Ukraine: Boykottaufforderungen zur Fußball-WM

Plakat zum Boykottaufruf. Bild: Andriy Yermolenko

Der öffentlich-rechtliche Fernsehsender lehnte die Übertragung ab, der als russlandfreundlich geltende Sender "Inter" erwarb die Rechte, ein Verbot scheiterte im Parlament

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"Während du Fußball guckst, wird Russland weiter töten", sagte der ukrainische Oberst Sergej Sobko, Kommandeur einer Brigade an der Front im Donbass. Es gebe kein Faiplay im Nachbarland. Der Video-Aufruf des Offiziers vor einem Tarnnetz ist nur einer der vielen Appelle in der Ukraine, die gegen die Fußball-WM gerichtet ist.

Am Donnerstag rollt die Weltmeisterschaft in Russland an, ukrainische Fußballfans werden sich dann in einem Land aufhalten, das seit 2014 die Separation der Donbassregion unterstützt.

"Denkt zehnmal darüber nach, ob ihr in das Land des Aggressors reist" so Iryna Heraschtschenko, die stellvertretende Parlamentspräsidentin in Kiew zu den urkainischen Fußballfans, die in die russischen Stadien wollen. Auch das Außenministerium hatte eine entsprechende Warnung ausgesprochen, die Spiele zu meiden.

Die ukrainische Regierung könne nicht für die Sicherheit ihrer Landsleute sorgen. Die russischen Behörden würden unter dem Vorwand des Kampfes gegen Terror und Spionage Ukrainer verhaften wollen und andere "provokative Aktionen" starten. Derzeit schränke Russland das Konsularrecht bei verhafteten ukrainischen Staatsbürgern ein. Auch vor gewalttätigen Fans wurde gewarnt.

Viele Boykott-Befürworter weisen auf den ukrainischen Filmemacher Oleg Sentsov, der zu 20 Jahre Lagerhaft verurteilt worden ist und sich seit Mitte Mai im Hungerstreik befindet. Hierzu gibt es Verhandlungen zu seiner Freilassung (Generalstaatsanwalt leitet gegen Politiker Ermittlungen wegen Hochverrats ein.

Der russische Präsident Wladimir Putin hat zumindest der Ukraine vergangene Woche gedroht, es werde "schwere Folgen" haben, wenn während des Turniers Angriffe auf die prorussischen Separatisten erfolgen würden.

Hätte sich die Ukraine qualifiziert, wäre die Situation sicherlich prekärer. Das Ausscheiden wurde von den Offiziellen in der Ukraine darum mit Erleichterung aufgenommen. Viele Fans hätten eine Teilnahme der Nationalmannschaft als "Hochverrat" empfunden. Andere wiederum bestanden auf einer Präsentation der ukrainischen Elf beim feindlichen Nachbarn.

Ginge es nach dem Willen der Regierung des Landes, das 2012 zusammen mit Polen die Europameisterschaft ausrichtete, wäre das Fußball-Event in der Ukraine gar nicht zu empfangen. Lange war es unsicher, ob die Ukrainer via Fernsehsessel an der WM teilhaben können.

Der öffentlich-rechtliche Fernsehsender "UA:Suspilne mowlennja" lehnte eine Ausstrahlung aus politischen Gründen ab. Auch der Fußballspezialist "Media Group Ukraine", die dem Milliardär Rinat Achmetow gehört, hatte offiziell eine Übertragung abgelehnt. "Sport soll die Menschen verbinden und nicht ein Anlass für Zwietracht liefern", so die Begründung.

Die Rechte konnte sich nach vier Monaten Verhandlung der TV-Kanal "Inter" am 29. Mai sichern. Er steht als russlandfreundlicher Sender in der Kritik und wird von Mitgliedern der rechtsnationalistischen Freiwilligenverbände geächtet. Der Deal sorgte darum für Kontroversen in der Ukraine, da die Übertragung für russlandfreundliche Propaganda genutzt werden könne.

Doch im Parlament des Einkammersystems fehlte dann am 7. Juni die Mehrheit, um eine Ausstrahlung der Spiele zu verbieten. Kritiker glaubten, dass bei einem Verbot viele die Spiele auf russischen Sendern anschauen würden und so der Propagandaeffekt noch größer sei. "UA:Suspilne mowlennja" erklärte, ein Sendeverbot würde mit einer schweren Geldstrafe von Seiten der FIFA geahndet.

Nun wird in den sozialen Netzwerken vom Fußballschauen abgeraten. Dort wurde das Logo der russischen WM zu einem schreienden Totenkopf umgeformt, der der Maske des Horrorfilms "Scream" nachempfunden ist.

Trotz der Appelle steigt aber der Kartenverkauf in der Ukraine weiter. 6000 Ukrainer haben sich bereits Tickets besorgt, schreibt die Internetzeitung "Ukrainska Pravda". Mitte der vergangenen Woche waren es noch 5000. Weltweit wurden bislang 4,2 Millionen Tickets verkauft, 872.000 von Russen, 88.000 von Amerikanern , 62.500 von Deutschen.