Das Risiko der dauerhaft Radikalisierten

Angeblich französischer Dschihadist aus einem IS-Propaganda-Clip

Die französische Regierung trifft Vorkehrungen, weil Entlassungen von Strafgefangenen anstehen, die wegen Terrorismus inhaftiert oder als radikal-islamistisch aufgefallen sind

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Nach schlechten Erfahrungen mit Programmen zur De-Radikalisierung lässt sich der Stand der Erkenntnis in Frankreich zu Personen mit einer dschihadistisch unterlegten Gewaltbereitschaft oder einem Extremismus, der Gewalt in Kauf nimmt, in etwa so zusammenfassen: Einmal radikal-islamistisch heißt auf Dauer radikal-islamistisch.

Das hat Konsequenzen für französische Staatsbürger, die sich in Syrien oder im Irak dem sogenannten "Islamischen Staat" (IS) angeschlossen hatten. Sie sollen - mit Ausnahme der Kinder - möglichst nicht mehr nach Frankreich zurückkehren. Dafür sorgen, je nach Einschätzung der Gefährlichkeit der IS-Mitglieder, französische Spezialeinheiten in den genannten Ländern oder Gerichtsverfahren, die von Paris dorthin delegiert werden. Selbst wenn, wie sich das im Fall der Kurden gezeigt hat, Grundlagen für eine souveräne Justiz fehlen.

Bisher sorgten vor allem Fälle von Französinnen, die mit IS-Kämpfern liiert waren, für Medienaufmerksamkeit. Zuletzt war es eine Verurteilung zu lebenslänglicher Haft, die ein Gericht im Irak gegen eine Französin verhängt hat, weil sie Mitglied des IS war.

Ihr Anwalt versucht dagegen zu argumentieren, dass die Frau von ihrem Mann getäuscht wurde und sie mit den Akten des IS überhaupt nicht einverstanden gewesen sei. In den Medienberichten dazu herrschte der Tenor vor, dass die französische Regierung dieses Urteil begrüßt und daraus im Austausch mit Regierungsstellen in Bagdad kein Hehl gemacht habe.

Schon vor Monaten hatte die Regierung in Paris weithin vernehmbar erklärt, dass man in solchen Fällen nur eingreife, wenn eine Todesstrafe ausgesprochen wird.

"Sie sind ein ernsthaftes Risiko"

Nun stehen, wie der für Terrorismus-Fälle zuständige Staatsanwalt François Molins kürzlich erklärte, in Frankreich relativ viele Entlassungen von Männern an, die im Zusammenhang mit Terrorismus verurteilt wurden, bzw. die als radikal eingestuft werden. "Sie sind ein ernsthaftes Risiko", warnte Molins Ende Mai und machte die Behörden darauf aufmerksam, dass es gelte diese Fälle im Auge zu behalten und gut zu kooperieren.

In diesem Jahr würden 20 entlassen und im nächsten Jahr weitere 20, so der Leiter des in Frankreich bekannten "parquet antiterroriste". Bekannt ist eben auch, dass sich unter Angreifern oder Attentätern in Frankreich häufig Personen befanden, die beim Geheimdienst eine Akte hatten, die berühmte Fiche S(icherheit), was aber aus unterschiedlichen Gründen ihre Aktionen nicht verhindert hatte.

Die Entlassung von 10 Prozent der 512 islamistischen Häftlinge bis Ende 2019 beunruhigt das Innenministerium unter Gérard Collomb, präzisierte heute ein Bericht von Le Monde. Auch ein berühmter Fall sei darunter: Djamel Beghal, der "Mentor" von Chérif Kouachi und Amedy Coulibaly, den Attentätern der Anschläge im Januar 2015 auf Charlie Hebdo und den Markt für koschere Produkte, Hyper Cacher.

Das Innenministerium hat sich vorbereitet, will der Zeitungsbericht vermitteln. Es wurde eine neue Einheit aus der Taufe gehoben, die sich um die Radikalisierten für die Zeit nach der Haftstrafe kümmert. Dazu gehört, dass nun jedem, je nachdem ob er wegen terroristischer Gründe oder wegen andere Gründe im Zusammenhang mit Radikalisierung verurteilt wurde, ein bestimmter Geheimdienst zur Nachbetreuung zugewiesen wird, vom DGSI bis zum SCRT.

"Es gibt keine Reumütigen"

Für Personen, die aus dem Ausland stammen, hat man laut Informationen der Zeitung die "Antizipation verbessert" und Verfahren konzipiert, die dafür sorgen, dass sie sofort nach der Entlassung abgeschoben werden. Bemerkenswert ist dies, weil es anscheinend in der Vergangenheit mehrere Fälle gab, bei denen die Betreffenden eine Klage vor Gericht eingereicht hatten, welche die Abschiebung verhinderte.

Betont wird im Bericht an mehreren Stellen, dass es unter den Radikalisierten "keine Reumütigen" gebe und dass man deswegen eine große Dauer der Gefahr, die von ihnen ausgeht, unterstellen müsse und sie entsprechend unter amtlichen Radar halten müsse.

Bemerkenswert ist die Beobachtung, wonach die "Szene" in den häufig überfüllten Gefängnissen gut verbunden sein soll. Das zeige sich unter anderem in den Hochzeiten zwischen voneinander entfernten Partner, die einem religiösen Zeremoniell folgen und über soziale Medien vereinbart werden. Damit würden die Netze lebendig gehalten.