Deutsche Medien zur Ukraine: Angst vor der Wahrheit

Ruslan Kotsaba. Bild: Die Linke/CC BY-2.0

Die deutsche Elite hat aus der Ukraine einen heiligen Ort gemacht, wo es zwar Fehler gibt, das neue System aber auf dem richtigen Weg ist und nichts wirklich Demokratie-gefährdendes passiert

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Immer dann, wenn in der Ukraine ein kritischer Journalist oder Andersdenkender von Rechtsradikalen oder Ultranationalisten überfallen oder getötet wird, wenn die Redaktionsräume kritischer Websites wie Strana.ua oder dem Internet-Portal Timer in Odessa von Geheimdienstbeamten durchsucht werden, wenn ukrainische Journalisten wegen Landesverrat verhaftet werden, wie am 15. Mai Kirill Wischinski, der Büroleiter der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Ria Novosti in Kiew, und vor ihm - im August 2017 - der ukrainische Journalist Wasili Murawizki , schweigen die großen deutschen Medien oder berichteten nur am Rande.

Doch am 30. Mai 2018 brach plötzlich Unruhe in den großen deutschen Medien aus. In großen Schlagzeilen berichteten sie vom Mord-Anschlag auf den Journalisten und scharfen Putin-Kritiker Arkadi Babtschenko. Stunden später stellte sich heraus, dass Babtschenko lebt und der "Mord" eine Inszenierung des ukrainischen Geheimdienstes war, bei welcher der Journalist mitgespielt hatte (Die Schockstrategie).

Überarbeiteter Redebeitrag von Ulrich Heyden auf der Konferenz "Medienfreiheit und Menschenrechte in der Ukraine", die am 11. Juni 2018 im Bundestag von der Fraktion "Die Linke" veranstaltet wurde.

Woher das plötzliche Interesse an toten Journalisten?

Was steckte hinter dem plötzlichen Interesse deutscher Medien für tote Journalisten in der Ukraine? War es die Sorge um das Leben kritischer Journalisten? Ich glaube nicht. Der Hauptgrund war, dass man wieder Russland als angeblichen heimlichen Drahtzieher in den Fokus stellen konnte.

Diese Wertung mag einigen gewagt erscheinen. Doch wo waren die Schlagzeilen in den deutschen Medien, als im April 2015 der Russland-freundliche Journalist Oles Busina in Kiew direkt vor seinem Haus - vermutlich von Rechtsradikalen - niedergeschossen wurde? Wo waren die Schlagzeilen in Deutschland als im Juli 2016 der liberale Kiewer Journalist Pawel Scheremet mit einer Autobombe getötet wurde? Beide Morde wurden bis heute nicht aufgeklärt.

Warum berichteten die großen deutschen Medien nicht oder nur am Rande, als die kritischen ukrainischen Fernsehsender NewsOne und Inter 2016 und 2017 von ukrainischen Ultranationalisten tagelang belagert wurden. Beim Russland-freundlichen Kanal Inter fackelten die Ultranationalisten sogar einen kompletten Redaktionsraum ab. Wenn es so etwas in Russland gegeben hätte, dann hätten die deutschen Medien sicher breit berichtet.

Welche große deutsche Zeitung berichtet über den Fall Kotsaba? Keine Einzige. Welches große deutsche Medium berichtete, dass die Massaker auf dem Maidan und in Odessa 2014 immer noch nicht aufgeklärt und immer noch Niemand verurteilt wurde? Welches große deutsche Medium berichtet über meinen Film "Lauffeuer" zu den Brandangriffen auf das Gewerkschaftshaus von Odessa. Kein einziges. Es ist der einzige deutschsprachige Film, der die politischen Hintergründe des Brandanschlages ausleuchtet.

Deutschland hat etwas zu verbergen. Die deutsche Elite ist heimlich verbunden mit der Regierung in Kiew. Man will ihr nicht durch negative Berichte schaden. Anders kann ich mir dieses schon vier Jahren andauernde Schweigen nicht erklären.

Dieses Schweigen hat katastrophale Folgen für die Glaubwürdigkeit der deutschen Demokratie. Und eben dieses Schweigen ist einer Gründe, warum die Volksparteien in Deutschland massiv an Vertrauen verloren haben.

Bild: Die Linke/CC BY-2.0

Wenn die deutschen Medien sich an journalistische Standards halten würden, dann würden sie auch die ukrainischen Regierungskritiker und kritische ukrainische Journalisten zu Wort kommen lassen. Diese berichten über die gewalttätigen Ausschreitungen rechtsradikaler und nationalistischer Kräfte, die Rentner überfallen, die das russische St. Georgs-Band tragen, sie berichten darüber wie Ultranationalisten ukrainische Gerichte besetzen, wenn ihnen Richtersprüche nicht passen, so geschehen im November 2015 in Odessa.

Die kritischen ukrainischen Journalisten berichteten auch darüber, dass das Stadtparlament in der südukrainischen Stadt Tscherkassk im Januar 2018 von Ultranationalisten der "Nationalen Bürgerwehr" besetzt wurde. Der Vorfall erinnerte mich an den Terror der SA und der NDSDAP gegen Sozialdemokraten, Kommunisten und andere Oppositionelle vor dem Machtantritt Hitlers.