Ost oder West?

Der globale Handelskrieg wird die exportfixierte Bundesrepublik in Mitleidenschaft ziehen. Deren politische Klasse steht nun vor einer strategischen Entscheidung

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Es war ein dramatischer Appell, mit dem sich der chinesische Ministerpräsident Li Keqiang an die deutschen Funktionseliten wandte, um diese zu einer eindeutigen Positionierung im voll ausbrechenden globalen Handelskrieg zu bewegen. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) forderte Li Keqiang die Bundesrepublik auf, gemeinsam mit der Volksrepublik China die "auf Regeln basierende multipolare Weltordnung" zu verteidigen - gegen die USA des Donald Trump.

Deutschland und China müssten in einer turbulenten Zeit zu "Vorbildern einer für beide Seiten gewinnbringenden Zusammenarbeit werden", forderte der chinesische Ministerpräsident, der zudem betonte, dass die Volksrepublik sich stets an die "Prinzipien der Welthandelsorganisation gehalten" habe. Li Keqiang thematisierte in dem Interview auch die schwelenden Konflikte zwischen Deutschland und China, wie etwa die deutsche Angst vor Technologietransfer und Wirtschaftsspionage.

Überdies erinnerte der Premier daran, dass Chinas Unternehmen bereits auf hohe protektionistische Hürden bei Investitionen in der EU stießen. Berlin müsst seine Bedenken zurückstellen und chinesischen Unternehmen, "die in Deutschland oder Europa investieren und Firmen gründen wollen, ein gerechtes, offenes Umfeld sowie einen stabilen institutionellen Rahmen" schaffen. Nur durch eine "gegenseitige gerechte Öffnung" könnten diese Konflikte entschärft werden, betonte Li Keqiang kurz vor seinem Treffen mit Merkel.

Mehr Freihandel mit China - dies scheint die Essenz dieser öffentlich propagierten handels- und geopolitischen Allianz der chinesischen Führung mit der Bundesrepublik zu sein. Ähnlich argumentieren aber auch die USA gegenüber Berlin. Während der chinesische Ministerpräsident die Öffentlichkeit sucht, um den Standpunkt der Volksrepublik im beginnenden globalen Handelskrieg darzulegen, agieren diplomatische Vertreter der Vereinigten Staaten - nun ja - direkter, indem sie gleich mit denjenigen in Kontakt treten, die in solchen Fragen letztendlich das Sagen haben.

Wenige Tage vor der Visite des chinesischen Ministerpräsidenten traf sich der Botschafter der Vereinigten Staaten, Richard Grenell, mit den Chefs von BMW, Daimler und Volkswagen in der US-Botschaft in Berlin, um ihnen ein radikales Angebot zu unterbreiten. Er sei von Donald Trump beauftragt worden, den Spitzenvertretern der deutschen Autoindustrie eine "Null-Lösung" vorzuschlagen, bei der beide Seiten - die USA wie die EU - komplett auf Autozölle verzichten würden, hieß es aus Teilnehmerkreisen gegenüber Medienvertretern.

Alle beteiligten Konzerne verweigerten öffentliche Stellungnahmen zu dem US-Vorschlag, der eine neue Debatte über ein enges transatlantisches Handelsabkommen anstoßen könnte. Sollte der US-Vorschlag abgelehnt werden, droht Washington mit massiven Zöllen von bis zu 25 Prozent auf deutsche Autos, was einem "Frontalangriff auf die deutsche Wirtschaft" gleichkäme, so die Tagesschau.

Kriegsvolumen: 500 Milliarden US-Dollar

Die Versuche Chinas und der USA, Deutscheuropa durch Freihandelsofferten zur Positionierung zu bewegen, sind Ausdruck der wohl irreversiblen Zuspitzung:https://www.heise.de/tp/features/Handelskrieg-Point-of-no-return-ueberschritten-4094618.html des Handelskonflikts zwischen beiden Ländern, der nun in einen offenen Handelskrieg mündet. Die drohende Eskalationsspirale, bei der US-Zölle und chinesische Vergeltungsmaßnahmen das "Volumen" des Handelskrieges immer weiter anschwellen ließen, wurde kürzlich von Präsident Trump gegenüber Medienvertreten skizziert. Nachdem die jüngste Zölle auf chinesische Waren im Wert von 34 Milliarden US-Dollar in Kraft traten, für die Peking umgehend Vergeltung ankündigte, sollen binnen zwei Wochen weitere Handelshürden im Warenwert von 16 Milliarden errichtet werden. Hiernach - sollte Peking Gegenmaßnehmen durchführen - könnten die antichinesischen US-Zölle auf einen Wert von bis zu 500 Milliarden US-Dollar anschwellen, womit nahezu die gesamten Exporte Chinas betroffen sein würden.

China könnte dann keine Gegenmaßnahmen mehr durchsetzen, da die Volksrepublik einen hohen Handelsüberschuss mit den Vereinigten Staaten aufweist, der Washington nun einen längeren Machthebel im Handelskrieg verschafft. Peking müsste alternative Vergeltungsmöglichkeiten finden, wie die Abwertung der eigenen Währung, oder Drohungen, den US-Dollar als Weltleitwährung zu unterminieren.

Exportweltmeister betroffen

Bei einer solchen totalen Eskalationen würden langfristig faktisch die Handelsungleichgewichte nivelliert, so die Kriegslogik Washingtons: Die USA würden ihr Defizit verlieren, China seinen Handelsüberschuss von 375 Milliarden US-Dollar. Zudem könnten sich viele US-Unternehmen, die sich stark in der Volksrepublik engagierten, angesichts des Handelskrieges genötigt sehen, wieder in den USA zu investieren. Dies würde ganz auf der nationalistischen Linie des Rechtspopulisten im Weißen Haus liegen, die "Reindustrialisiertung" der USA auf Kosten des Auslands zu betreiben.

Unabhängig von den konkreten Entscheidungen der Deutschen Funktionseliten wird die Bundesrepublik aufgrund ihrer extremen Exportausrichtung von den kommenden wirtschaftlichen Verwerfungen im Gefolge des globalen Handelskrieges breit erfasst werden. Wiederum ist die Autoindustrie besonders betroffen, die bereits zwischen die Fronten gerät. Deutsche Hersteller lassen beispielsweise in den USA gefertigte Autos gen China exportieren, was nun diese zu Objekten des Handelskrieges macht, wie die Süddeutsche Zeitung erläuterte: "Deutsche Autos, gebaut in Amerika, verkauft nach Asien. So verbunden ist die Welt mittlerweile. So verwundbar ist man angesichts der jüngsten Facette im Zollstreit." Dies sind keine "Peanuts" mehr, die locker verkraftet werden könnten. Rund 250.000 der in ihren US-Werken gefertigten Autos verkaufen vor allem die Nobelmarken Daimler und BMW in China jährlich.

In den Konzernzentralen der einstmals stolzen deutschen Autobranche, die sich jahrelang immer neuer Exporterfolge rühmte, scheint sich inzwischen Panik breitzumachen. Deren Produkte seien nun von dem "größten Handelskrieg der Wirtschaftsgeschichte" betroffen, so die Süddeutsche in Anspielung auf Warnungen der chinesischen Führung. Die Lage sei dermaßen "unruhig", dass man "in den Konzernzentralen zum Ende der Woche noch nicht einmal wusste, ab wann genau die höheren Zölle gelten und wie hoch sie sind". Inzwischen sei von Zöllen in Höhe von 40 Prozent Rede, anstatt der bislang angenommenen von 15 Prozent.

Das deutsche Dilemma, dass die jahrelang fetischistische Exportfixierung nun zu einer gigantischen ökonomischen und machtpolitischen Bürde macht, wird auch anhand des deutschen Investitionsvolumens in beiden Ländern deutlich: In den USA haben deutsche Konzerne knapp 400 Milliarden Euro investiert, in China sind es "nur" 80 Milliarden.

China oder USA?

Beide Seiten drängen somit die Bundesrepublik, sich bei diesem gigantischen Handelskrieg zu positionieren. In Berlin dürfte man hingegen um eine Minimierung des wirtschaftlichen Fallouts für die hochgradig exportabhängige deutsche Wirtschaft bemüht sein. Dabei scheinen die USA - nicht nur wegen der größeren Investitionssumme deutscher Konzerne und des Handelsüberschusses von 63 Milliarden Dollar - am längeren Hebel zu sitzen, wie jüngste Berichte nahelegen.

Nach jahrelanger Ignoranz gegenüber den Folgen dieser extremen deutschen Exportausrichtung kommen nun in deutschen Leitmedien Experten zu Wort, die tatsächlich eine Reduzierung der deutschen Handelsüberschüsse durch vermehrte Investitionstätigkeit sowie Trumps transatlantische Null-Zoll-Politik befürworten.

Überdies wird China, angesichts der zunehmenden Turbulenzen auf den chinesischen Finanzmärkten nicht mehr als ein starker Konkurrent angesehen, der den USA im beginnenden Großkonflikt gewachsen wäre. Der unter Druck befindliche Finanzsektor der Volksrepublik könnte in offene Panik, die Wirtschaft in einem Abschwung übergehen, meldete die FAZ. Zur Stabilisierung des chinesischen Finanzsektors müsse die Zentralbank bereits jetzt "im Wochentakt Hunderte Milliarden Dollar in die Märkte" pumpen. In China herrsche "Angst vor einem Handelskrieg", die Staatsführung zeige "Nerven im Streit der Supermächte".

Zudem befindet sich Berlin nicht nur mit Washington in Konflikt über wirtschafts- und geopolitische Projekte in Europa, sondern auch mit Peking. Während Trump, gemeinsam mit Polen und den baltischen Staaten, weiterhin den Ausbau des deutsch-russischen Pipelineprojekts Nordstream in der Nordsee angreift, da es eine engere energiepolitische Anbindung der EU an Russland befördert, will Berlin die Präsenz Pekings in "seinem" osteuropäischen Hinterhof minimieren.

China schicke "Milliarden" in die östlichen EU-Staaten, berichtete dieselbe FAZ am 7. Juli, die kurz zuvor auch das Interview mit Regierungschef Li Keqiang publiziert hat. Diese Investitionstätigkeit chinesischer Unternehmen wurde von dem meinungsbildenden Blatt als eine Politik des "Teile und herrsche" bezeichnet. Die regierungsnahe Deutsche Welle titelte gar: "China greift nach Osteuropa"

Was war geschehen? Kurz vor seiner Deutschlandvisite ist Li Keqiang in Sofia eingetroffen, um anlässlich eines regionalen Treffens die ökonomische Zusammenarbeit der Volksrepublik mit den Ländern der Region Südosteuropas zu fördern. Dieses Engagement wird von Berlin weiterhin vehement kritisiert. Deutschland ist der mit Abstand wichtigste Wirtschaftspartner aller osteuropäischen Euroländer.

Fazit: Geopolitische Spannungen kennzeichnen sowohl die deutsch-chinesischen, wie die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Folglich dürften sich Berlins politische Funktionalitäten für diejenige Seite im Handelskrieg entscheiden, die Deutschlands Wirtschaftseliten für die stärkere halten. Am 5. Juli meldeten US-Medien, dass Kanzlerin Merkel sich für den Vorschlag einer radikalen transatlantischen Zollabschaffung offen zeigte, den Trumps Botschafter deutschen Wirtschaftsbossen zuvor machte.

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