Die Backup-Blockade

Wie der zutiefst menschliche Wunsch, sich zu entwickeln, einer vernünftigen Datensicherung im Weg steht.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Glaser

Noch nie war die Vernichtung lästiger Diplomarbeiten, persönlicher Erinnerungen oder ganzer Lebenswerke so einfach wie heute. Die Digitalisierung verleiht Aufzeichnungen aller Art eine völlig neue Flüchtigkeit. Was einst eine wuchtige Schreibmaschine war, ist heute ein gewichtloses Textprogramm. Ein Manuskript ist kein bedruckter Papierklotz mehr, den man erst mühsam shreddern müsste, um ihn bei Bedarf aus der Welt zu schaffen. Es ist Software geworden.

Zur Erinnerung: Hardware ist das, was einem auf die Füße fallen kann, zum Beispiel eine Festplatte. Software ist das, was einem auf die Nerven fallen kann, zum Beispiel ein Betriebssystem, das plötzlich nichts mehr von den 120 Gigabyte an Fotos wiederfindet, die man in den zurückliegenden Jahren von schönen Tagen des Lebens angesammelt hat.

Jedes Jahr werden etwa 13 Prozent aller Nutzer vom Defekt eines Speichermediums heimgesucht. Das sollte-hätte-wäre der Moment, an dem man sich einfach eine neue Festplatte besorgt und anschließend eine Sicherheitskopie seiner Daten aufspielt. Backup aber bedeutet für viele etwas fatal anderes, nämlich das eiskalte Gefühl, das einem den Rücken hochkriecht, wenn man nach einem ernsthaften Datenproblem zugeben muss, dass man schon lange keine Sicherheitskopie mehr gemacht hat.

Wir leben heute in einem Zeitalter des kompletten Speicherwahns. Jeder hebt alles auf, das in digitaler Form verfügbar ist, denn Daten wiegen nichts und Speicherplatz ist kein Thema mehr in einer Zeit, in der Privatpersonen Terabytes auf ihrem Schreibtisch oder in der Cloud zur Verfügung stehen. Zugleich scheint das Gefühl für den Wert der digitalen Besitztümer gleichsam narkotisiert zu sein. Dadurch nimmt auch die Gefahr zu, in einem unglücklichen Moment so viel wie nie zuvor so schnell wie nie zuvor zu verlieren.

Weshalb verdrängen so viele Menschen das offenkundige Risiko eines möglichen Datenverlusts? Und es sind nicht nur unbedarfte Nutzer, sondern auch IT-Experten ("Die drei wichtigsten Dinge beim Umgang mit Computern: Backups! Backups! Backups!"), die ihre eigenen Ratschläge nicht befolgen. "Privat bin ich wie der Tischler, der zu Hause die schlampigsten Möbel hat", sagt Jeff Giacomelli, der als Systemadministrator für einen Pharmakonzern arbeitet. "Ich hör' mich immer sagen 'Ich werde demnächst meine Harddisk sichern', aber ich hab es immer noch nicht gemacht."

Einer der tiefliegenden Gründe, weshalb sich Menschen davor drücken, Sicherheitskopien anzufertigen, könnte in dem emotionalen Durcheinander liegen, das damit verbunden ist. Teile der Vergangenheit einer Person, die das Gehirn bereits jenem Weichzeichnungsprozess unterzogen hat, den man Verklärung nennt, treten einem am Computer wieder mit nüchternem Realismus entgegen.

Es kann durchaus beglückend sein, sich mit Computerhilfe auf neue Art genau zu erinnern. Aber es gibt auch eine Art digitales Unterbewusstsein, die dunklen Geheimnisse auf jeder Festplatte. Nicht selten ist es so, dass man auf jede Menge Unerledigtes stößt. Haufenweise ungeordnete, verwackelte Fotos vermitteln einem das Selbstgefühl einer Person, die nicht klar Schiff machen kann. Natürlich braucht der Mensch das Ungefähre und Unaufgeräumte, um zu wissen, dass nicht alles schon feststeht und es so etwas wie Freiheit gibt. Aber man drückt sich doch gerne vor den vielen offenen Optionen.

Wobei das Risiko ein vertracktes Biest sein kann. Tim Pritlove, einen der Cracks des Chaos Computer Clubs, erwischte es ausgerechnet an einem Freitag den 13. auf einer Party nach einer re:publica in Berlin. Seine Tasche mit Rechner, iPods und Aufnahmeequipment wurde ihm gestohlen, auf den Geräten waren zehn Jahre Arbeit, Ideen und Kontakte festgehalten.

Das letzte Backup war beschädigt, aber nicht nur das: Die Daten der Sicherheitskopie waren verschlüsselt, zum Teil bereits wieder überschrieben und damit auch aufwendige forensische Versuche der Datenrettung aussichtslos. In den ersten Tagen nach dem Verlust fühlte Pritlove sich unendlich leer; dann begann er die Katastrophe als Chance auf einen Neuanfang zu sehen: "Was sind schon alte Daten, wenn man noch alle beisammen hat und etwas Neues schaffen kann!"

(bsc)