Erste katalanische Gefangene auf dem Weg nach Katalonien

Bild: Assemblea Nacional

Vorwürfe gegen Puigdemont werden noch abenteuerlicher, der neuen Sánchez-Regierung kommt die Mehrheit abhanden

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Es ist eine kleine Geste der neuen sozialdemokratischen Regierung, dass nun begonnen wurde, katalanische politische Gefangene in die Nähe ihrer Heimat zu verlegen. Zunächst werden sechs der neun Gefangenen verlegt, die übrigen drei ehemaligen Minister sollen bald folgen. Sie sind heute auf die Reise in Richtung der Gefängnisse Lledoners und Figueres gegangen. Sie sind inzwischen im Knast von Zuera bei Saragossa angekommen, von wo aus sie am Mittwoch nach Katalonien verfrachtet werden.

Es ist nur eine kleine Geste, bevor sich der neue spanische Regierungschef Pedro Sánchez am kommenden Montag mit dem katalanischen Regierungschef Quim Torra treffen wird. Klein ist sie deshalb, da nur bestehende Gesetze angewendet werden, die eine heimatnahe Strafverbüßung vorsehen. Das hat auch der neue Regierungschef Pedro Sánchez erklärt, der dem Vorgang keine politische Bedeutung zukommen lassen will. Es sei klar, dass die Gefangen dort sein müssten, wo sie "sozial integriert sind" und ihre "Familien und Verteidiger leben", erklärte er die Maßnahme.

Es ist dann aber doch eine kleine Geste, um den beginnenden Dialog zu befördern und weitere Entspannungssignale auszusenden. Seit Jahrzehnten hat Spanien, egal ob es gerade von der PP oder Sozialdemokraten regiert wurde, gegen das Prinzip der heimatnahen Haft bei denen verstoßen, die aus politischen Gründen im Knast sitzen. So sitzen bis heute mehr baskische Gefangene im fernen südspanischen Andalusien als im Baskenland und in allen angrenzenden Regionen zusammen. Da es sich in diesen Fällen meist um Strafhaft handelt, kann nicht einmal mit Prozessfragen und Gerichtsnähe während der Ermittlungen argumentiert werden, wie man die Inhaftierung in Madrid bei den Katalanen bisher gerechtfertigt hat.

Die Verlegungen haben natürlich auch damit zu tun, dass Sánchez auf die Stimmen der katalanischen Parteien angewiesen ist, wie schon beim Misstrauensantrag gegen die Rajoy-Regierung. Zudem macht auch der zentrale Unterstützer Podemos (Wir können es) der schwachen Minderheitsregierung etwas Druck. Für Podemos-Chef Pablo Iglesias ist es eine "gute Nachricht", dass die Gefangenen verlegt werden, doch auch er meint: "Sie dürften aber unter keinen Umständen im Gefängnis sein." Tatsächlich sind die Exilanten in keinem Land inhaftiert, in das sie vor der Verfolgung in Spanien geflohen sind.

Spanischer Richter hält an Veruntreuung fest

Richter Pablo Llarena und sein Oberster Gerichtshof versucht weiter, eine angebliche Veruntreuung von Steuermitteln für das Unabhängigkeitsreferendum zu konstruieren. So wird nun eine Summe von gut 900.906 als fiktive Kosten für die Nutzung der Schulen für die Abstimmung "errechnet", welche die Nutzung der Schulen dafür gekostet haben könnte. Das klingt sehr abenteuerlich, um eine Veruntreuung von Steuergeldern zu begründen.

Aber es geht noch besser, bisher hat Llarena stets behauptet, die katalanische Regierung des in Deutschland exilierten ehemaligen Regierungschefs Carles Puigdemont habe 2,1 Millionen Euro für das Referendum veruntreut. Dabei hatte der spanische Finanzminister erklärt, der längst vor dem Referendum die Kontrolle über die katalanischen Finanzen hatte, dass kein Euro geflossen ist. "Ich weiß nicht, mit welchem Geld das Referendum bezahlt wurde, aber nicht mit Steuergeldern", hatte Cristóbal Montoro eindeutig erklärt.

Das geht spurlos an Llarena vorüber, der sich immer tiefer in Rechtsbeugung verstrickt. Entsprechende Anzeigen sind gestellt und er steht demnächst in Belgien vor Gericht. Er hat von den Angeschuldigten nun sogar seine fiktiven 2,1 Millionen Euro als Kaution gefordert. Sollten sie das Geld nicht hinterlegen, drohte er mit der Pfändung des Eigentums der Angeschuldigten. Über Spenden konnten die zivilgesellschaftlichen Organisationen dieses Geld aber auftreiben, um die versuchte Zerstörung der ökonomischen Basis der Angeschuldigten durch den Richter auszuhebeln.

Dass er mit seinen windigen Berechnungen die deutschen Richter davon überzeugen kann, Puigdemont wenigstens wegen angeblicher "Untreue" auszuliefern, ist allerdings sehr zweifelhaft. Das Oberlandesgericht in Schleswig-Holstein hat den abenteuerlichen Vorwürfen wegen angeblicher Rebellion und der versuchten Abschwächung auf Aufruhr ohnehin längst praktisch eine Absage erteilt, da es die dafür notwendige Gewalt nicht gab. Aber auch an der Untreue, mit der spanischen Veruntreuung vergleichbar, haben sie schon massive Zweifel geäußert. Dass der Richter Llarena nun noch einmal massiv nachgelegt hat, außerhalb aller Fristen, dürfte die deutschen Richter eher verärgern. Gerade hat er noch einmal 38 Megabyte an Material nachgeliefert. Das sind etwa 2000 Seiten, die schon deshalb abgelehnt werden müssten, weil sie in spanischer Sprache übersendet wurden und nicht wie gefordert übersetzt in deutscher Sprache. Sie wurden zudem sogar nachgeschoben, als die Verteidigung schon auf die Vorwürfe der deutschen Staatsanwaltschaft geantwortet hat.

Nach Ansicht von Puigdemonts Anwalt Gonzalo Boye will Llarena nur eine schnelle Entscheidung in Deutschland verhindern. Denn es wäre, wie im Fall der drei Exilanten in Belgien, keine formale Ablehnung einer Auslieferung, sondern eine inhaltliche, weil die Vorwürfe schlicht unhaltbar sind. Tatsächlich wurde die Entscheidung zu Puigdemont vom OLG vertagt.

Zwar haben spanische Medien behauptet, dass das Gericht diesen Hinweis von Boye dementiert habe. Doch sie zitieren die Gerichtssprecherin Frauke Holmer, die sich unter "keinerlei Umständen" auf einen Termin festlegen lassen will. Ob die Richter nun "zwei, vier oder sechs Wochen brauchen, kann ich nicht sagen". Die Dokumentation läge nun vor und werde analysiert. Wenn die Richter auch noch die 2000 Seiten, auf deutsche Kosten, übersetzen und analysieren wollen, die von Llarena gerade nachgeschoben wurden, dürfte die Entscheidung deutlich länger als sechs Wochen dauern.

Regierung beginnt zu wackeln

Klar ist, dass die Republikanische Linke (ERC) vor dem Beginn der Gespräche nun Sánchez zeigt, dass er auf schwachen Füßen regiert. Die Erneuerung der Führung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dem die Journalisten unter der PP-Regierung massive Manipulation vorwerfen, scheiterte. Die ERC enthielt sich, denn sie fordert einen "Dialog ohne Grenzen" zwischen Sánchez und Torra. Einen entsprechenden Antrag wurde zuvor im Parlament abgelehnt, weil sich die Sozialdemokraten enthalten haben.

Die ERC droht, die Regierung von Sánchez komplett hängen zu lassen und sich stets zu enthalten, womit die wackelige Mehrheit von Sánchez praktisch weg wäre, wenn der nicht bereit ist, auch über unbequeme Fragen mit den Katalanen zu sprechen. Mit der Verlegung der Gefangenen für ein gutes Klima zu sorgen, reicht ihr bei weitem nicht. Die Katalanen fordern wie Podemos ihre Freilassung. Sollte sich keine Lösung finden, dann könnten Neuwahlen in Spanien sehr schnell auf die Tagesordnung rücken.