Warum repressive Drogenpolitik nicht funktioniert

Rechtswissenschaftler Jan Fährmann über Drogenverbote und deren negative Auswirkungen - Teil 2

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Jan Fährmann ist Wissenschaftler und Referent an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Neben der Polizei- und Sicherheitsforschung beschäftigt er sich auch mit Forschungen im Betäubungsmittelstrafrecht und mit Drogenpolitik. So hat er sich bereits mit der Geschichte der Drogenpolitik, dem neuen Psychoaktive-Substanzen-Gesetz sowie mit stoffungebundenen Süchten beschäftigt. In Teil 1 des Interviews (Mit Drogenpolitik wird Sozial- und Migrationspolitik gemacht) ging es um die historischen Hintergründe der heutigen Drogenpolitik.

Was am Besitz oder Konsum von Drogen ist überhaupt verboten? Was ist hier das zu schützende Gut? Warum mischt der Staat sich hier ins Leben der Bürgerinnen und Bürger ein?

Jan Fährmann: Man kann sich darüber streiten, was genau verboten ist. Gerichtsfest sicher ist nur, dass der Konsum selbst nicht verboten ist. Der Besitz, das Sich-Beschaffen oder Inverkehrbringen der Substanzen ist aber verboten. Das ist sehr weit gefasst. Es gibt aber Streitfälle.

Umstritten ist beispielsweise, wie die chemische Überprüfung einer Substanz zu beurteilen ist - das sogenannte Drugchecking -, die dazu dient, gefährliche Stoffe für die Konsumenten erkennbar zu machen. Gilt das juristisch als Verschaffen einer Gelegenheit oder nur als Überprüfung und Vernichtung?

Ziel der Verbote war und ist, den Verkehr so weit wie möglich zu unterbinden. Es soll die Gesundheit geschützt werden, indem problematischer Konsum verboten wird. Sinnvolle Ausnahmen wie in der pharmakologischen Forschung oder Medizin sollten aber erlaubt bleiben.

Wenn die Gesundheit das zu schützende Gut ist, müsste der Staat dann nicht noch viel weiter eingreifen, etwa mit dem Verbot gesundheitsschädlicher Nahrungsmittel?

Jan Fährmann: Wenn man dieses Ziel teilt und denkt, dass ein Verbot funktioniert, dann könnte man sich durchaus fragen, ob stark zuckerhaltige Lebensmittel oder Alkohol - man denke auch an damit zusammenhängende Unfälle - verbieten sollte.

Sollen wir aber einen Gesundheitsstaat schaffen? Einen Staat, der uns vorschreibt, wann wir was essen, wie viel Sport wir machen müssen? Das ließe sich mit dem Gedanken der Autonomie nicht vereinbaren, sondern ließe sich höchstens auf einige wenige Substanzen anwenden. Mit Blick auf die Drogenpolitik muss man sich aber fragen, ob das funktionieren würde.

Jetzt haben wir gesehen, was der Sinn der Drogenverbote ist. Ziehen wir Bilanz: Welche der Ziele der heutigen Drogenpolitik werden in der Praxis erreicht?

Jan Fährmann: Viel deutet darauf hin, dass der Konsum durch Verbote nicht zurückgeht. Das sehen wir etwa im Vergleich mit Ländern wie den Niederlanden oder Portugal, wo Cannabis erlaubt ist oder nur als Ordnungswidrigkeit gilt. Der Konsum scheint also unabhängig vom Verbot zu sein.

Verbote haben aber auch negative Auswirkungen. So werden Menschen in die kriminelle Ecke gedrängt und wenden sich darum von Hilfsmöglichkeiten ab, weil sie eine strafrechtliche Verfolgung befürchten müssen. Diese Menschen werden gesellschaftlich ausgeschlossen und durch eine Inhaftierung ggf. auch von wirksamen Hilfsmaßnahmen abgeschnitten.

Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?

Jan Fährmann: Ja, denken wir noch einmal an das Drugchecking. So wurde im Zusammenhang mit der Love Parade in Berlin in den 1990ern von der Charité und dem Verein Eve and Rave ein Programm durchgeführt, um auf gefährliche Substanzen hinzuweisen. Zusammen mit dem Drogentest gab es auch Aufklärung über Gesundheitsrisiken und Hinweise auf Hilfsangebote.

Die Staatsanwaltschaft hat schließlich sowohl die Räume des Vereins als auch der Klinik durchsucht und Anklage erhoben. Letztlich wurden aber alle Beteiligten freigesprochen. Wer Drogenkonsumenten Hilfe anbietet, setzt sich oft der Gefahr aus, selbst verfolgt zu werden.

Und was bedeutet das in der Praxis für die Konsumenten?

Jan Fährmann: Tatsächlich kann der Konsum durch polizeiliches Auftreten gefährlicher werden. Beispielsweise können bei einer Überdosis die Bekannten eines Drogenkonsumenten Angst haben, dass die Polizei mitkommt, wenn sie den Notarzt rufen. Deshalb kam es bereits zu Todesfällen.

Durch die Ausgrenzung kommen manche Betroffene auch gar nicht mehr auf den Gedanken, sich Hilfe zu holen. Das sieht man auch am restriktivsten Bundesland, nämlich Bayern. Dort kommen mit Abstand die meisten Drogentoten vor. Das liegt meiner Meinung nach auch an der Vernachlässigung von präventiven Ansätzen, die durch die repressiven Maßnahmen erschwert werden.

Was heißt das konkret?

Jan Fährmann: Durch den hohen polizeilichen Verfolgungsdruck, beispielsweise bei den Opiaten, greifen Betroffene bisweilen auf gefährlichere Substanzen zurück. Das könnte dann das Schmerzmittel Fentanyl sein. Das gibt es beispielsweise als Pflaster mit etwa zehn- bis zwanzigmal so großer Wirkung als andere Opiate wie Heroin.

Fentanyl wird etwa als Schmerzmittel zur Behandlung schwerkranker alter Menschen eingesetzt. So durchsuchten dann einige suchtkranke Drogenkonsumenten die Mülleimer von Krankenhäusern oder Altenheimen nach den Pflastern und kochten oder lutschen diese aus, um an den Wirkstoff zu kommen. Die Anwendung der so gewonnenen Substanzen ist dann sehr gefährlich, da sich die Dosierung schwer abschätzen lässt. Daher starben viele Drogenkonsumenten.

Hat denn die Polizei als alte gesellschaftliche Institution ein eigenes Interesse an der Verfolgung von Drogenkriminalität?

Jan Fährmann: Es gibt immer wieder Anlässe, bei denen die Polizei ein Interesse an der Verfolgung von Drogenkriminalität hat. Beispielsweise dann, wenn es um Mittel für neue Stellen geht. Dann kann es vorkommen, dass man verschärft an Schulen nach Cannabis sucht, und auf einmal hat man viele Fälle, die für eine Ausweitung der Stellen sprechen.

Aus der Politik und der Polizei gibt es inzwischen aber auch die Forderung, solche Taten weniger zu verfolgen. Man sieht mehr und mehr, wie groß der Aufwand für die Polizei und die Strafjustiz ist.

Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?

Jan Fährmann: Ja, das konnte man im Görlitzer Park in Berlin sehen. Dort haben die ehemaligen Senatoren Heilmann und Henkel vor einigen Jahren eine sehr restriktive Politik betrieben. Es gab hohe Polizeiaufgebote. Es stellte sich aber heraus, dass das aber überhaupt nichts gebracht hat. Ich war selbst davon überrascht, wie wirkungslos die Maßnahmen waren.

Es ist nicht einmal zu einer größeren Verhaftung oder Sicherstellung von Mitteln gekommen, weil die Dealer aufgepasst haben und die Substanzen rechtzeitig weggeschmissen haben oder schlicht weggerannt sind. In gewissen Bereichen bringen die Maßnahmen nichts oder ist der Aufwand zu groß. Darum setzen sich inzwischen sogar einige Gewerkschaften oder Interessenverbände der Polizei für einen liberaleren Umgang mit Drogen ein.

Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors. Der Kontakt mit Jan Fährmann kam über eine Tagung im Zusammenhang mit der Ausstellung "altered states - Substanzen in der zeitgenössischen Kunst" im Kunstpalais der Stadt Erlangen zustande.