"Ich habe im Studium für ein Meinungsforschungsinstitut gearbeitet, und wir haben immer gemogelt wie die Teufel"

Grafik: Wahlrecht.de

Martin Sonneborn zur neuen INSA-Umfrage, die die PARTEI in Berlin bei vier Prozent sieht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In Deutschland gibt es bei Bundes- und Landtagswahlen Sperrhürden für den Einzug von Parteien. Bei Europawahlen erklärte das Bundesverfassungsgericht solche Sperrhürden zwei Mal für grundgesetzwidrig, worauf hin die Große Koalition aus Union und SPD in Brüssel und Straßburg eine Sonderregelung durchsetzte, die praktisch nur Deutschland und Spanien betreffen wird (vgl. Uploadfilterpflicht und Leistungsschutzrecht vorerst gestoppt).

Ein Phänomen, das Vertreter von Union und SPD mehrfach zur Rechtfertigung dieser Regelung anführten, ist die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (PARTEI) von Martin Sonneborn. Dem INSA-Chef Herrmann Binkert zufolge können sich die Sonnebornisten nun "Hoffnungen machen", bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl in Berlin die Fünf-Prozent-Sperrhürde zu überspringen. Das schließt Binkert aus einer neuen Umfrage seines Instituts im Auftrag der Bild-Zeitung, in der die PARTEI ihren Wert von zwei auf vier Prozent verdoppelte und gesondert aufgeführt wird. Das liegt nach Angaben von INSA daran, dass sie diesmal entsprechend viele Wähler der "Sonstigen" explizit nannten.

PARTEI-Chef-Martin Sonneborn meinte dazu auf Anfrage von Telepolis:

Das Ergebnis ist natürlich eine Demütigung für uns, weil wir immer noch 13 Prozentpunkte hinter der SPD liegen.

Aber es ist auch eine Bestätigung für unsere momentane Politik des Stillhaltens und Verharrens. Seehofer, Söder, Nahles und Maas machen ja derzeit genug Wahlkampf für uns.

Bei Umfragen muss man natürlich fragen: Cui bono? Bei einem AfD-nahen Institut wie INSA [eine Einschätzung, die sich Telepolis nicht zu Eigen macht, sehr geehrte Herren Anwälte] dürfte ein Interesse an weiterer Destabilisierung der Regierungsparteien liegen - ein Interesse, das wir selbstverständlich teilen. Das Lustige ist ja, wenn wir in Umfragen bei 4 oder 5 Prozent stehen, wählen uns diese 4 oder 5 Prozent auch. Ich würde zu gern mal eine Wahl ohne manipulative Umfragen im Vorfeld erleben!

Wir haben uns selbst mal eine Umfrage bei YouGov gekauft, die in der Sonntagsfrage mitlief. Wir hatten die Frage selbst formuliert, und zwar etwas suggestiv, so dass im Ergebnis 25 Prozent der Bürger sich wünschten, die PARTEI solle in den Bundestag einziehen. Leider hat Spiegel Online das Ergebnis nicht vermelden wollen, es sei zu unseriös. Drei Artikel weiter wurden andere Ergebnisse dieser Umfrage ganz normal veröffentlicht.

Ich glaube übrigens gar keiner Umfrage. Ich habe nämlich im Studium für ein Meinungsforschungsinstitut gearbeitet, und wir haben immer gemogelt wie die Teufel.

(Martin Sonneborn)

Negativbeispiel Piraten

Ob man Umfragen glaubt oder nicht: Nähert sich eine nicht etablierte Partei der Fünf-Prozent-Hürde, kann das auf viele Wähler eine Signalwirkung haben, wie 2011 das Beispiel der Piraten zeigte, die damals mit 8,9 Prozent in das Berliner Abgeordnetenhaus einzogen und anschließend in den Bundesländern Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen auf Werte von 7,4, 8,2 und 7,8 Prozent kamen. Das änderte sich erst, als sich zeigte, dass das Personal der Piratenpartei in vielen Fällen den vorher postulierten Slogans von mehr Freiheit und weniger Ideologie diametral entgegenstand (vgl. Piraten haben ein paar Probleme weniger).

Ob sich solches Personal auch in der PARTEI findet, wird sich möglicherweise schon vor der nächsten Berliner Abgeordnetenhauswahl zeigen, weil diese nicht schon in wenigen Wochen, sondern erst 2021 ansteht. Der bislang einzige überkommunale Mandatsträger Martin Sonneborn machte im Europaparlament in den vergangenen vier Jahren einen ganz anderen Eindruck als die Berliner Piraten 2011 bis 2016 und eröffnete den Wählern stattdessen Einblicke in den Politikalltag, die von einer gewissen Distanz dazu durchaus profitierten.

Berliner Besonderheiten

Die nächste Europawahl, bei der Sonneborn wieder antritt, wenn ihn die PARTEI auf ihrem Bundesparteitag am 1. September "ruft", findet lange vor der nächsten Berliner Abgeordnetenhaus statt: Am 26. Mai 2019. Allerdings gilt dort wahrscheinlich keine Fünf-, sondern eher eine Drei-Prozent-Hürde, die größere Chancen hat, vor dem Bundesverfassungsgericht zu halten. Möglich ist aber auch, dass die Bundesregierung die EU-Wahlrichtlinie erst nach der Europawahl 2019 umsetzt, weil eine Wahlrechtsänderung innerhalb eines Jahres den Regeln der Venedig-Kommission des Europarats widerspricht und durch die Frist bis 2014 keine zwingende europäische Vorgabe vorliegt (vgl. Neue Sperrklausel: Durchwinken im EU-Parlament?).

Dass die Partei bereits bei den im Oktober anstehenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen die Sperrhürden überspringen kann ist unwahrscheinlicher als ein erneuter Einzug ins Europaparlament oder ein Ersteinzug ins Berliner Abgeordnetenhaus. Das liegt unter anderem daran, dass Berlin als Gebietskörperschaft sehr viel schlechter funktioniert als Bayern oder Hessen.1 Ein Oberstaatsanwalt konstatierte im letzten Jahr, in der deutschen Hauptstadt könne man nicht mehr von einem "funktionsfähigen Rechtsstaat" sprechen. Ähnliche Klagen gibt es über Schulen und Ämter. Und beim Bau eines Großflughafens war man bislang ähnlich erfolgreich wie beim Bau von Wohnungen (vgl. Berlin: Hält sich die "Bausenatorin, die nicht baut"? ).

Anders als in Bayern, wo seit dem Ende der Viererkoalition aus SPD, FDP, Bayernpartei und Heimatvertriebenen beständig (und bis auf die Jahre 1957 bis 1966 und 2008 bis 2013 alleine) die CSU regierte, tragen die Verantwortung für die Lage in Berlin alle etablierten Parteien, weil dort alle an der Regierung waren. Nun liegen CDU, SPD, Grüne und Linke mit jeweils 17 oder 18 Prozent innerhalb der Fehlertoleranz gleichauf, eine Bayernpartei gibt es in Berlin nicht, die Freien Wähler setzten 2013 ihren letzten Tweet ab, und AfD und FDP, die bei 14 und sieben Prozent gemessen werden, sind nicht für jeden enttäuschten Wähler eine Alternative dazu.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.