NSU: Die Brandenburg-Chemnitz-Connection

Grafik: TP

Untersuchungsausschuss in Potsdam vernimmt den Neonazi Uwe Menzel, der Kontakt zum Umfeld des Trios hatte, mindestens zwei der Angeklagten in München kennt - und mit der Polizei kooperierte

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In München werden die Prozessakten gegen Beate Zschäpe und die vier anderen Angeklagten in absehbarer Zeit zugeklappt. Doch in Potsdam, wo einer der weiterhin fünf NSU-Untersuchungsausschüsse tagt, werden immer neue Puzzlestücke zum Hintergrund des Skandales um die zehn Morde an neun Migranten und einer Polizistin aufgedeckt. Und immer führen Spuren auch zu den Sicherheitsbehörden und ihrem Personal.

Nach dem Neonazi und Ex-V-Mann Carsten Szczepanski vernahm der Ausschuss nun einen weiteren führenden Kopf der rechtsextremen Szene Brandenburgs: Uwe Menzel. Im Gegensatz zum offiziell abgezogenen Szczepanski, mischt Menzel noch in der Szene mit. Zum Beispiel mit einer Rechtsrockband namens Uwocaust und RAConquista. Auch bei Menzel gibt es fragwürdige Berührungspunkte mit der Polizei.

Neonazis, die viele Jahre in der Szene aktiv sind und/oder führende Positionen einnehmen, sind doppelt verdächtig: Nicht nur, weil ihr primitiver und überbordender Menschenhass so lange Nahrung zu haben scheint, sondern auch, weil sie in dieser langen Zeit kaum den Lockungen oder Erpressungen der Sicherheitsbehörden widerstanden haben können, ohne sanktioniert worden zu sein.

Die Bilanz spricht eine eigene Sprache. Der Thüringer Heimatschutz: geführt von zwei V-Leuten; der Fränkische Heimatschutz und das Thule-Netz: geführt von einem V-Mann; die Hammerskins Sachsen: geführt von einem V-Mann; Blood and Honour (B&H) Thüringen: geführt von einem V-Mann; Blood and Honour sowie Furchtlos und Treu Baden-Württemberg: geführt von einem mutmaßlichen V-Mann; B&H Sachsen: geführt von einem mutmaßlichen V-Mann; B&H Deutschland: geführt von einem V-Mann; der designierte Nachfolger von B&H Deutschland: ein V-Mann; Gründer und Führer der Hooligans gegen Salafisten (Hogesa): ein V-Mann; der Ku Klux Klan-Anführer von Brandenburg: ein V-Mann; die zwei KKK-Anführer von Schwäbisch Hall: V-Männer; die jahrelange Führungsfigur der rechtsextremen Szene Kölns: ein V-Mann; die Führungsfigur der Szene in Zwickau: ein V-Mann - und so weiter und so fort.

Die Behörden haben oft leichtes Spiel mit den Kandidaten. Größere oder kleinere Delikte gehören zum Alltag von Neonazis: Körperverletzungen, Hausfriedensbruch, Landfriedensbruch, Waffenbesitz, Propagandadelikte sowieso. Bei Vernehmungen und erst Recht in U-Haft werden sie vor die Alternative gestellt: Kooperation oder Strafverfolgung. Manchmal wird auch mit finanziellen Angeboten an die chronisch geldknappen Kameraden nachgeholfen. Da, wer vorzugsweise auf Schwache eintritt, nicht der Mutigste sein kann, erklären sich die Helden nicht selten zum Verrat bereit und werden ganz ordinäre Zuträger der Behörden. Selbst die mit oft stattlichen Staturen.

Menzel

Kommen wir nun zu Uwe Menzel, dem Zeugen im NSU-Ausschuss von Brandenburg. Der 44-Jährige aus Potsdam ist seit seiner Jugend als Neonazi unterwegs. Er war Wortführer des später verbotenen Netzwerkes Blood and Honour und spielte in diversen Neonazi-Bands wie den "Proissenheads". Seit Anfang der 1990er Jahre hat er auch Kontakt zur entsprechenden Szene in Chemnitz, jener Stadt, in der das 1998 geflohene Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe unterkam.

Menzel war eng befreundet mit Jan Werner, der dem Trio Waffen besorgen sollte, mit den Probsts, die Pässe für die Flucht ins Ausland zur Verfügung stellen wollten, mit Thomas Starke, der die erste Anlaufstation der drei Jenaer war und später V-Mann wurde, mit Thomas Rothe, bei dem sie einige Zeit wohnten, mit Hendrik Lasch, der als Zeuge im Nünchner Prozess erklärte, die drei Gesuchten hätten in Chemnitz eher offen gelebt als im Untergrund.

Leute, die auch Menzels Kamerad Carsten Szczepanski im Auftrag des Brandenburger Verfassungsschutzes immer wieder traf.

Er sei alle drei bis vier Wochen in Chemnitz oder mit den Chemnitzern zusammen gewesen, so Menzel jetzt gegenüber dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA). Er hatte in der Stadt verschiedene Adressen, wo er übernachtete. Dazu zählte auch eine Wohnung, in der das Trio selber einmal untergekommen war. Trotzdem will er Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe weder getroffen noch gekannt haben. Er will auch nicht gewusst haben, dass in der Szene von drei Flüchtigen gesprochen worden war.

Als ein Ausschussmitglied das als unglaubwürdig bezeichnet, erklärt Menzel: "Wenn ich gefragt worden wäre, da sind drei, die müssen untertauchen, hätte ich geholfen. Ich bin aber nicht gefragt worden."

Die Abgeordneten können Menzel anhand ihrer Unterlagen nachweisen, dass er zumindest die beiden in München Angeklagten Holger Gerlach und André Eminger kennt. Er räumt das ein. Mit Gerlach war er einmal auf einer Geburtstagsfeier zu einem Zeitpunkt, als der dem in der Illegalität lebenden Trio Papiere von sich zur Verfügung gestellt hatte. Mit Eminger, der in Zwickau für Beate Zschäpe eine wichtige Bezugsperson war, ist der Kontakt so vertraut, dass Menzel von dem U-Häftling vor ein paar Wochen einen Brief erhalten habe.

Doch auch von den NSU-Morden habe er vor 2011 nichts gewusst, so Menzel. Morde an "Dönerverkäufern und Blumenhändlern" halte er für "völlig sinnlos", erklärte - so als gebe es für ihn "sinnvolle" Morde. Zugleich versuchte er die Ungereimtheiten der Mordserie zu benutzen, um den Tatverdacht gegen die mutmaßlichen Täter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zu zerstreuen. Dabei griff er zur Formulierung "die beiden Namensvettern von mir", die er doch angeblich gar nicht gekannt haben will.

Im Protokoll einer Telefonüberwachung von April 2000 sind die Abgeordneten auf eine Stelle gestoßen, an der Menzel den Satz sagt: "Die haben ein paar Sachen offen, wilde Sachen, ist ihnen zur Zeit zu heiß". Um wen es sich gehandelt hat, vermochte der Zeuge nicht zu sagen.

Der Verdacht, die "Nationale Bewegung" sei vom Verfassungsschutz gesteuert worden, ist bis heute nicht ausgeräumt

Menzel sympathisiert mit der Terrororganisation Combat 18, seine Sprache, seine Liedtexte und Interviews sind voll mit gewaltverherrlichender Rhetorik. ("Terrormaschine", "Achse der Gewalt") Auf die Frage nach der nützlichsten Erfindung der Menschheit hatte er einmal in einem Interview geantwortet: "Gaskammern!" In einem Lied, das er dem "Verräter Szczepanski" gewidmet hat, heißt es: "Wir sind der Strick an deinem Genick."

Und er war bewaffnet. Noch im Juni 2000 bestellte Menzel bei Szczepanski Waffen. Das Geschäft kam nicht zustande, Szczepanski wurde als V-Mann enttarnt und offiziell abgeschaltet. Die Details der Enttarnung liegen bisher noch im Dunkeln. Das Waffengeschäft könnte eine Rolle gespielt haben. Im Juli 2000 fand bei Menzel eine Hausdurchsuchung statt. Die Polizei stellte unter anderem Pistolen der Marke Ceska und Tokarew sowie ein Kleinkalibergewehr sicher. Mit einer tschechischen Ceska wurden zwischen 2000 und 2006 neun Migranten erschossen. Mit einer russischen Tokarew wurde 2007 in Heilbronn ein Polizeibeamter schwer verletzt.

Dann tat sich Seltsames um die Neonazi-Figur Uwe Menzel. In Brandenburg tauchte damals eine letztlich nie aufgeklärte "Nationale Bewegung" in Erscheinung, die vornehmlich Propagandadelikte verübte.

Der Staatsschutz des Landeskriminalamtes ermittelte, vor allem sechs Personen galten als tatverdächtig, darunter Menzel. Nach einem Brandanschlag auf die jüdische Trauerhalle in Potsdam übernahm die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen. Im Februar 2001 fand eine Razzia gegen etwa 20 Verdächtige statt. Sie musste vorgezogen werden, weil sie über einen V-Mann an die Szene verraten wurde. Aber: Uwe Menzel wurde verschont und von der Razzia ausgenommen. Die Ermittlungen wurden irgendwann ergebnislos eingestellt. Der Verdacht, die "Nationale Bewegung" sei vom Verfassungsschutz gesteuert worden, ist bis heute nicht ausgeräumt.

Er sei nicht an der Gruppierung beteiligt gewesen, so Menzel, und wisse auch nicht, wer daran beteiligt war.

"Sind Sie einmal vom Verfassungsschutz Brandenburg angesprochen worden?", wollte eine SPD-Abgeordnete wissen. "Nicht, dass ich wüsste", antwortete Menzel, ergänzte aber: "Vom Staatsschutz und dem Landeskriminalamt schon." Zwei bis drei Mal sei ihm im Rahmen von Vernehmungen das Angebot auf Zusammenarbeit gemacht worden. Man werde vor die Alternative gestellt, als Spitzel zu arbeiten oder ein Ermittlungsverfahren zu bekommen. Manchmal werde das auch über "das Finanzielle" versucht und angeboten, einem "finanziell zu helfen".

Er habe aber alle Angebote auf Zusammenarbeit abgelehnt, so Menzel: "Ich habe mich nicht einmal kaufen lassen."

Ganz so eindeutig ist das nicht. Aus Ermittlungsunterlagen, die dem Ausschuss vorliegen, geht hervor, dass er Kameraden belastet hat und dass er einen Gesprächsauftrag des BKA annahm, sprich Informationen beschaffen sollte. Nun geriet Menzel ins Schleudern. Ja, er habe sich dazu bereit erklärt, räumte er ein, aber er habe es dann nicht gemacht. Er habe gegenüber dem BKA nachgegeben, um seine "Ruhe" zu haben.

Allerdings gibt es auch Hard Facts im Verhältnis Menzel - Polizei. Die war darauf gestoßen, dass es in der Szene eine Maschinenpistole geben musste - und verlangte von ihm, sie zu besorgen. Der tat wie befohlen. "Haben Sie der Polizei eine Maschinenpistole übergeben?", fragte die Abgeordnete der Grünen, und der Angesprochene antwortete kleinklaut mit "Ja". Bei der Hausdurchsuchung im Juli 2000 hätten die Ermittler damit gedroht, "alles in Potsdam auseinander zu nehmen, um die Waffe zu finden". Da er gewusst habe, dass es sich um eine Dekowaffe gehandelt habe, habe er sie besorgt und einen Tag später der Polizei ausgehändigt.

So etwas könnte man objektiv als eine "Zusammenarbeit" bezeichnen, egal wie Menzel selber das erklärt.

Am Ende wurde der Zeuge Menzel vereidigt. Wie wenige Tage zuvor der Ex-V-Mann Szczepanski wurde auch Menzel für das Publikum nur hör-, aber nicht sichtbar in einem anderen Raum vernommen. Erneut waren die Sicherheitsvorkehrungen groß. Es wirkte wie ein Schutz für einen Neonazi. Inzwischen weiß man, auch aus anderen Untersuchungsausschüssen, dass denen öffentlichen Auftritte eher unangenehm sind. Vor allem, wenn sie mit intelligenten und zwingenden Fragen konfrontiert werden.