Der Tsipras-Merkel-Deal

Merkel und Tsipras beim EU-Gipfel in Bratislava, im September 2016. Foto: Andrej Klizan / gemeinfrei, CC0 1.0

Mehrwertsteuerrabatt für Griechenland als Preis für die Kanzlerschaft? Ein Kommentar

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An der Flüchtlings- und Migrationsproblematik manifestiert sich ein fundamentales Hauptproblem der europäischen Politik. Auf Drängen und Sorgen der Bürger wird verbal mit widersprüchlichen Absichtserklärungen reagiert, Werte werden beschworen, frühere Versprechen vergessen.

Der Bazar

Am Ende sind alle Bürger, ob rechts oder links angesiedelt, von ihren Volksvertretern enttäuscht und frustriert. Schließlich wird über das Schicksal der Schutzsuchenden wie auf einem orientalischen Bazar geschachert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte sich mit einem gesamteuropäischen Kompromiss in der Flüchtlingsfrage Luft im Konflikt mit CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer verschaffen. Es ist ihr nur teilweise gelungen. Der bayerische Unionspolitiker hat mit Blick auf die Landtagswahlen in seinem Bundesland Teile der AfD-Agenda implementiert und hetzt die Kanzlerin in die gleiche Richtung.

Merkel benötigte ein entsprechendes Kommuniqué ihrer europäischen Amtskollegen und/oder bilaterale und trilaterale Vereinbarungen mit einzelnen EU-Staaten, welche Deutschland bezüglich der Flüchtlinge und Migranten entlasten.

Verstärkter Grenzschutz in Griechenland?

Beim Gipfel der Regierungschefs der Europäischen Union wurde hinsichtlich der Reform des europäischen Asylrechts keine allgemeingültige, praktikable Einigung erzielt. Die Aussagen über einen verstärkten Grenzschutz durch einen weiteren Ausbau der Frontex stehen zwar auf dem Papier, konkretisiert wurden sie jedoch nicht.

In Griechenland hieß es, dass auch Drohnen zur Grenzüberwachung eingesetzt werden sollten. An der Landesgrenze zur Türkei mag dies noch gehen. In der Ägäis herrschen allerdings oft so starke Winde vor, dass selbst die bemannten griechischen Rettungshubschrauber passen müssen.

Absichtserklärungen ....

Zudem bestehen hinsichtlich der sogenannten regionalen Ausschiffungsplattformen, mit denen sich die "Festung Europa" die Migrationsproblematik zu Lasten afrikanischer und weiter dritter Staaten fern halten möchte, Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit internationalen Menschenrechtskonventionen.

Das Uno-Flüchtlingswerk UNHCR und die Internationale Migrationsorganisation IOM, die beide in die neue EU-Asylpolitik eingebunden werden sollen, stellen Bedingungen. Zu allem Überfluss haben die angedachten Aufnahmeländer, Libyen und Albanien, bereits abgewunken.

Die gemeinsame Erklärung der EU-Regierungschefs, die nach Meinung der Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament, Ska Keller, das Recht auf Asyl in Europa beerdigt, zeigt zweifelsohne, dass die EU im Zeitalter des Populismus nicht mehr an humanitären Vorzeigewerten interessiert ist. Sie ist jedoch in der vorliegenden Form lediglich eine Absichtserklärung.

... aber Greifbares für die deutsche Kanzlerin

Die Kanzlerin hat allerdings etwas für ihre Belange Greifbares ausgehandelt. Griechenland und Spanien erklärten sich bereit, in ihren Ländern registrierte Flüchtlinge, die es bis an die Grenzen Deutschlands und Österreichs geschafft haben, zurückzunehmen. Italien, das Land, aus dem aktuell die meisten nach Deutschland und Österreich kommenden Flüchtlinge und Immigranten kommen, sträubt sich dagegen.

Nach Aussagen des griechischen Premierministers Alexis Tsipras beim Sondergipfel zur Flüchtlingsfrage in Brüssel am vergangenen Sonntag, gibt es aktuell "keine Sekundärströme von Flüchtlingen, weil die Nordgrenze [zu Nord-Mazdonien] geschlossen ist". Tsipras hat sich jedoch seine Zusage zum Deal bezahlen lassen.

Auch er ist im Heimatland unter Druck. Zwei Abgeordnete der Regierungskoalition haben ihre Partei, die Unabhängigen Griechen, aus Protest wegen des Kompromisses im Namensstreit mit der nun Nord-Mazedonien genannten Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien verlassen. Tsipras braucht ebenso wie Merkel greifbare Erfolge.

Tsipras: "Mehrwertsteuererhöhung für Inseln ausgesetzt"

Über Twitter meldete der griechische Premier, dass im Gegenzug zu seinem Einlenken - übrigens einem Verrat an den von ihm einst beschworenen linken Idealen - die Mehrwertsteuererhöhung für die von der Flüchtlingskrise betroffenen griechischen Ägäis-Inseln ausgesetzt wird.

Tsipras bezeichnete die übrigens von ihm selbst im Parlament ratifizierte Steuererhöhung als extrem ungerecht. Seine Abkehr von linken Dogmen lässt sich Tsipras somit bezahlen. Wer außer der begünstigten Merkel hat die Ausgleichszahlungen für den Mehrwertsteuerrabatt wohl versprochen?

Kurzfristig verschaffen sich Merkel und Tsipras mit ihrer bilateralen Einigung damit Luft. Langfristig jedoch müssen die Bürger beider Länder für die Folgen gerade stehen. Daheim in Athen klagt Tsipras über inhumane EU-Kollegen, die fundamentale Menschenrechte in Frage stellen.

Das Narrativ des früheren EU-Spitzenkandidaten der Linken ist weiterhin links, tatsächlich aber hat er den Merkelismus adaptiert. Er fährt von Tag zu Tag auf Sicht durch die Nebelschwaden des Chaos, welches er selbst angerichtet hat. Und er feiert sich dabei für seine angeblichen Erfolge. So gesehen sind zumindest Griechenland und Deutschland beim aktuellen EU-Gipfel zumindest auf Ebene der Regierungschefs einig.