich überschlugen, um durch nichts belegte Anschuldigungen Richtung Russland zu schicken, stellte sich die Angelegenheit als undurchsichtige Intrige des ukrainischen Geheimdienstes SBU heraus. Am schwersten dürfte dieser Vorgang das aktuelle deutsche Staatsoberhaupt beschädigt haben. Sichtlich erschüttert hatte Steinmeier am Mittwoch in Kiew die "brutale Art und Weise" des angeblichen Mordes verurteilt. Nun ist Steinmeier das Gespött auf unterschiedlichen Internetplattformen.

Dabei hatte der SPD-Mann schon Vorsicht walten lassen und sich gehütet, mit dem Finger in irgendeine Richtung zu zeigen. Er wies darauf hin, dass dies leider nicht die erste derartige Tat gewesen sei und leider habe sie nicht zum ersten Mal einen Journalisten getroffen. Der Bundespräsident sagte, er hoffe, dass eine "umfassende Aufklärung der Tat" möglich sei. Damit verwies er bereits diplomatisch darauf, dass dies in der Ukraine keineswegs die Norm darstellt.

Die folgenden Ereignisse dürfte Steinmeier unangenehm an die Vorgänge im Februar 2014 erinnert haben, als er persönlich ein Abkommen zwischen der damaligen Opposition und dem Präsidenten Janukowitsch aushandelte. Keine 24 Stunden später hatte die vom Westen unterstützte Opposition den Text zur Makulatur gemacht und einen gewalttätigen Umsturz eingeleitet. Seitdem haben sich die Zustände in der Ukraine keineswegs verbessert.

Einklagbare Menschenrechte existieren nicht, vielerorts üben rechtsradikale Milizen eine Gewaltherrschaft aus, aus dem Sozialstaat wird Kleinholz gemacht, das Sagen haben der IWF und die internationalen Geldgeber, die mit vielen Milliarden das Überleben der Poroschenko-Regierung sichern. Gegenüber Telepolis beschreibt die ukrainische Journalistin und Politologin Olga Semchenko die Situation mit sachlichen Worten:

Seit 2014 stehen so gut wie alle unabhängigen Medien in der Ukraine, die eine alternative Sichtweise auf das Geschehen im eigenen Land anbieten, unter Druck. Für diese verwendet die Regierung in der Regel einen "Dreierschlag": Sie initiiert Durchsuchungen und eröffnet Strafverfahren gegen Journalisten, es kommt zu Angriffen regierungsloyaler rechtsextremer Organisationen und schließlich entscheidet die Rundfunkaufsicht in Form des "Nationalen Rates für Fernsehen und Rundfunk", Geldstrafen oder sogar den Lizenzentzug zu verhängen, wie dies im Fall des Rundfunks Westi Ukraina geschehen ist.

Olga Semchenko

Olga Semchenko leitet als Direktorin die Media Holding Westi Ukraina, eine der letzten unabhängigen Medienanstalten. Immer wieder durchsuchten Polizei und Staatsanwaltschaft deren Räumlichkeiten, Mitarbeiter wurden bedroht und verprügelt. Sie vergleicht die Mediensituation in der Ukraine mit einem "abgebrannten Feld". Die Reste regierungskritischer Medien würden von der Regierung als "Unkraut und etwas Überflüssiges" dargestellt. Diese Erfahrung teilen in der Ukraine viele andere.

Der Journalist und Friedenaktivist Ruslan Kotsaba berichtet, erst unter der Regierung Poroschenko hätten "reale Einschränkungen der Meinungsfreiheit" begonnen. Man könne sich nur noch im Internet Werturteile erlauben oder vollwertige journalistische Untersuchungen zur Korruption in der Staatsmacht veröffentlichen. Die Staatsmacht lasse Journalisten und Blogger demonstrativ verhaften, die Selbstzensur hat Einzug gehalten (Warum Journalisten und Andersdenkende in der Ukraine Angst haben).

Die Staatsmacht schüchtert kritisch eingestellte Journalisten wie uns nicht nur mit Strafverfolgungsorganen oder Regulatoren ein, sondern hetzt auf objektiv berichtende Journalisten paramilitärisch organisierte Neonazis. Diese blockieren Fernsehsender sowie Redaktionen oppositioneller Medien und drohen uns mit körperlicher Gewalt. Ich zum Beispiel kann deswegen meinen Beruf nicht in vollem Umfang ausüben, denn ich wurde mehrmals von Rechtsextremen angegriffen.

Ruslan Kotsaba

Ruslan Kotsaba rief im Jahr 2015 auf, den Krieg in der Ostukraine zu beenden und die Mobilmachungswelle zu boykottieren. Daraufhin überzog ihn die Staatsanwaltschaft mit Prozessen wegen Hochverrat. Insgesamt verbrachte er bisher 524 Tage in ukrainischen Gefängnissen. Erst am vergangenen Montag sprach ihn ein Richter endgültig frei. Gegenüber Telepolis berichtet Kotsaba, die Regierung wolle "Loyalität und Gehorsam ausnahmslos aller ukrainischen Medien" erreichen. Leider sei sie damit erfolgreich: "Auf dem medialen Feld sind fast keine wirklich oppositionellen Medien übriggeblieben."

Das Schicksal ihrer ukrainischen Kollegen interessiert den deutschen Mainstream wenig. Am Mittwoch nutzte der größte Berufsverband, der Deutsche Journalistenverband (DJV), stattdessen seinen Twitter-Account, um zum Boykott der anstehenden Fußballweltmeisterschaft in Russland aufzurufen. Spätesten jetzt sollten die EU-Staaten ernsthaft über einen Boykott der WM 2018 nachdenken, so der DJV in einem später gelöschten Tweet mit Blick auf die Babtschenko-Inszenierung in der Ukraine. Nachdem der Fake bekannt wurde, entfernte man den Tweet.

Ähnlich ahnungslos und reflexhaft agiert die Bundesregierung. Auf eine Kleine Anfrage des europapolitischen Sprechers der Linken, Andrej Hunko, antwortete die Regierung, von Menschenrechtsverstößen in der Ukraine sei ihr nichts bekannt:

Die ukrainische Regierung bekennt sich zum Schutz der Menschenrechte in den von ihr kontrollierten Gebieten der Ukraine. In den nicht-regierungskontrollierten Gebieten der Ost-Ukraine und auf der Krim kommt es seit Ausbruch des Konflikts im März 2014 zu schweren Menschenrechtsverletzungen durch Russland bzw. die von Russland unterstützten Separatisten.

Bundesregierung

Andrej Hunko erinnern die Zustände in dem Land zwischen Russland und der EU zunehmend an die Schock-Strategie, die Naomi Klein in ihrem Klassiker zur neoliberalen Globalisierung beschrieb. Diese Schocks, militärische Niederlagen oder Naturkatastrophen sind in den vergangenen Jahrzehnten grundsätzlich dazu genutzt worden, um breite Privatisierungsmaßnahmen und den Abbau sozialstaatlicher Mechanismen durchzusetzen. Die massenhaften Privatisierungen, die Inflation und die politische Willkür in der Ukraine gehören zusammen, so Hunko.

Monitoring der Meinungsfreiheit in der Ukraine gefordert

Doch egal ob die ukrainische Regierung Redaktionen durchsuchen lässt, den Internet-Zugang zu Nachrichtenseiten und sozialen Medien sperren lässt oder Rechtsradikale tagelang einen Fernsehsender belagern, so geschehen erst im Dezember 2017 bei NewsOne, in Deutschland und der EU will man diese Zustände bisher nicht zur Kenntnis nehmen. Die Fraktion Die Linke hat für den 11. Juni zahlreiche Politiker, Journalisten und Bürgerrechtsaktivisten zu einer Konferenz in den Bundestag eingeladen, darunter auch Ruslan Kotsaba und Olga Semchenko.

Ihre wichtigste Forderung: "Wir wünschen uns die Gründung einer unabhängigen Kommission des EU-Parlaments für Meinungsfreiheit in der Ukraine", so Olga Semchenko. Man solle in Deutschland nicht nur die offizielle Position der ukrainischer Behörden wahrnehmen, sondern auch die Stimme von Vertretern derjenigen Medien hören, welche systematisch unter dem Druck der ukrainischen Staatsmacht stehen. Auch Ruslan Kotsaba wünscht sich von den Regierungen der EU-Staaten "ein konsequentes und uneingeschränktes Monitoring bezüglich der Meinungsfreiheit in der Ukraine". Er geht davon aus, dass die westlichen Geldgeber in der Lage wären, unabhängige Journalisten zu schützen.

Menschenrechte und Medienfreiheit in der Ukraine, Konferenz, 11. Juni 2018, 17:00 - 20:45, Bundestag, Berlin.

Malte Daniljuk ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Europapolitischen Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag. Er war Fellow für Energiepolitik und Geostrategie der Rosa-Luxemburg-Stiftung und arbeitete als Redakteur für Hintergrund und Analyse für RT Deutsch und Amerika21. Zuvor studierte an der Freien Universität Berlin Publizistik und Kommunikationswissenschaften. Seine thematischen Schwerpunkte sind Internationale Beziehungen und Energiepolitik, Medien und Mediensysteme sowie Sicherheitspolitik und Menschenrechte.

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