Meinung: Rückkehr des starken Staates

Frankreichs Regierungschef Emmanuel Macron will die künstliche Intelligenz nicht allein dem Silicon Valley überlassen. Doch der gute Schritt birgt eine große Gefahr: dass der Staat zu viel Kontrolle über die mächtige Technologie bekommt.

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Meinung: Rückkehr des starken Staates

(Bild: US-Regierung / PD)

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Was Innovationsfähigkeit und Zukunftsorientierung angeht, hatten Staaten noch vor Kurzem einen ziemlich miesen Ruf. Nur private, profitorientierte Unternehmen, so die Logik des dominanten neoliberalen Denkens, wären in der Lage, die zukünftigen Bedürfnisse ihrer potenziellen Kunden – und damit auch die Richtung technischer Innovationen – wirklich zu erkennen. Staatliche Forschungsförderung dagegen geriet generell unter den Verdacht der ineffizienten Geldverschwendung.

Ein Kommentar von Wolfgang Stieler

Nach dem Studium der Physik wechselte Wolfgang Stieler 1998 zum Journalismus. Bis 2005 arbeitete er bei der c't, um dann als Redakteur der Technology Review zu wirken. Dort betreut er ein breites Themenspektrum von Künstlicher Intelligenz und Robotik über Netzpolitik bis zu Fragen der künftigen Energieversorgung.

Kein Wunder, denn statt akademischer Institutionen bestimmten in den vergangenen 20 Jahren vor allem private Unternehmen die Berichterstattung über den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt. Es schien, als ob die Googles, Facebooks und Baidus dieser Welt allein das Tempo und die Richtung bei der Entwicklung einer der wichtigsten neuen Technologien des 21. Jahrhunderts bestimmten: der künstlichen Intelligenz. Das ändert sich gerade. Denn zum einen wachsen im Silicon Valley die Bäume auch nicht mehr in den Himmel. Und zweifelhafte Steuervermeidungsstrategien, das Fehlverhalten von einzelnen Managern und vor allem immer wieder neue Datenskandale haben das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Online-Giganten nachhaltig angekratzt.

Eine wachsende Zahl von Ökonomen argumentiert zudem, nur Staaten wären in der Lage, die Grundlagen für neue technische Durchbrüche zu legen – gerade weil sie kein Interesse an kurzfristigen Profiten haben. Dass die französische Regierung jetzt 1,5 Milliarden Euro in die Förderung der KI stecken will, ist also auf den ersten Blick eine gute Nachricht. Der Mathematiker Cédric Villani hat gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe einen 125 Seiten starken Bericht vorgelegt, der den Rahmen für diese Initiative vorgibt: Künstliche Intelligenz soll "zum Wohle der Menschheit" weiterentwickelt werden. So argumentieren zwar auch Silicon-Valley-Firmen oft und gern.

Erfreulich an der französischen Initiative ist jedoch, dass sie es tatsächlich tun will: Geplant ist, ethische Problemstellungen miteinzubeziehen und sich auch darum zu kümmern, wie die beschäftigungspolitischen Folgen des digitalen Wandels abgefedert werden können. Gut klingt zudem, dass sie künstliche Intelligenz vor allem in der Medizin, im Umweltschutz und für die Verbesserung von Transport und Verkehr einsetzen wollen. Macron spricht in einem Interview mit dem US-Magazin "Wired" von offenen Daten und Open Source, Transparenz, globaler Forschung und Vertrauen.

Trotzdem bleibt ein gewisses Unbehagen zurück. Denn ein Frankreich, das sich in der ungebrochenen Tradition einer kolonialen Großmacht sieht, wählt in dem Programm als viertes Themenfeld für die KI-Forschung Sicherheit und Militär. Parallel dazu hat es seine Bemühungen für eine internationale Ächtung autonomer Waffen zurückgefahren.

Misstrauisch macht auch, dass die Franzosen die Weiterentwicklung der KI nicht einfach durch eine gezielte Förderung universitärer Forschung voranbringen wollen. Ein zentraler Bestandteil des Plans ist vielmehr der Aufbau von bis zu sechs neuen, interdisziplinären Instituten für die KI-Forschung. Diese Institute sollen junge Talente mit attraktiven Arbeitsbedingungen, reichlich Rechenkapazität und möglichst wenig bürokratischen Einschränkungen anlocken. Wer bestimmt die Ausrichtung dieser Institute und die Forschungsziele?

Klar ist bislang nur, dass sie möglichst offen sein sollen für eine enge Zusammenarbeit mit der Industrie. Zusätzlich sollen nicht näher beschriebene "Innovation Sandboxes" eingerichtet werden, in denen Unternehmen ihre Entwicklungen unter vereinfachten regulatorischen Einschränkungen und realistischen Bedingungen testen können.

Gleichzeitig haben die Planer um Macron auch die strategische Rolle von Daten erkannt. Deshalb will die französische Regierung im Rahmen der KI-Strategie zwar künftig auch Daten der öffentlichen Verwaltung offenlegen. Die zentrale Rolle des Staates wird es aber sein, eine Infrastruktur zu schaffen, in der Unternehmen ihre Daten miteinander teilen. Eine staatliche Plattform soll dabei die Rolle des "neutralen Vermittlers" übernehmen.

Der Vorstoß von Macron lässt befürchten, dass nicht nur in China, sondern auch in Europa ein mächtiger staatlich-industrieller "KI-Komplex" entstehen wird, dessen öffentliche Kontrolle zumindest schwierig, wenn nicht gar unmöglich wird.

(wst)