Fußgänger und Fahrradler: Autofahrer sehen euch nicht beim Abbiegen

Wissenschaftler haben Autofahrer mit Eye-Tracking-Systemen beim Abbiegen beobachtet und zeigen sich überrascht

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Über eine Million Verkehrsunfälle sind in den ersten fünf Monaten des Jahres von der Polizei in Deutschand erfasst worden, 0,2 Prozent mehr als im selben Zeitraum 2017, berichtet das Statistische Bundesamt. Sicherer wird es also nicht wirklich. Mit fast 114.000 Unfällen mit Personenschäden stieg deren Zahl um 8,8 Prozent. Es starben 1163 Menschen, 3,5 Prozent oder 42 weniger, aber die Verletzten nahmen um 0,6 Prozent auf 147.200 zu. Besonders zu nahm die Zahl der Verletzten in Brandenburg und in Sachsen.

Zahlen über Fahrradfahrer, die bei Verkehrsunfällen ums Leben kamen oder verletzt wurden, gibt es nur für das Jahr 2017, in dem 3180 Menschen starben, der niedrigste Stand seit 60 Jahren. Auch die Zahl der Verletzten ging um 1,6 Prozent zurück. Dabei werden täglich 1100 Menschen im Straßenverkehr verletzt und sterben 9 Menschen. 382 Fahrradfahrer wurden 2017 getötet, 79.000 verletzt (über die Schwere ist nichts bekannt).

Zwar ist die Zahl der Getöteten und Verletzten seit 2010 zurückgegangen, bei den Fahrradfahrern blieb sie jedoch etwa gleich. Das erklärt sich wohl auch dadurch, dass die Zahl der Fahrradfahrer in den letzten Jahren weiter angestiegen ist. Besonders gefährdet sind ältere Fahrradfahrer, aber auch die Verkehrsunfälle mit Pedelecs steigen an. Unfälle zwischen PKWs und Fahrradfahrern sind am häufigsten, bei über 46.000 Unfällen im Jahr 2017 kamen hier 137 Fahrradfahrer ums Leben. Weniger Unfälle gibt es mit Lastwagen, dafür enden sie aber öfter tödlich für die Fahrradfahrer. Oft handelt es sich um Abbiegeunfälle.

Nach einer allerdings schon etwas älteren Studie der Unfallforschung der Versicherer (UDV) aus dem Jahr 2012 betrifft dies LKWs und PKWs gleichermaßen:

Innerorts ist jeder vierte Getötete im Straßenverkehr ein Radfahrer. Als besonders gefährlich haben sich Konflikte zwischen abbiegenden Kraftfahrzeugen und geradeausfahrenden Radfahrern herausgestellt. Eine Unfallart, die fast ausschließlich vom Autofahrer verursacht wird und in 80 Prozent der Fälle mit Verletzten endet.

UDV

Aber gefährlich wird es auch, wenn Autofahrer oder Mitfahrer die Türe öffnen, wie ebenfalls eine aktuelle Studie der UDV ergeben hat: "Bei rund jedem 14. Pkw/Radfahrer-Unfall (7 Prozent) kollidierte ein Radler mit einer sich öffnenden Autotür."

Mehr als die Hälfte der Autofahrer achtete nicht auf Fahrradfahrer beim Abbiegen

Jeder Fahrradfahrer weiß zwar, dass man Autofahrern beim Abbiegen nicht vertrauen kann, dass sie wirklich schauen. Eine Studie von Wissenschaftlern der University of Toronto hat dies nun aber eindrucksvoll so belegt, dass Vorsicht gegenüber Autofahrern zwingend geboten ist. Beim Abbiegen müssen Autofahrer im Multitasking-Modus auf zahlreiche Hinweise in verschiedenen Richtungen achten, also auf andere Autos, Verkehrszeichen, Ampeln, Fußgänger und Fahrradfahrer. Für ihre Studie haben sie 19 Autofahrer im Alter zwischen 35 und 54 Jahren mit mindestens drei Jahren Fahrpraxis mit Eye-Tracking-Systemen ausgestattet. Die Fahrer mussten an einer großen, durch eine Ampel geregelte Kreuzung und an einer Kreuzung ohne Ampel rechts abbiegen und dabei auf eine Fahrradspur achten.

Versuchsperson mit Eye-Tracker. Bild: Laura Pedersen

11 der 19 Fahrer, also mehr als die Hälfte, achteten vor dem Abbiegen nicht auf einen Bereich, in dem sich Fußgänger oder Fahrradfahrer befinden könnten. Aufmerksamkeitsfehler bestanden darin, nicht nach hinten zu schauen, ob Fahrradfahrer vorhanden sind. An der Kreuzung ohne Ampel, an der parkende Autos die Sicht auf den Fahrradweg behinderten, gab es mehr Aufmerksamkeitsfehler. Und wer öfter in der Innenstadt von Toronto unterwegs war, war unaufmerksamer, während Fahrer, die nicht vertraut mit der Situation waren, besser aufpassten.

Birsen Donmez, Canada Research Chair in Human Factors and Transportation und Leiterin der Studie, fand die Ergebnisse überraschend: "Wir hatten dieses Ausmaß an mangelnder Aufmerksamkeit nicht erwartet, zumal wir eine Gruppe ausgewählt hatten, die als Altersgruppe mit einem geringen Unfallrisiko gilt." Sie ist der Überzeugung, dass das Problem mit der Verkehrsinfrastruktur von Toronto zu hat, nicht aber mit dem Lernen, wenn Fahrradspuren einmal da sind und einmal nicht: "Je unvorhersehbarer die Straßenregeln sind, desto problematischer ist es."

Allerdings sollte man meinen, dass dann gerade diejenigen, die mit den Straßenverhältnissen vertraut sind, besser fahren sollten als diejenigen, die sie nicht kennen. Man kann vermuten, dass bei ersteren allgemein die Aufmerksamkeit heruntergeschaltet ist, weil die Umgebung gewohnt - "erfahren" - ist, während bei letzteren mehr Aufmerksamkeit erforderlich ist, allein schon, um sich zurechtzufinden.

Die Zahl der Versuchsteilnehmer war recht klein und es wurde nur das Verhalten an zwei Kreuzzungen beobachtet. Wie aussagekräftig die Studie daher ist, lässt sich nicht wirklich abschätzen, auch wenn sie Vermutungen und das Risiko für Fahrradfahrer durch abbiegende Autos bestätigt. Die Wissenschaftler wollen daher weitere Studien mit mehr Versuchspersonen durchführen. Die Schlussfolgerung von Donmez ist jedenfalls: "Das Ergebnis für Fußgänger und Fahrradfahrer: Autofahrer sehen euch nicht. Nicht notwendigerweise, weil sie schlechte Autofahrer sind, sondern weil ihre Aufmerksamkeit zu zerstreut ist. Beim Queren einer Straße sollten Sie davon ausgehen, dass das Auto Sie nicht sieht." Ob das bei autonomen Fahrzeugen ganz anders ist?