Rückkehr nach Syrien: "Baschar al-Assad soll mich mit dem Panzer überrollen"

Syrische Flüchtlinge im Libanon. Syrian_refugees_in_lebanon.jpg:Foto: Syrian_refugees_in_lebanon.jpg:Voice of America /gemeinfrei

…"aber mein Sohn soll zur Schule gehen". Im Libanon leben 890.000 syrische Flüchtlinge. Mit Russlands Hilfe sollen sie zurückkehren

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Gut möglich, dass dies genau die richtige Übertreibung ist, die die Wirklichkeit am besten kenntlich macht: "Ich möchte nicht, dass mein Sohn in diesem Lager aufwächst, um einer von diesen Schurken zu werden, die andere mit vorgehaltener Rasierklinge berauben. Baschar al-Assad kann mich meinetwegen mit einem Panzer überrollen, solange mein Sohn in die Schule gehen kann."

Gesagt wird der Satz im Flüchtlingslager Arsal im Libanon von einem 30-Jährigen Syrer, der dort mit geschätzt 70.000 anderen Syrern lebt unter keinen guten Bedingungen, wie es der Bericht des Wall Street Journals beschreibt: "schäbige Zelte, wenig Rechte, wenig Möglichkeiten zu arbeiten, Schikanen seitens der libanesischen Behörde, willkürliche Verhaftungen, erbärmlicher Zugang zu Ärzten, Medikamenten und Schulausbildung".

"Flüchtlinge als Verhandlungsmasse"

Die syrische Regierung will, dass Flüchtlinge aus den Nachbarländern wieder in ihr Heimat-oder Herkunftsland zurückkehren, die libanesische Regierung unterstützt das, weil ihr die Flüchtlinge zur Last fallen, Russland ist als Vermittler bei dem Projekt Rückkehr sehr engagiert, aber viele Syrer haben Angst, dass ihnen in Syrien Schlimmes droht - das ist grob herausgeschnitzt eine Kernaussage des Artikels im Wall Street Journal. Dafür gibt es einen einprägsamen Satz, der ebenfalls von einem Flüchtling in Arsal wiedergegeben wird: "Für das Regime ist jeder, der Syrien verlassen hat, ein Terrorist."

Die andere Kernaussage ist - wie beim Wall Street Journal nicht anders zu erwarten - ebenfalls geprägt von der Kritik am "Assad Regime", nur dass sie auf einer anderen Ebene angesiedelt ist. Sie zielt darauf, dass die syrische Regierung zusammen mit Russland die Flüchtlinge als "Verhandlungsmasse" gebraucht und instrumentalisiert, um auf diesem Weg an Geld für den Wiederaufbau des Landes zu kommen. Das Bild vom zynischen, allein an Macht interessierte Assad, wie gehabt.

Die Vorgeschichte dazu: Russlands Präsident Putin soll beim Treffen mit Trump in Helsinki die beiden Themen miteinander verknüpft haben und es sollen sogar laut russischem Verteidigungsministerium erste Abmachungen zu einer Zusammenarbeit getroffen worden sein.

Nun zeigt sich auch am Thema "Rückkehr syrischer Flüchtlinge" erneut, dass die Zusammenarbeit des Westens - gemeint ist vor allem die USA, aber auch in Frankreich gibt es erste Ansätze - mit "Putin-Russland" oder gar "Assad-Syrien" ein rotes Tuch ist und es sein soll (vgl. Syrien: Der lange Weg des Westens bis zu einer "Normalisierung" mit Assad).

"Glücklich" und "voller Furcht"

Wie sich das dann auf die Berichterstattung auswirkt, ist anschaulich an zwei Artikeln der Journalistin Sunniva Rose zu sehen. Ende Juni lautet die Überschrift in Middle East Eye: "Wir sind so glücklich: Hunderte von syrischen Flüchtlingen kehren vom Libanon heim" und Ende Juli wird ihr Artikel in der Publikation The National so übertitelt: "Syrische Flüchtlinge im Libanon sind durch die russische Beteiligung bei der Rückkehr alarmiert".

Innerhalb eines Monats ändert sich das Bild vollkommen von "glücklich" zu "voller Furcht"? Auch Sunniva Rose war wie ihre Kollegen vom Wall Street Journal im libanesischen Flüchtlingslager Arsal, das ihren Angaben zufolge 50.000 Menschen beherbergt. Diejenigen, mit denen sie gesprochen hat, zeigten große Angst vor der Rückkehr, schreibt Rose im The National, seit bekannt wurde, dass Russland bei den Arrangements zwischen Syrien und dem Libanon vermittelt.

Auch hierzu gibt es wie im WJS die dazu gehörige griffige Aussage: "Russland ist verantwortlich für den Tod meiner syrischen Mitbürger. Ich glaube nicht, dass es mir eine sichere Rückkehr garantieren kann. Russland und Baschar al-Assad sind genau die Gleichen für uns."

Wie viele der Lagerbewohner tatsächlich Angst haben vor der Rückkehr, und wie sich das zur Menge der anderen, die sich über die Rückkehr freuen, verhält, ist, da mit den Methoden einer Reporterin oder eines Reporters nicht zu ermitteln, unklar. Was sich beim Durchsehen mehrerer Berichte zeigt, ist, dass sich die Administration und die mit ihr zusammenarbeitenden Geheimdienste viel Zeit nehmen, um zu klären, wie vielen Personen es erlaubt ist, nach Syrien zurückzureisen.

890.000 syrische Flüchtlinge im Libanon

Am Wochenende hieß es, dass es einige Hunderte waren, die vom Libanon aus ins benachbarte Syrien zurückkehrten (hier und hier). In manchen Berichten finden sich die gegenteilig plakatierten Aussagen zu den bereits erwähnten: "Wir sind wegen der Terroristen aus Syrien geflohen und ich bin sehr glücklich, dass Syrien wieder so sicher ist wie früher."

Insgesamt leben etwa 890.000 Syrer als Flüchtlinge im Libanon. Am Freitag gab der libanesische Präsident Michel Aoun bekannt, dass er Russlands Vorschlag, die Rückkehr der Flüchtlinge abzusichern, willkommen heiße.

Laut Wall Street Journal warf die libanesische Regierung dem Hohen Flüchtlingskommisssar für die Vereinten Nationen (UNHCR) vor, dass sie den Geflüchteten "Angst vor einer Rückkehr einflöße". Das UNHCR wird mit der Antwort zitiert, dass man die Entscheidung der Menschen respektiere, sie aber nicht bei der Rückkehr unterstütze.

Es gibt natürlich auch Bilder, die mit renovierten Schulen überzeugen wollen. In der Hauptströmung der westlichen Berichterstattung wird dies nach Lage der Dinge tendeziell als Propaganda abgetan (die Posterin der Bilder ist offensichtlich auch eine Patriotin), herausgekehrt wird stattdessen die Angst vor Baschar al-Assad als die Realität, die zählt.

Wie wäre es wohl mit der Rückkehr gewesen, wenn die syrische Revolution (sprich der Dschihad) gewonnen hätte?