No Capitalism in the Age of Robots

Der Kapitalismus brütet gerade die technischen Mittel zu seiner Abschaffung aus, auch Unternehmer werden nicht mehr gebraucht, aber die Transformation wird nicht erkannt

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Die Linke träumt sich in die heile Welt der Naturidylle, die karriereversessene Mitte hofft auf ewiges Wachstum, die Wissenschaft erkennt immer klarer, dass es das nicht gibt und die Katastrophen immer näher kommen, und ganz rechts wird die Wurzel allen Übels bei Flüchtlingen identifiziert. Währenddessen brütet der Kapitalismus genau die Mittel aus, die nötig sind, um die höhere Stufe einer stabilen Steady-State-Ökonomie zu erreichen, aber sie werden nicht erkannt.

Im Handelsblatt vom 28.6. erschien ein großes Interview mit einem preisgekrönten Wirtschaftsforscher, der herausgefunden hat, dass der Kapitalismus auf einer Illusion beruht.

Kaufen macht gar nicht glücklich. Die Illusion muss aber erhalten bleiben, damit die Menschen von einer besseren Zukunft träumen. Sie sollen angetrieben werden "von Bildern der Zukunft", in denen sie gekaufte Güter genießen, ihre Investitionen sich rentieren, Erfindungen sich am Markt durchsetzen oder Darlehen eine Verzinsung generieren. Informationen sollen nicht dazu dienen, die Zukunft vorherzusagen, sondern vor allem dazu, "ein glaubwürdiges Narrativ über die künftige Entwicklung zu erzeugen." Denn wenn diese Illusion nicht erhalten bleibt, kippt der Kapitalismus um, wie ein Fahrrad, das nicht fährt.

Leider aber gehen in den westlichen Staaten die Wachstumsraten seit Jahrzehnten zurück. Die naheliegende Erklärung des Wirtschaftsforschers: "Für die meisten Menschen in den Industriestaaten sind die Grundbedürfnisse abgedeckt. Die Gefahr wird immer größer, dass sich Menschen denken: Das brauche ich doch jetzt gar nicht." Eben dies setzte eine gefährliche Spirale in Gang: "Kapitalismus wird getrieben von Gewinnerwartungen. In einer stagnierenden Ökonomie würden die deutlich sinken. Und dann haben wir Rationalisierungseffekte, durch die in einer stagnierenden Ökonomie die Arbeitslosigkeit immer weiter steigen würde."

Die Hoffnung, dass man die ausgleichen könnte durch Arbeitszeitverkürzungen, habe die Praxis enttäuscht, fand der Wirtschaftsforscher heraus: "Theoretisch ja, aber in der Praxis zeigt sich: Je knapper Arbeit ist, desto stärker wird danach verlangt." Das dürfte tatsächlich einer der Gründe sein, weshalb die Gewerkschaften ihren Kampf um Arbeitszeitverkürzungen nahezu eingestellt haben.

Die Roboter kommen - oder die Industrie 4.0

Um also Stagnation zu verhindern - die "für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt eine Katastrophe" wäre -, kann man aber doch zum Glück "nachhaltig" investieren, zum Beispiel in KI, oder die Industrie 4.0. Der CDU-Wirtschaftsrat, der sich am 12. Juni traf, ist dafür Feuer und Flamme. Und auf der letzten Cebit in Hannover gab es lauter tolle Dinge zu sehen: "selbstlernende Software, humanoide Roboter, Blockchain-Anwendungen", und bunt und jugendlich sei sie auch geworden, die neue Cebit. Dass es auf der Cebit und der Hannover-Messe Industrie nichts anderes zu sehen gibt als Technologie, die "Rationalisierungseffekte" erzeugt, scheint zumindest dem CDU-Wirtschaftsrat die Freude daran nicht zu verderben.

Dass die Roboter aber kommen, und zwar so zahlreich, dass sie "das Problem der Produktion" so vollständig lösen werden, "dass es unwichtig wird", davon versuchte der britische Wirtschaftsmanager und Hochschullehrer Adair Turner seine Zuhörer in einem großen Vortrag zu überzeugen, den er am 10. April an der School of Advanced International Studies der Johns Hopkins University in Washington DC gehalten hat. Die Frage sei nicht ob, sondern wann. In einer nicht sehr fernen Zukunft "werden alle Tätigkeiten, die gegenwärtig Güter und Dienstleistungen für den menschlichen Konsumgenuss hervorbringen, von 'Robotern' ausgeführt".

Er hat auch versucht, die Konsequenzen zu skizzieren, die sich für die Gesellschaft ergeben, wenn "das Problem der Produktion" gelöst ist: Hohe Einkommen werden dann nur noch aus Grund- und Immobilienbesitz in besonders begehrten Wohnlagen generiert, weil das Güter sind, die nicht industriell vermehrt werden können. Alles andere, was von den Robotern produziert wird, wird nahezu kostenlos zu haben sein.

Die übrig bleibende Beschäftigung werde von "Niedriglohn-Face-to-Face-Diensten" dominiert sein, und aus Aktivitäten bestehen, die noch nicht automatisiert werden können oder die man nicht automatisieren will, obwohl man könnte: "Auf lange Sicht werden höhere Einkommensbezieher theoretisch keine menschlichen Arbeiter brauchen, um auf ihren Partys zu dienen, ihren Rasen zu mähen, ihre Häuser zu putzen oder in Pflegeheimen zu versorgen. Aber wenn die Menschen es einfach vorziehen, von anderen Menschen bedient zu werden…" - geben sie ihnen solche Dienstbotenjobs.

Es werden aber auch "Spiele, Kreativität, subjektive Werte und Ruhm" eine Rolle spielen:

Die Rückkehr zum Ruhm, zu Design, zu Marken und zu körperlichen Fähigkeiten wird wahrscheinlich auch zunehmen. Ja, es wird für ein Team von Robotern möglich sein, Manchester United zu schlagen, aber das relative Einkommen der menschlichen Fußballstars wird wahrscheinlich zunehmen, da ihre Fans, die viele der Notwendigkeiten des Lebens zu fast null Kosten genießen, in der Lage sein werden, noch mehr Einkommen dem Zweck zu widmen, um ihren Helden zu folgen, sei es direkt durch Ticketkauf oder indirekt durch den Kauf von Prominentenprodukten. Und ja, es wird möglich sein, vollkommen angemessene Kleidung zu fast Null Kosten zu kaufen, aber die Tatsache, dass viele Notwendigkeiten trivial billig sind, wird das verfügbare Einkommen erhöhen, das dem Kauf von High-Fashion-Klamotten oder Accessoires gewidmet werden kann.

Adair Turner

Hohe Einkommen werden aber auch etwa Modedesigner und die "Eigentümer gut gepflegter Marken" erzielen: "Die Bezahlung von erfolgreichen Modedesignern wird enorm sein, und die impliziten Renten, die an die Eigentümer gut gepflegter Marken gezahlt werden, werden neben denen, die für Immobilien und geistiges Eigentum gezahlt werden, steigen."

Das sei dann, in groben Zügen, der "Capitalism in the Age of Robots". Eine Dienstbotengesellschaft, mit einigen wenigen Spitzenverdienern, die Stars sind als Fußballspieler, Modedesigner oder Immobilienbesitzer. Ist das die bessere Zukunft, von der die Menschen träumen? Und ist das die Zukunft und die Technologie, auf die der Kapitalismus die Entwicklung zutreibt?

Wie lösen die Roboter das Problem der Produktion - und wem gehören sie?

Turner erklärt zwar, dass er nicht nur humanoide Roboter mit Armen und Beinen meint, sondern allgemein jede Technik, die Arbeit leisten kann. Aber dennoch unterscheidet er nicht genauer, wie diese Roboter es denn bewerkstelligen, dass sie das Problem der Produktion lösen können. Er unterstellt einfach, wie schon Karl Marx es getan hat, dass die Betriebe mit ihren Marken und Märkten, ihrem Produktsortiment und Knowhow und ihren Lieferantenverträgen bleiben, wie sie sind, nur überall da wo Menschen saßen, sitzen nun "Roboter". Und er lässt in seiner "extremen Vision" auch vollkommen die Frage offen, in welcher Rechtsform die Roboter arbeiten, die das "Problem der Produktion" lösen. Glaubt er, das sind nun alles selbstständige Freelancer?

Wären sie es, würden sie erstens das Problem der Produktion nicht lösen können, und zweitens würden sie nicht umsonst arbeiten. Aber das können sie nicht, denn Roboter sind nicht geschäftsfähig. Sie sind keine rechtsfähigen Subjekte, sondern Sachen, und als solche stehen sie bei irgendjemand in den Büchern, als Sachkapital. Und dieser jemand ist entweder eine private Firma, die Gewinne machen will, oder eine öffentliche Firma, die keine Gewinne machen will.

Diese Frage ist nun nicht unerheblich. Turner unterstellt, dass die Roboter alle Arbeit leisten, und wenn die Roboter von Robotern gebaut werden und alle Software von "KI" geschrieben wird, wie er auch unterstellt, können die von diesen produzierten Güter und Dienstleistungen sehr billig werden, fast umsonst. Aber wozu gibt es dann den privaten Unternehmer, und was hat der zu tun, und wie wird der bezahlt?

Vermutlich möchte der private Unternehmer mit seinen Robotern gerne Gewinne machen, aus denen er sich dann einen Unternehmerlohn zahlen kann. Er erhöht seine Preise also um einen Gewinnaufschlag. Aber die unternehmerische Leistung, die in der volkswirtschaftlichen Theorie den Unternehmerlohn rechtfertigt, kann er gar nicht erbringen. Er kassierte also eine leistungslose Kapitalrente aus seinem Roboterbesitz. Schon aus diesem Grund, weil unterstelltermaßen eben die Roboter das Problem der Produktion lösen, ohne dass ein "Unternehmer" etwas dazu beitragen könnte und müsste, wäre die Gesellschaft gut beraten, diese Roboter selbst einzukaufen, denn dann bekäme sie von diesen produzierte Güter und Dienstleistungen tatsächlich kostenlos, oder jedenfalls zu so niedrigen Preisen, wie die Produktionskosten es ermöglichen, zu den reinen Herstellungskosten.

Aber ohne weitere Annahmen könnten "die Roboter" das Problem der Produktion gar nicht lösen. Wenn man einfach die bestehende Organisation der Ökonomie mit Marktallokation, Spezialisierung, Wettbewerb, Marken und Kundenbindung beibehält, würde das Problem der Produktion nie so vollständig gelöst sein, dass sich jeder darauf verlassen könnte, dass er jederzeit sein Wunschprodukt zu Niedrigstpreisen erhält.

Das intelligente Unternehmen ist kein Unternehmen

Tatsächlich zielt die Entwicklung der Produktionstechnologie genau darauf ab, dies möglich zu machen. Die "Fabrik der Zukunft" ist eine, die einem Kunden direkt seinen Produktwunsch erfüllen kann. Das ist das Ziel all der Technologien, die den CDU-Wirtschaftsrat so glücklich macht. Das bedeutet "Losgröße Eins" und Produktion "on demand" in der "Smart Factory".

Der Kunde bestellt nicht eine fertiges Produkt, das massenhaft produziert worden ist und auf Lager liegt, sondern eines, das extra für ihn produziert wird. Es sucht sich dann nicht das fertige Produkt aus, sondern dessen "digitalen Zwilling", die digitale Simulation dieses Produktes. Dieser digitale Zwilling steuert dann auch seine Produktion, damit all die Roboter auch wissen, was sie zu tun haben. Nur so kann man Fehlproduktion und Verschwendung vermeiden, die sonst extrem werden würde, wenn all die Roboter einfach eine Menge Produkte auf Vorrat und auf Lager produzieren würden.

Wenn jetzt die Gesellschaft sagt: Wozu brauchen wir denn nun noch einen Unternehmer?, dann kann die Sache rund laufen. Dann beschafft sie sich Produktionssysteme für die Produkte und Dienstleistungen, die sie konsumieren möchte, bemisst die benötigten Kapazitäten und bekommt alles, was sie sich wünscht, zu den tatsächlichen reinen minimalen Herstellungskosten. Das "intelligente Unternehmen", das heute von den Softwareriesen angepriesen wird, ist am Ende tatsächlich so intelligent, dass es kein Unternehmen mehr sein muss.

Der Kapitalismus macht eigentlich genau das, was Marx von ihm erwartet hat: Er schafft die materiellen Voraussetzungen für seine Abschaffung. Der Kapitalismus brütet die nötige Technik aus, dass man Fabriken betreiben kann wie ein Kraftwerk, das Strom produziert. Es muss nur jemand vor dem Monitor sitzen, der den Betrieb überwacht. Aber statt Strom, der für alle gleich ist, produziert die Fabrik Produkte, die für jeden so sind, wie er sie gerne hätte.

Das ist es, was sich hinter der "autarken" Smart Factory verbirgt, die on demand in der "Losgröße Eins" produzieren kann. Und wie man Kraftwerke, die Strom produzieren, mit großem Gewinn für die Gesellschaft vergesellschaften kann (und konnte), kann man dann auch Fabriken mit großen Gewinn für die Gesellschaft vergesellschaften. Dann kann die Gesellschaft diese Fabriken betreiben wie der Haushalt seine Waschmaschine, seine Spülmaschine und vielleicht seinen Rasenroboter. Dann sind die Maschinen dazu da, Arbeit weg zu machen, und der Mensch ist beschäftigt mit Dingen, die wichtiger sind.

Nicht Dienstbotengesellschaft, sondern Assoziationen freier Produzenten

Es gibt genug zu tun für Menschen, was Roboter und Maschinen nicht tun können, und dazu gehört, was das "Problem der Produktion" angeht, die Herstellung dieser Produktdesigns, die die Produktion von sich selbst dann steuern. Das können die Roboter eben nicht selber. Dieser Job bleibt also übrig, und es muss keineswegs nur der Stardesigner sein, der diesen Job macht. Es ist ein durchschnittlich bezahlter, kreativer Job für viele Menschen, der Spaß macht.

Außerdem erlaubt die Technik, dass Menschen ihre eigenen Entwürfe kreieren. Es könnte gut sein, dass selbstentworfene Kleidung oder Möbel oder sonstige Dinge weit höheres "Prestige" verschafft, als die von Turner angenommenen Markenprodukte von Stardesignern. Was sonst noch viel Spaß und vielleicht auch Prestige verschaffen könnte, sind selbst hergestellte Dinge oder jedenfalls handwerklich hergestellte Dinge, in einem Zeitalter, in dem maschinell hergestellte Produkte fast umsonst zu haben sind - mit dieser Erwartung dürfte Turner richtig liegen.

Wertvoll werden alle Dinge, die nicht maschinell hergestellt werden können, oder die überhaupt nicht vermehrt werden können, wie etwa Kunstobjekte oder eine Gitarre von Jimmie Hendrix. Ansonsten dürfte es wesentlich mehr Tätigkeiten geben, die nicht oder nicht sinnvoll von Maschinen erbracht werden, sodass die Nachfrage nach Beschäftigung genügend hoch bleiben wird, Menschen eine angemessene, angemessen bezahlte und würdevolle Beschäftigung zu verschaffen. Generell befinden diese Jobs sich dann aber eben außerhalb der Sphäre der Produktion.

No Capitalism in the Age of Robots

Die Voraussetzung ist wohl vor allem die, dass die ganze Sphäre der Produktion, die nun durch "Roboter" gelöst ist, nicht unter dem Diktat der Kapitalverwertung verbleibt. In diesem Sinne wird man die Tendenz des Kapitalismus durchaus so verstehen dürfen und müssen, wie Marx es getan hat: Der Kapitalismus unterliegt der Tendenz, sich selbst abzuschaffen. Aber man muss diesen Prozess verstehen. Man sollte tunlichst auch nicht versuchen, diesen Prozess zu behindern oder zu beenden.

Insofern sind kurioserweise "alternative" Ansätze und Bestrebungen gerade in der Linken illusorisch und kontraproduktiv. Genossenschaften, Landkommunen und Arbeiterselbstverwaltungen sind keine fortschrittlichen Ideen. Zwar kann man Banken und Tageszeitungen als Genossenschaften betreiben, aber das sollte man nicht etwa mit Fabriken für Hausgeräte wie Waschmaschinen und Kühlschränke versuchen, denn dann würde die notwendige Arbeitszeit, die man zu deren Erwerb aufbringen müsste, schnell wieder vorindustrielle Dimensionen erreichen. Damit wäre aber niemandem gedient.

Was wir brauchen, sind Forschungsprojekte, die in diesem Sinne transformative Strategien und Konzepte entwickeln und so weit erforschen, dass sie als konkrete Politikziele in politische Entwürfe und Programme integriert, und dem Wähler zur Entscheidung vorgelegt werden können. Daran sind sicher auch Knowhow Träger aus dem Feld der digitalen Hochtechnologien zu beteiligen.

Es geht darum, eine Gebrauchswertorientierung in der Sphäre der Produktion zu realisieren, und damit ist der kapitalistische Wachstumszwang schon erloschen. Es ist auch der Trend zur Kapitalkonzentration und zu exzessiven Einkommensungleichheiten erloschen. Dann gibt es weder eine Dienstbotengesellschaft, noch Oligopole, noch Fußballer mit Millionengehältern. Reiche können sich dann nur noch gegenseitig das Geld abnehmen, aber nicht Massen von abhängig Beschäftigten, wie es in der Gegenwart der Fall ist.

Lassen wir das "Age of Robots" also ruhig kommen. Allerdings muss dann gelten: Jeder soll einen haben.

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