Mesüt Özil und Deniz Naki: Gute und schlechte "Propaganda-Verbindungen"

Abseits. Bild: NielsF/ CC BY 2.5

Erdogan findet den Rassimus gegen den Fußballspieler Özil "nicht akzeptabel". Was aber ist mit lebensgefährlichen Aggressionen gegen den kurdischen Fußballspieler Naki?

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Mag es in Mesut Özils Welt so sein, dass dem Bild mit Erdogan "keine politischen Absichten" unterlagen, so gilt das nicht für die Welt um Mesüt Özils Welt herum. Angefangen bei seinem Fotopartner Erdogan. Der rühmt nun die Haltung des Fußballspielers als "patriotisch", wie Hurriyet in seinen englischsprachigen Tagesneuigkeiten berichtet, zollt ihm allerhöchste Wertschätzung.

Er gratuliere Özil, so Erdogan. Der rassistische Umgang mit dem jungen Mann, der alles für das deutsche Nationalteam gegeben habe und der mit seiner Religion zu tun habe, sei "völlig inakzeptabel", zitiert Hurriyet den türkischen Präsidenten. Die Zeitung, die seit einiger Zeit, um ihre Überlebensfähigkeit zu sichern, keinen kritischen Satz mehr über Erdogan äußert, belässt es mehr oder weniger dabei, dass das Ganze eine hauptsächlich deutsche Rassismus-Betriebsangelegenheit sei.

Stimmt aber nicht so ganz, wie in einer anderen Publikation angesprochen wird, die bei Berichten über die Türkei nicht auf Erdogans Gutdünken angewiesen ist. So hält das Magazin, The Region, spezialisiert auf Berichterstattung über das Gebiet von "Anatolien bis Mesopotamien und die Levante", der Özil-Geschichte und dem Urteil Erdogans über den Rassismus in Deutschland eine andere türkisch-deutsche Fußballgeschichte entgegen.

Das Dribbel-Juwel aus einer besseren Vergangenheit

Der Kommentar stellt zunächst fest, dass Erdogans Antwort auf die Situation Özils stichhaltig sei, dass die Geschichte des kurdisch-deutschen Fußballers Deniz Naki aber zeige, wie abgebrüht Erdogans Antwort tatsächlich ist. Der türkische Präsident zeige hier zwei Gesichter, ein freundliches Özil gegenüber und ein rücksichtsloses Naki gegenüber.

Deniz Naki war mal "Dribbel-Juwel" und "National-Naki", wie die Bild-Zeitung im September 2009 schrieb, als der damalige St. Pauli-Stürmer zwei erfolgreiche Einsätze bei der deutschen U21-Nationalmannschaft hinter sich hatte. Naki kicke seit 2007 für die deutschen Auswahl-Teams, ist zu lesen und: "Er setzt also erst mal auf den Bundesadler."

Die Überschrift des Artikel lautet "Auch Türken wollen Paulis Naki". Auch die türkische U21 habe schon nachgefragt, wird im Text erklärt. Was für Zeiten ... Neun Jahre später wirkt das wie eine Erzählung aus dem Märchenland.

Die Fußballer-Karriere von Deniz Naki löste nicht ein, was sie anfänglich versprach. Zuletzt spielte er in der dritten türkischen Liga. Das hat sportlichen Gründe: "Naki hat es bei Ankara unter fünf unterschiedlichen Cheftrainern nicht geschafft, sich als Stammspieler zu etablieren", ist aus seinem Wikipedia-Eintrag zu erfahren. Anfang des Jahres 2018 war die frühere Hoffnung beim kurdischen Drittligisten Amed Sportif Faaliyetler unter Vertrag, schreibt die Zeit.

Die Politik

Aber es spielt auch viel Politik in die Karriere des talentierten Fußballers mit hinein. Deniz Naki ist Kurde, macht daraus kein Hehl. Er setzt sich für den "Freiheitskampf der Kurden" ein, wie am Tattoo "Azadi" an seinem Unterarm sowie verschiedener Äußerungen deutlich wird und er hat auch aus seiner Kritik am türkischen Einmarsch in Afrin kein Hehl gemacht.

Im Januar 2018 wurde Deniz Naki vom türkischen Verband lebenslänglich gesperrt. Dazu bekam er eine üppige Geldstrafe von fast 50.000 Euro. Grund: "Diskriminierung und ideologischer Propaganda". Wie bei all diesen Anklagen spielt der Vorwurf mit hinein, dass Naki eine "Propaganda-Verbindung" mit der PKK unterstellt wird.

Im April 2017 wurde Deniz Naki zu einer ausgesetzten Haftstrafe von 18 Monaten verurteilt, weil er "terroristische Propaganda" für die PKK verbreitet habe, nachdem er einen wichtigen Sieg seiner Mannschaft Amed Sportif Faaliyetler Opfern eines türkischen Angriffs auf kurdische Orte in der Folge des Zusammenbruchs des Friedensprozesses von 2015 gewidmet hatte. Wenn Naki in die Türkei zurückkehrt, steht ihm eine mögliche Verhaftung bevor.

Der türkische Fußballverband hat ihn lebenslang für Spiele im Land gesperrt, nachdem ein Video online gestellt wurde, in dem der Fußballspieler zu einem Solidaritätsmarsch für die Kurden in Köln aufruft.

The Region

Das ist schon ein deutlicheres politisches Engagement als ein Fototermin. Aber daraus den Vorwurf der "terroristischen Propaganda" zu machen? Was ist dann das Foto-Lächeln eines Stars mit Millionen Followern neben einem Präsidenten, der für Verhaftungen und Existenzvernichtungen in einer enormen Größenordnung verantwortlich ist?

Schüsse auf der Autobahn

Die Aggressionen Deniz Naki gegenüber sind nicht harmlos. Anfang des Jahres, noch vor der Verhängung der Sperre durch den türkischen Fußballverband, wurde Naki auf der Autobahn aus einem fahrenden Wagen heraus beschossen (vgl. Opfer des MIT in Deutschland?). Im Sommer zuvor wurde Naki während eines Spiels von einem Zuschauer zusammengeschlagen.

Es gab einige Aggressionen, erklärt Deniz Naki heute auf Facebook, wo er auch seine politische Haltung erläutert:

"Ich als kurdischstämmiger habe drei Jahre lang in der Türkei für Amedspor gespielt. In dieser Zeit gab es Kämpfe in Amed und Kurdistan. Menschen sind gestorben. Damit die Menschen nicht sterben, habe ich mehrmals für den Frieden Haltung gezeigt. Ich war nicht unsensibel gegenüber gesellschaftlichen Konflikten oder Geschehnissen. Es waren kurdische Kinder, kurdische Mütter und kurdische Jugendliche die gestorben sind, es waren kurdische Städte die zerstört wurden. Ich wollte nicht, dass Menschen sterben, ich wollte dass Menschen leben."

Interessant ist, dass auch er Probleme wegen eines Fotos bekam, so der Mann, der seinen Worten zufolge einen trockenen Witz aus der Hamburger Schule auf St. Pauli behalten hat:

"Weil ich mit dem Vorsitzenden der prokurdischen Oppositionspartei HDP (Demokratische Partei der Völker) Selahattin Demirtas auf einem Foto zu sehen war, wurde ich mehrmals in der Türkei gelyncht. Ich verstehe das Anliegen."