Anteil der "Taufscheinkatholiken" steigt auf über 90 Prozent

Das mit Steuergeld bezahlte Palais des Münchner Erzbischofs von außen. Foto B. Hertz. Lizenz: CC BY-SA 3.0. Innen sieht es noch sehr viel prächtiger aus.

Wahlkampf sorgt für Wiedervorlage der Debatte um Steuerfinanzierung

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Der am Freitag veröffentlichten gemeinsamen Jahresstatistik der 27 katholischen Bistümer in Deutschland nach stieg die Zahl der Kirchenaustritte im letzten Jahr von 162.093 auf 167.504. Von den verbliebenen 23.311.321 Kirchenmitgliedern gelten inzwischen 90,2 Prozent als so genannte "Taufscheinkatholiken", weil der Anteil der Gottesdienstbesucher von gut zehn auf jetzt nur mehr 9,8 Prozent zurückging. Dieser Rückgang schlägt sich auch in der Zahl der Pfarreien und der Priester nieder, die von 10.280 auf 10.191 beziehungsweise von 13.856 auf 13.560 sank. Die Zahl der Taufen nahm von 171.531 auf 169.751 ab.

"Marx-Malus" vs. "richtiger Weg"

Während sich Alexander Kissler fragt, ob diese Entwicklung wohl ein dem Papst zu verdankender "Bergoglio-Effekt" oder ein vom Münchner Erzbischof ausgehender "Marx-Malus" ist, und der Präsident des Zentralkomitees der katholischen Laien konstatiert, es gebe "heute keinen sozialen Druck mehr, Kirchenmitglied zu sein", sieht der Süddeutsche-Zeitungs-Kommentator Oliver Das Gupta die Kirchen trotz solcher Zahlen "auf dem richtigen Weg", weil es seiner Ansicht nach "kaum eine Zeit" gab, in der sie "die Werte des Evangeliums offensiver vertreten haben als in der Gegenwart".

In Sozialen Medien sehen das viele Nutzer anders und führen als Begründung für ihren eigenen Austritt häufig eine zunehmende Wahrnehmung der Kirchen als Vorfeldorganisation einer Juste-Milieu-Politik an. Besonders viel Aufsehen erregte in diesem Zusammenhang Ansgar Mayer, der ehemalige Mediendirektor des Erzbistums Köln. Er hatte nach der Bundestagswahl getwittert: "Tschechien, wie wär's: Wir nehmen Euren Atommüll, ihr nehmt Sachsen?"

Der Wiener Theologieprofessor Ulrich Körtner glaubt, dass die Kirchen durch solche aggressiven Signale nicht nur sich selbst schaden, sondern auch den Erfolg der von Mayer kritisierten AfD eher begünstigen als behindern. Einem von der Süddeutschen Zeitung zitierten AfD-Mitglied zufolge trug das "Wettern jedes Dorfpfarrers" gegen die Partei in jedem Fall dazu bei, dass das letzte Woche vorgestellte bayerische Landtagswahlprogramm der AfD überraschend kirchenkritisch ausfiel:

Kündigung der Staatskirchenverträge

Es sieht unter anderem eine umgehende Kündigung der Staatskirchenverträge vor, die Bayern 1924 mit dem Vatikan und 1925 mit den protestantischen Kirchen geschlossen hat. Anschließend sollen weder der Klerus noch Einrichtungen mit Steuergeld bezahlt oder bezuschusst werden. Das würde unter anderem bedeuten, dass der Münchner Erzbischof Reinhard Marx aus seinem für acht Millionen Euro Steuergeld generalsanierten Rokokopalais ausziehen oder dem Freistaat Bayern einen marktfähigen Mietpreis zahlen muss (vgl. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz fordert höhere Steuern).

Die Kirchen werden für diesen Fall wahrscheinlich Ablösezahlungen fordern (vgl. Nordkirche will bis zu 484 Millionen von Schleswig-Holstein als einmalige Ablöse). Bei einem Vergleich des Werts verstaatlichten Kirchenbesitzes mit der Summe bisher geflossener Entschädigungen könnte sich jedoch "herausstellen, dass schon alles abgegolten ist", wie der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki meint.

Ob sich der Tritt der AfD in die Fußstapfen Montgelas für die Partei auszahlt, werden die nächsten knapp drei Monate zeigen. Die SZ vermutet, dass die CSU versuchen wird, aus der Position Kapital zu schlagen, obwohl die Christsozialen schon lange keinen Hundhammer-Flügel mehr haben und Ultramontane unter dem aktuellen Papst ohnehin eher den Grünen zuneigen müssen.

Andere Beobachter fragen sich, ob eine wirkliche Säkularisierung überhaupt möglich ist, oder ob sich ein in einem relevanten Prozentsatz der Menschen vorhandenes Bedürfnis nach Glauben und Gehorsam in Phänomenen Bahn bricht, die zwar nicht dem Rechtsstatus nach, aber strukturell Religionen sind, wie beispielsweise der Intersektionalismus.

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