Die meisten Journalisten sollten unsicher sein und dies auch kommunizieren

Kaputte Medienlogik, Desinformation und Russlandbilder: Interview mit Michael Meyen, Verfasser von "Die Welt im Ausnahmezustand"

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Michael Meyen ist Professor für Allgemeine und Systematische Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Mitgründer des Netzwerks kritische Kommunikationswissenschaft.

Darüber hinaus ist er Autor der Bücher Breaking News: Die Welt im Ausnahmezustand und - zusammen mit Kerem Schemberger - "Die Kurden. Ein Volk zwischen Unterdrückung und Rebellion.

Im Rahmen der Veranstaltung Russland: Eskalation im Medienkino in der Reihe Telepolis-Salon sprach Telepolis mit ihm über das Russland-Bild in deutschen Medien.

"Horizontale Propaganda"

Herr Meyen, was fällt in der Russland-Berichterstattung auf?

Michael Meyen: Wir finden eine starke Konzentration auf die Themen Diplomatie und Krieg, was auch bedeutet, dass der Alltag in Russland vollkommen ausgeblendet wird. Wir finden eine starke Konzentration auf Putin, der zu einem Synonym für das Böse erklärt wird.

Wir finden eine Polarisierung zwischen dem Westen, westlichen Werten, die per se für gut gehalten werden, und dem Gegenpol, zu dem Russland dann gemacht wird. Das sind die Elemente, worauf in der Berichterstattung eingegangen wird.

Welche Elemente tauchen denn regelmäßig bei vielen Medien auf?

Michael Meyen: Ich habe in der ersten Antwort auf die Konstruktionslogik der Medienrealität hingewiesen. Was ich da noch weggelassen habe, ist die Rolle der Journalisten. Mein Kollege Uwe Krüger, der auch in dem Netzwerk Kritische Kommunikationswissenschaften ist, hat das, was wir heute am Beispiel Russland finden, "horizontale Propaganda" genannt. Die horizontale Propaganda wird uns geliefert von, er nennt das, erfolgreich sozialisierten Gesellschaftsmitgliedern.

Also von Menschen, die von Tag eins ihrer Kindheit an mit einem westlichen Wertehorizont aufgewachsen sind, die in gleichen Schulen, gleichen Universitäten waren wie Eliten in Wirtschaft und Politik, und die gar nicht mehr in der Lage sind, die Welt anders zu sehen, als sie das in ihrer Ausbildung mitbekommen haben, und vielleicht so gar nicht mehr die Neugier auf das Andere aus Russland haben.

Ist das eine Relativierung des Vorwurfs der Propaganda, weil die Journalisten selber in bestimmten Netzwerken so drinstecken, dass sie gar nicht mehr darüber hinausschauen? Was mir aufgefallen ist: Dass es nach Gorbatschow von beiden Seiten, sowohl von den Russen als auch von den Deutschen, ein positives Idealbild gab. Das lief in Richtung Zusammenarbeit und auf mehr Verständigung hinaus. Ab der Ukraine-Krise gab es einen Bruch. Von russischer Seite war eine Enttäuschung da und von der deutschen Seite eine Enttäuschung über die Demokratisierungsdefizite. Dass bestimmte Maßstäbe nicht erfüllt werden.Kann man sagen, dass dies eine Russland spezifische Sache ist?

Michael Meyen: Um auf den Bruch zurückzukommen: Der Bruch mit der Ukraine-Krise, das ist das Narrativ, das uns alternative Medien erzählen, also Nachdenkseiten, Telepolis, Rubikon usw. Dass es den Bruch 2014 gegeben hätte.

Es gibt einen offenen Brief von Michael Gorbatschow von 2008 an die deutschen Journalisten, wo er das schon beklagt, was wir heute beklagen. Er sagt schon damals, dass seine lieben Freunde in Deutschland - wir kennen ja die Rhetorik von G., wir wissen, dass er hier ausgezeichnet wurde, gefeiert wurde - er spricht da von den lieben Journalisten-Kollegen in Deutschland, die da schon längst im Kampagnen-Modus waren.

Zum Kampagnen-Modus hat damals schon gehört, dass Russland auf eine Handvoll Themen reduziert wird: keine Demokratie, keine Meinungsfreiheit, Russland auf dem Weg in Richtung Diktatur. Dazu hat damals schon gehört, dass jeder, der aus der Reihe tanzt, abgestraft wird. Wer also was anders äußert, wird vom Medien-Mainstream ignoriert oder fertig gemacht.

Wir hatten im Institut Gabriele Krone-Schmalz zu Gast, die dort über ihr Buch "Eiszeit" gesprochen hat, und man konnte das im Raum merken. Da waren vier, fünf Leute im Raum, die permanent mit dem Arm gewunken haben und unbedingt sprechen und gegenhalten wollten. Und eigentlich liefen diese Wortbeiträge darauf hinaus, dass Frau Krone-Schmalz die Legitimation abgesprochen wurde, dort zum Thema Russland was sagen zu können. So gesehen, würde ich den Bruch 2014 so nicht sehen.

Der Einfluss von Regierungsapparaten, PR-Agenturen, Think Tanks

Den könnte man wahrscheinlich, wenn man die Angebote anguckt, schon früher finden. Den Begriff "Propaganda" vermeide ich eigentlich, da Propaganda immer das ist, was die anderen machen, immer das, was einem nicht gefällt, ist "Propaganda".

Worüber wir aber nachdenken sollten, ist der Einfluss von Regierungsapparaten, von PR-Agenturen, von Think Tanks, die bestimmte Deutungsangebote produzieren, an denen Journalisten auch gar nicht vorbeikommen.

Wenn man sich einfach nur vorstellt, dass im Bundespresseamt über 400 hoch bezahlte Leute sitzen, die nichts anders zu tun haben, als die Politik der Regierung Merkel in ein positives Licht zu rücken. Da sind die ganzen Leute aus den Ministerien gar nicht dabei. Also allein 400 Leute im Bundespresseamt.

Da kommt so eine Redaktion etwa der Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung, 30 Leute, auch gut bezahlt, aber die kommen da schwer mit. Das heißt, das verlangt von Journalisten einiges, nicht immer auf die vorgefertigten Deutungsmuster zu gehen, die ihnen von diesen Fabriken geliefert werden.

Wir haben bei uns in den Kommunikationswissenschaften eine Theorie, die von einem Amerikaner entwickelt wurde, die nennt sich "Indexing Hypothese", und der meint, dass Journalisten eigentlich nichts anders liefern können, als das, was im politischen Raum vorgedacht wird, deswegen Index. Das, was wir in den Medien finden, ist eine Ableitung von dem, was im politischen Raum an Gedanken da ist.

Da sind viele Menschen, teuer bezahlt, dafür da, uns ein bestimmtes Bild, z.B. von Russland, zu produzieren. Es verlangt von Journalisten - gerade, wenn man die Kürzungen in den Redaktionen kennt, wenn man weiß, dass Auslandsredaktionen geschlossen wurden, dass da Personal verknappt wurde - schon einiges.

Grundsatz für jeden Journalisten. Erstmal zweifeln

Das wäre das, was wir von Medien erwarten können: Dass sie immer wieder skeptisch sind, also von vorne herein skeptisch bei allem sind, was ihnen Regierungen bieten.

Das wäre für mich der erste Grundsatz für jeden Journalisten: Wenn etwas von etwas Mächtigem kommt, wenn etwas von der Regierung kommt, dann zweifele erstmal. Sonst wären Journalisten bezahlte PR-Agenten der Regierung, wenn sie das wiedergeben, was die anderen produzieren.

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