Das "befreite" Mosul liegt noch immer in Trümmern

Bild:Tom Peyre-Costa/NRC

In den Wiederaufbau kommt von den internationalen Spendern viel zu wenig Geld, noch immer gibt es 380.000 Flüchtlinge, 90 Prozent von West-Mosul ist noch verwüstet

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Am 10. Juli 2017 erklärte der irakische Regierungschef Haidar al-Abadi die vollständige Befreiung Mosuls vom Islamischen Staat. Er hätte auch sagen können, dass Mosul (Mossul) durch die Angriffe weitgehend zerstört wurde. Als die "Schlacht um Mosul" neun Monate zuvor begann, hatte die irakische Regierung die Bewohner aufgefordert, in ihren Häusern zu bleiben und nicht zu fliehen. Man hatte Sorge, die vielen Flüchtlinge nicht versorgen zu können.

Gleichwohl waren vor der gänzlichen Einnahme nach UN-Angaben vom Mai 2017 über 600.000 Menschen seit Oktober 2016, als der Angriff begann, aus Mosul und Umgebung geflohen oder vertrieben worden. Darunter 430.000 seit Februar 2017 aus West-Mosul, das der IS bis zuletzt verteidigte und das durch Luftangriffe und Artillerie fast völlig zerstört wurde.

Die schiitischen Milizen und dann die irakische Regierung hatten auch verhindert, dass IS-Kämpfer aus der Stadt abziehen konnten, indem sie diese im Norden abschlossen. Sie wollten verhindern, dass sie sich nach Syrien absetzen und dort gegen die syrischen Truppen und ihre Verbündeten, darunter viele schiitische Milizen aus dem Iran, aus dem Irak und dem Libanon, kämpfen. Das dürfte den Kampf um die Stadt verlängert und zahlreiche Opfer unter den mit den IS-Kämpfern und ihren Familien eingeschlossenen Zivilisten gefordert haben.

Die Zahlen sind sehr grobe Schätzungen. Nach einem anderen UN-Bericht vom Juni 2017 sollen über 860.000 Menschen aus Mosul geflüchtet sein, über 600.000 aus West-Mosul. Dort sollen sich noch im Juni 100.000 Zivilisten aufgehalten haben. Nach Ost-Mosul, das schneller befreit und wenig zerstört wurde, waren schon im Juni 2017 wieder 200.000 Menschen zurückgekehrt. Ende 2017 wollte die irakische Regierung wieder alle vor dem IS Geflüchteten in ihre Heimat zurückgebracht haben. Das war schon angesichts der Zerstörungen in Mosul völlig irreal.

Bild: Tom Peyre-Costa/NRC

8-10 Millionen Tonnen Schutt müssen in Mosul beiseite geräumt und die Infrastruktur wiederhergestellt werden

Viele derjenigen, die wieder nach Mosul zurückgekehrt waren, gingen wieder zurück in die Lager, wo sie einigermaßen versorgt waren. Nicht nur, weil ihre Häuser zerstört oder schon von anderen Menschen besetzt waren, sondern vor allem auch, weil Wasser und Strom fehlen, es zu wenige Schulen und Krankenhäuser und auch keine Arbeit gibt. Zudem ist es wegen der Minen, Sprengfallen und nichtexplodierten Bomben gefährlich, während überall unter den Häusern noch ungeborgene Leichen liegen, die auch durch den Beschuss der irakischen Truppen und der Artillerie und Luftwaffe der USA getötet wurden.

Mindestens 40.000 Häuser sind zerstört oder müssen repariert werden. Die Infrastruktur muss wieder aufgebaut werden. Die Stadt selbst hat praktisch kein Geld. Für den Wiederaufbau sind nach Angaben der irakischen Regierung 2 Milliarden US-Dollar notwendig, wahrscheinlich wird sehr viel mehr benötigt. Es fehlen schon die Maschinen und die notwendigen Arbeiter, um den Schutt zu beseitigen. Nach UN-Angaben sollen es 10 Millionen Tonnen sein, die beseitigt werden müssen.

Für den Wiederaufbau der Zerstörungen in den vorwiegend von Sunniten bewohnten Gebieten und Städten wären nach der irakischen Regierung kurzfristig 23 Milliarden notwendig und mittelfristig 65 Milliarden. Zwar haben sich auf einer Geberkonferenz im Februar Staaten verpflichtet, für den Wiederaufbau des Landes 30 Milliarden US-Dollar an Krediten zu geben, aber das reicht bei weitem nicht aus, selbst wenn das Geld tatsächlich fließen sollte. Aber die Skepsis bei den Menschen vor Ort scheint groß zu sein.

Letzten Monat hat die irakische Regierung gerade einmal 19 Millionen US-Dollar dafür zur Verfügung gestellt, um die Altstadt und den alten Markt wiederaufzubauen. Darin enthalten sind auch zinslos Kredite für die Eigentümer zerstörter Häuser, um diese wieder zu errichten.

Nach dem Norwegian Refugee Council (NRC) gibt es auch ein Jahr nach der Befreiung in und um Mosul noch 380.000 Flüchtlinge. Der letztes Jahr ausgerufene Sieg über den IS hat sich für viele Iraker nicht als Verbesserung des Elends erwiesen, sagt Wolfgang Gressann, NRC-Diektor für den Irak: "Nach einem Jahr warten wir weiter auf die Rückkehr der Normalität und die internationale Gemeinschaft hilft nicht genügend." Ohne finanzielle Unterstützung bleibe der Irak instabil und unsicher.

Bild: Tom Peyre-Costa/NCR

Von der internationalen Gemeinschaft kommt zu wenig Geld für 7 Millionen auf Hilfe angewiesenen Binnenflüchtlinge und Heimkehrer

Für die Hilfe für die sieben Millionen Flüchtlinge im Irak, darunter 3 Millionen zurückkehrende, setzt UNHCR ein Budget von 560 Millionen US-Dollar an. Bis 1. Mai wurden gerade erst einmal 51 Millionen gespendet, 9 Prozent des Bedarfs. Von den europäischen Staaten, die auf eine Festung Europa setzen und angeblich Fluchtursachen bekämpfen wollen wie Ungarn, Polen, Bulgarien, die Tschechische Republik, Frankreich oder Österreich, kamen im Gegensatz zu Großbritannien, Deutschland, Italien, Dänemark, Schweden, Finnland, Dänemark oder Norwegen keine Gelder. Stand 13. Juni waren 12 Prozent der veranschlagten Ausgaben finanziert.

Nach NRC sind noch 90 Prozent von West-Mosul verwüstet, 62 Schulen sind zerstört, 207 beschädigt. Viele aus der Stadt Geflüchtete haben Angst, auch dort vertrieben zu werden, wo sie Unterschlupf gefunden haben, weil sie die Miete nicht zahlen können. NRC habe mitgeholfen, die Wiederherstellung von 21 Schulen und Hunderten von Wohnhäusern zu ermöglichen, aber das sei viel zu wenig.

Noch seien 54.000 Häuser in Mosul und Umgebung zerstört, 380.000 Menschen bzw. 64.000 Familien sind in und um Mosul vertrieben. 80 Prozent der jungen Menschen seien arbeitslos. Fast 900 Millionen seien notwendig, um nur die grundlegende Infrastruktur wiederaufzubauen.

Bild: Tom Peyre-Costa/NCR

Die Sicherheitslage in Mosul, aber auch in anderen bei der Befreiung weitgehend zerstörten Städten wie Ramadi oder Falludscha ist nach dem UNHCR kritisch. Es finden weiterhin viele Terroranschläge statt, der IS agiert aus dem Untergrund. In Mosul finden, wie in zahlreichen anderen Orten, weiterhin Antiterror-Einsätze statt. So wurden am Wochenende in Mosul angeblich im Rahmen von militärischen Operationen 27 IS-Mitglieder getötet, 3 Tunnels, 5 Lager und 2 Höhlen zerstört, die vom IS in Mosul genutzt worden seien.

Westlich von Mosul waren nach Angaben der Polizei ein angeblicher IS-Kämpfer und ein Gefolgsmann von Stammesangehörigen getötet worden. Ob der Vorfall untersucht wird, geht aus der Meldung nicht hervor.