Polen: Das Auswanderungsland braucht dringend mehr ausländische Arbeitskräfte

Der polnische Vizearbeitsminister Stanislaw Szwed am 25. Juli in Verhandlungen mit der philippinischen Botschafterin über Gastarbeiter aus den Philippinen. Bild: twitter.com/Stanislaw_Szwed

Die Regierung verhandelt mit den Philippinen, nach einer Umfrage würden 95 Prozent der in Polen arbeitenden Ukrainer wegen der höheren Löhne lieber nach Deutschland gehen

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Polen ist eines der Länder, das sich in der EU am massivsten der Aufnahme von Flüchtlingen verweigert hat. Dabei ist das wirtschaftlich wachsende Polen eines der Länder, aus denen viele Bürger fortgezogen sind, um im Ausland Arbeit und bessere Chancen zu finden. Weil das Auswanderungsland kein Einwanderungsland werden wollte, führte das in den letzten Jahren zu einem Mangel an Arbeitskräften im Land, aber auch zu einer niedrigen Arbeitslosigkeit. Bis 2030 könnten vier Millionen Arbeitnehmer fehlen und soll die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter um 2,5 Millionen sinken. Das Problem wird durch die niedrige Geburtenrate im katholischen Land mit seiner konservativen Regierung noch verschärft.

Gemildert wurde das vor allem durch den Ukraine-Konflikt. In dessen Folge strömten viele Ukrainer vornehmlich als Wirtschaftsflüchtlinge ins Nachbarland, weil sie dort das Mehrfache verdienen können, und ersetzen dort die Polen, die wiederum in Westeuropa bessere Verdienstmöglichkeiten fanden. Durchschnittlich verdient ein Arbeiter in der Ukraine monatlich 7,100 hryvnia ($265), aber in Polen mit 3,500 Zloty ($1,046) etwa das Vierfache. Nach den Ukrainern kommen viele Einwanderer aus Weißrussland und aus Indien.

Angenommen wird, dass mindestens 1,4 Millionen Ukrainer in Polen leben, Schätzungen sprechen auch von 2 Millionen. Viele haben eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung, manche halten sich aber illegal in Polen auf, nachdem sie mit einem Touristenvisum eingewandert und nicht wieder ausgereist sind. Monatlich verlassen 100.000 Menschen die Ukraine, sagte Außenminister Klimkin, vor allem Richtung Polen (Brain Drain: Massenauswanderung aus der Ukraine).

Während die Polen lange den Ukrainern freundlich gesinnt waren, mehren sich nun die kritischen Stimmen. Das hat mit politischen Verstimmungen über das Massaker von Wolhynien zu tun, aber auch mit der Sorge, dass die Anwesenheit der Ukrainer zu einem Lohndumping auch für polnische Arbeitnehmer führen kann.

Nach einer aktuellen Umfrage scheint für die meisten Ukrainer in Polen das Land nur eine Zwischenstation oder ein Notbehelf zu sein. 95 Prozent der in Polen arbeitenden Ukrainer erklärte, sie würden nach Deutschland gehen, wenn der deutsche Arbeitsmarkt ihnen offenstehen würde. Das würde vermutlich das Verhältnis der Deutschen zur Ukraine verschlechtern.

Das war schon deutlich geworden, als um 2000 viele Ukrainer nach Deutschland kamen. Die damit zusammenhängende "Visa-Affäre" brachte die Grünen in der damaligen rot-grünen Regierung fast ins Straucheln und führte zu einem Untersuchungsausschuss (Hintergründe der Visa-Affäre). Und vor der Angst vor der "Flüchtlingswelle" aus muslimischen Ländern ging in Deutschland noch Anfang 2011 die Angst vor eine Masseneinanderung von Polen um (Polen ante portas).

Auch Polen gehen wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten nach Deutschland oder in andere westeuropäische Ländern, auch für die Ukrainer in Polen wäre Deutschland wegen der höheren Löhne attraktiver. Nach Maciej Witucki, dem Leiter der Firma Work Service, die die Umfrage in Auftrag gegeben hat, würde das Abwandern der Ukrainer nach Deutschland die Arbeitsmarktsituation in Polen deutlich verschlimmern. Die offenen Stellen würden von jetzt 150.000 auf 500.000 klettern. Der Wanderungswille ist groß, obgleich 80 Prozent der Befragten sagen, sie seien an sich mit den Arbeitsbedingungen in Polen zufrieden, und 75 Prozent, sie würden gerne 2-3 Jahre in Polen bleiben. Allerdings arbeiten zwei Drittel unterhalb ihrer Qualifikation.

Weil aber auch die ukrainischen Gastarbeiter schon jetzt nicht ausreichen, sucht die polnische Regierung nach Möglichkeiten, die Anstellung ausländischer Arbeitskräfte zu erleichtern. Da Muslime für die polnische Regierung nicht Frage kommen, ist das Arbeits- und Familienministerium schon einige Zeit in Gesprächen mit der philippinischen Regierung, um einen ähnlches Abkommen wie die Niederlande vor allem für Pflegekräfte zu erreichen (polnische Pflegekräfte arbeiten dagegen lieber im westlichen Ausland). Gesucht werden aber auch qualifizierte Arbeitnehmer für die IT- oder Baubranche.

Die philippinische Regierung will Garantien von Polen zum Arbeitsschutz, Polen will die Arbeitsgenehmigungen erleichtern und von 6 auf 12 Monate erhöhen. Gedacht wird auch an Programme, um Arbeitsmigranten auf Dauer zu halten. Es ist gar die Rede von einer neuen Migrationspolitik, die aber stößt in anderen Ministerien der konservativen PiS-Regierung und auch bei vielen Polen, die von der Regierung auf Anti-Einwanderungskurs gebracht wurden, nicht auf große Zustimmung.

Trotzdem hofft man im Arbeitsministerium, einen ersten Durchbruch bis zum Herbst zu erreichen. Der stellvertretende Arbeitsminister Stanislaw Szwed sucht zu beruhigen, schließlich seien Polen und die Philippinen beide katholische Ländern und würde viele Werte teilen. Ob das auch die mörderische Politik von Präsident Rodrigo Duterte einbezieht?