Postkapitalismus ohne Verzicht

Bild: Karikatur von Gerhard Mester/ CC BY-SA 4.0

Plädoyer wider die Verzichtslogik in der gegenwärtigen Klimadebatte

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In der öffentlichen Diskussion über Ursachen und Folgen des Klimawandels sind zumeist die ganz großen Verallgemeinerungen an der Tagesordnung: Wir lebten über unsere Verhältnisse, der Mensch an sich treibe durch seine Gier die Welt in den ökologischen Abgrund, wir alle trügen irgendwie durch unseren Konsum Schuld an der drohenden Klimakatastrophe, die Menschheit müsse endlich zur Besinnung kommen, etc.

Das ganz große "Wir"

Der sogenannte Earth overshoot day stellt eine jener Gelegenheiten dar, an denen die Medien sich dieses ganz großen "Wir" bedienen können. Der dieses Jahr schon am 1. August erreichte Zeitpunkt, an dem die globale nachhaltige Ressourcennutzung überschritten wird und die Menschheit ökologisch "auf Pump" lebt, wird von den üblichen Appellen ans große Ganze begleitet.

Ein "Weiter so" sei keine Option, warnte etwa Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), da wir auf Kosten kommender Generationen lebten und der Klimawandel "eine Folge unserer Übernutzung" der natürlichen Ressourcen sei. Annalena Baerbock von der Partei der Grünen warnte: "Wir müssen unsere Lebensweise endlich klimafreundlicher und nachhaltiger gestalten, um den Raubbau von Ressourcen zu stoppen."

Worauf dieses "wir" hinausläuft, wird etwa bei der Finanzierung der gescheiterten deutschen Energiewende durch astronomische Strompreise, die letztendlich wie eine Kopfsteuer wirken, deutlich: Die Kosten, die aus dem kapitalistischen Wachstumswahn hervorgehen, sollen der Allgemeinheit aufgenötigt, letztendlich sozialisiert werden.

Wenn "wir alle" irgendwie Schuld haben an dem sich überdeutlich abzeichnenden ökologischen Desaster, dann müssen wir alle auch dessen Last tragen - unabhängig vom Geldbeutel.

"Den Gürtel enger schnallen!" - vor allem am Ende der sozialen Skala

Angesicht der extremen sozialen Spaltung in der Bundesrepublik, die inzwischen amerikanische oder russische Dimensionen erreicht, scheint bei dieser Verallgemeinerung eine Drohung gegen die marginalisierten Bevölkerungsschichten mitzuschwingen.

Die überlebensnotwendige Forderung, die eigene Lebensweise endlich klimafreundlicher zu gestalten, läuft binnenkapitalistisch gerade am unteren Ende der sozialen Skala auf das berüchtigte Enger-Schnallen des Gürtels hinaus.

Vollends absurd wird diese in der Klimadebatte übliche, ganz große Verallgemeinerung zur "Menschheit" auf globaler Ebene. Der Klimawandel wurde von der ersten Welt verursacht, von den USA, vom Autoland Deutschland, von Japan - obwohl China und viele Schwellenländer inzwischen bei den CO2-Emissionen aufgeholt haben, ist der historische Emissionsbeitrag gerade des Westens am größten.

Die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung generieren rund die Hälfte der CO2-Emissionen, während die verarmte untere Hälfte der spätkapitalistischen Welt nur für zehn Prozent des Treibhausgasausstoßes verantwortlich ist (womit auch die üblichen rechten Überbevölkerungsphantasien, die inzwischen auch die FAZ propagiert empirisch widerlegt wären).

Die Ideologie in der Klimadebatte erschöpft sich aber nicht nur in diesem billigen Taschenspielertrick, bei dem eine zutiefst sozial gespaltene, oligarchisch geprägte Gesellschaft oder Weltwirtschaft plötzlich in einer egalitär anmutenden Verallgemeinerung subsumiert wird, in der alle - vom Milliardär zum Obdachlosen - die Kosten des Klimawandels zu tragen hätten.

Die Eskalation des "Mehr"

Entscheidend ist gerade, was der "Erdüberlastungstag" eigentlich erfasst. Es ist gerade nicht die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschheit, die zu einer immer stärkeren ökologischen Überbelastung "unseres" Planeten führt. Es ist die Verwertungsbewegung des Kapitals, die den Ressourcenverbrauch über ein nachhaltiges Niveau ansteigen lässt.

Den Ressourcenverbrauch des Kapitalismus facht das Kapital in seinem uferlosen Wachstumszwang an. Als Kapital fungiert Geld, das durch Warenproduktion "vermehrt" (verwertet) werden soll: Aus dem investierten Geld soll nach der Warenherstellung und deren Verkauf auf dem Markt mehr Geld werden. Niemand investiert sein Geld in einer "Unternehmung", um nachher genauso viel oder gar weniger Geld zu erhalten.

Für den Kapitalisten ist die Ware somit nur als Träger von Mehrwert, der durch Verkauf auf dem Markt realisiert wird, relevant. Um den Mehrwert - dessen Substanz abstrakte Lohnarbeit bildet - durch Marktverkauf realisieren zu können, muss die Ware einen Gebrauchswert aufweisen. Sie muss für irgendwelche zahlungsfähigen Marktteilnehmer aus irgendwelchen Gründen einen Nutzen haben, der sie dazu verleitet, diese Ware auch zu erwerben.

Es muss Marktnachfrage nach der betreffenden Ware herrschen. Der Gebrauchswert ist im Kapitalismus somit nur notwendiges "Nebenprodukt", um den eigentlichen Selbstzweck der ganzen Veranstaltung zu realisieren: Die uferlose Akkumulationsbewegung des Kapitals.

Nun ließe sich argumentieren, dass diese Differenzierung nicht entscheidend sei, dass hier Haarspalterei betrieben würde, da über den Umweg der Kapitalverwertung in Gestalt der Gebrauchswerte doch letztendlich menschliche Bedürfnisse befriedigt würden.

Die wachsende Bedürfnisbefriedigung der Menschheit?

Das Kapital expandiere immer weiter - wobei immer größere Quanta an Gebrauchswerten entstünden, sodass der Earth-Overshoot-Day doch vermittelt die wachsende Bedürfnisbefriedigung der Menschheit erfasse, die in Konflikt mit den ökologischen Grenzen des Planeten Erde gerieten.

Zum einen sei hier auf den Unterschied zwischen Marktnachfrage und Bedürfnissen hingewiesen. Im Kapitalismus ist Nachfrage immer nur zahlungskräftige Nachfrage: Es mag eine breite Nachfrage nach Tamagotschis, sprithungrigen Automonstern oder an Unibody-Notebooks herrschen, die aus einen Aluminiumblock gefräst werden, während zugleich in Hungergebieten sich partout keine Nachfrage nach Lebensmitteln einstellen will.

Diese perverse Deformation der Bedürfnisse der Menschheit zur "Nachfrage", bei der SUVs und künftiger Elektronikschrott wichtiger als das milliardenfach vorenthaltene Essen, Kleidung und Obdach sind, wird beim Earth-Overshoot-Day erfasst - und nicht die Bedürfnisse der Menschheit, die sich nur partiell mit der Marktnachfrage decken.

Das endlose Streben nach maximalen Profit, das ja das Wesen des Kapitals ausmacht, "kontaminiert" aber auch den Gebrauchswert, es verändert die Funktionsweise, die Eigenschaften der Gebrauchsgegenstände, die Waren sind.

Eine klare Trennung zwischen Wert und Gebrauchswert ist somit nicht gegeben, der abstrakte Wert, dessen Substanz verwertete Lohnarbeit bildet, schlägt sich auch in den konkreten Eigenschaften des Gebrauchswerts der Warenkörper nieder.

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