Warum ich die Aufnahme von Mitgliedern der syrischen "Weißhelme" kritisiere

Vor allem tragen die Weißen Helme Kinder. Männer oder gar islamistische Kämpfer werden offenbar nicht verletzt oder getötet. Bild: White Helmets

Ein Gastbeitrag von Heike Hänsel, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag

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Die Bundesregierung tut sich seit geraumer Zeit äußerst schwer mit der Aufnahme von Flüchtlingen, sie betreibt eine Politik der Abschottung. Deutlich weniger Probleme hatten Unionsparteien und SPD unlängst bei Mitgliedern der sogenannten Weißhelme aus Syrien. Acht von ihnen sollen mit ihren Familien in Deutschland aufgenommen werden. Ich habe diese Entscheidung kritisiert.

Denn zum einen sind die "Weißhelme" eine von außen durch einen ehemaligen britischen Geheimdienstmann gegründete private Hilfstruppe, nennen sich aber "Syrischer Zivilschutz", den es auf staatlicher Seite jedoch bereits seit Jahren gibt. Zum anderen werden sie von Nato-Staaten finanziert, die alle selbst mehr oder weniger aktiv Kriegsparteien in Syrien sind.

Sie arbeiten ausschließlich in von islamistischen Milizen besetzten Regionen. Allein das verletzt das Neutralitätsgebot von humanitärer Hilfe. Auch eine enge Kooperation mit bewaffneten Kräften widerspricht internationalen Standards. Die US-Behörde USAID, direkt dem Außenministerium unterstellt, begründet ihre großzügige Finanzierung der "Weißhelme" mit der "Unterstützung von Aktivitäten, die zu einem Übergang zu einem demokratischen und stabilen Syrien führen und den Einfluss strategisch-moderater Akteure erhöhen". Das hört sich ja gut an. Nur ist das eben Teil einer Regime-Change-Politik und keine humanitäre Hilfe.

Es gibt kritische Berichte über die "Weißhelme" von den Schwedischen Ärzten für Menschenrechte, von Professor Günter Meyer, dem Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt (ZEFAW) an der Universität Mainz, sowie dem ehemaligen britischen Diplomaten Peter Ford. Der australische Journalist John Pilger, die deutsche Journalistin Karin Leukefeld, der Friedensforscher Jan Oberg, der US-Investigativjournalist Seymour Hersh, der Brite Robert Fisk - sie und viele andere haben Aufbau, Arbeit und Intention der sogenannten Weißhelme kritisch hinterfragt. Mit Internetquellen muss vorsichtig umgegangen werden, allerdings existieren die meisten YouTube-Videos ja von den "Weißhelmen" selbst. Wenn man diese Aufnahmen der "Weißhelme" als Belege für ihre Arbeit nimmt, darf man die kritischen Bilder nicht per se als Fake News abtun.

Fakt ist: Die sogenannten Weißhelme arbeiten nur in von islamistischen Gruppierungen, wie etwa dem Al-Qaida-Ableger Fatah-al-Scham, kontrollierten Gebieten. Sie produzieren am laufenden Band teilweise zweifelhafte Bilder von Rettungen. So arbeitet kein anderer Rettungsdienst, mit Kamera auf dem Kopf. Hier geht es doch auch um die Würde der Opfer!

Mittlerweile gab es Proteste von Angehörigen, etwa eines kleinen Jungen, der nach einer Rettung in einen Stuhl gesetzt und völlig verstört gefilmt wurde. Die Familie protestierte und fühlte sich politisch instrumentalisiert. All das wird geflissentlich übergangen, während die "Weißhelme" weiterhin Millionen-Unterstützung von den Nato-Staaten erhalten. Dem syrischen Chef der "Weißhelme" wurde laut der New York Times sogar die Einreise in die USA verweigert, mutmaßlich wegen Terrorkontakten, später hieß es, wegen eines "administrativen Missverständnisses". Mittlerweile hat auch die Bundesregierung Absprachen zwischen sogenannten Weißhelmen und islamistischen Milizen eingeräumt.

Fast immer sind die Kinder, die von "Weißhelmen" aus den Trümmern getragen werden, Opfer russischer oder syrischer Luftangriffe. Opfer von islamistischen Terrorgruppen oder des sogenannten Islamischen Staates gibt es für die Organisation, die angibt politisch unabhängig zu sein und nur aus humanitären Gründen zu handeln, dagegen kaum. Auch kein einziger Luftangriff der US-geführten Anti-IS-Koalition scheint bisher einen Rettungseinsatz der "Weißhelme" zufolge gehabt zu haben. Das ist doch merkwürdig. Warum gibt es da so wenige Nachfragen von Seiten westlicher Medien?

Keine humanitäre Geste, sondern eine politisch intransparente Entscheidung, die Fragen aufwirft

Im konkreten Fall gibt es für mich zudem zu viele Widersprüche bei der plötzlichen Aufnahme der "Weißhelme", die nicht einmal ein Asylverfahren durchlaufen müssen. Als ich die Aufnahme der "Weißhelme" der Forderung nach Asyl für den kurz vor der Auslieferung stehenden WikiLeaks-Gründer Julian Assange gegenübergestellt habe, ging es mir nicht darum, den einen Fall gegen den anderen auszuspielen, sondern diese Widersprüche darzustellen.

Und wenn es der Bundesregierung um einen humanitären Akt geht, wieso gab es weder von Innenminister Horst Seehofer (CSU) noch von Außenminister Heiko Maas (SPD) die Bereitschaft, Flüchtlinge der "Lifeline" oder anderer Seenotrettungsboote aufzunehmen, die das aus humanitären Gründen dringend nötig gehabt hätten und weiterhin haben? Und was ist mit den tausenden Syrern, die an der jordanischen Grenze stehen und keine Aufnahme finden? Aber bei den "Weißhelmen" klappt das im Nu? Jetzt plötzlich will Herr Seehofer helfen.

Da sollten sich die "empörten" Kritiker doch selbst einmal fragen, was die Beweggründe sind. Hier geht es meines Erachtens nicht um humanitäre Gesten, hier geht es um eine politisch intransparente Entscheidung, die Fragen aufwirft. So ist es bisher völlig ungeklärt, weshalb die "Weißhelme" von einem israelischen Spezialkommando aus Syrien herausgeholt werden müssen, obwohl es sogar für bewaffnete islamistische Kämpfer in der Region ein ausgehandeltes freies Geleit in den Norden Syriens gibt?

In Syrien herrscht seit über sieben Jahren Krieg, in dem es Kriegspropaganda auf allen beteiligten Seiten gibt, auch der westlichen Staaten, das wird jedoch meistens nicht erwähnt. Die Nato benötigt für ihre Regime-Change-Politik in der Region eine vermeintliche Legitimation, dafür sind Kriegslügen ein probates Mittel, wie bereits zweimal im Irak und in Libyen geschehen. Die größte Kampagne dafür haben die Weißhelme über soziale Netzwerke organisiert, mit regelmäßigen Vorwürfen von Chemiewaffeneinsatz, mit Forderungen nach Flugverbotszonen, die faktisch ein militärisches Eingreifen der Nato wie in Libyen bedeuten würde. Seit wann ist das die Aufgabe von humanitären Organisationen? Dies ist beispiellos.

Und, nein, all das hat nichts mit der rassistischen Hetze der AfD zu tun, die jegliche Aufnahme von Flüchtlingen ablehnt. Wer das Eine mit dem Anderen gleichsetzt, zeigt, dass er wenige Argumente hat und nur Stimmung macht. Ebenso wenig trägt der Verweis auf das Parteiprogramm der LINKEN, nachdem "Menschen, die vor Menschenrechtsverletzungen, Kriegen und politischer Verfolgung geflohen sind", nicht abgewiesen oder abgeschoben werden dürfen. Diese etwas platte Argumentation ignoriert erstens völlig die geschilderten offenen Fragen und Recherchen zu der Nato-finanzierten Organisation. Vor allem widerspricht sie den Thesen der "Weißhelme"-Fürsprecher selbst, denen zufolge es sich um eine unpolitische, unparteiische und rein humanitäre Organisation handelt.

Seit wann müssen humanitäre Helfer politische Verfolgung fürchten, weshalb müssen sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion außer Landes geschafft werden, wenn selbst islamistischen Kämpfern Amnestie oder freies Geleit angeboten wird? Hier ist vieles bisher ungeklärt und widersprüchlich, wir werden da parlamentarisch nachfragen.

Heike Hänsel ist Bundestagsabgeordnete über die Landesliste DIE LINKE Baden-Württemberg, Wahlkreis Tübingen, Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, Leiterin des Arbeitskreises Außenpolitik der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.