Hintergründe der Terroranschläge in Barcelona und Cambrils weiter unklar

Foto: Ralf Streck

Vor allem der Rolle des Chefs der islamistischen Terrorzelle, der im Kontakt mit spanischen Sicherheitskräften und Geheimdienst stand, ist ein Jahr danach weiter unklar

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Vor dem Jahrestag der Anschläge von radikalen Islamisten vor einem Jahr im katalanischen Barcelona und Cambrils, an die am heutigen Freitag gedacht wird, sind neue Details an die Öffentlichkeit gelangt.

Geklärt ist nun, dass jungen Leute aus der Kleinstadt Ripoll nie mörderische Fahrten mit Lieferwagen und Messerattacken in Touristenhochburgen geplant hatten, mit denen sie letztendlich vor einem Jahr 17 Menschen getötet und mehr als 130 verletzt haben. Sie hatten vielmehr Massaker ungeahnten Ausmaßes mit großen Bomben vor, nicht allein in Spanien, sondern auch in Paris.

Das Kommando entschied sich aber eilig zu einem improvisierten Notfall-Terrorplan, da in der Nacht zuvor ihre Bombenwerkstatt im kleinen Alcanar beim Bombenbau in die Luft geflogen war. Dabei wurden der Terrorchef und Imam von Ripoll Abdelbaki, Es Satty, und ein Kommandomitglied getötet. Er soll den jungen Leuten, die eigentlich gut in Ripoll integriert waren, das "Gehirn gewaschen" haben.

Die "Mutter des Teufels"

In dem besetzten Haus in Alcanar hatten die radikalen Islamisten insgesamt 120 Gasflaschen gehortet, um sie mit dem selbst hergestellten Acetonperoxid (TATP) zu füllen. Bis zu 500 Kilogramm des beim sogenannten "Islamischen Staat" (IS) beliebtesten Sprengstoffs, der vom IS die "Mutter des Teufels" genannt wird, wollten sie herstellen.

Er reagiert auf Reibung, Erschütterung oder Hitze sehr sensibel. Der unvorsichtige Umgang mit dem Material, wie er auf selbstgemachten Aufnahmen der Terroristen zu sehen ist, hat vermutlich zu der Explosion geführt und deutlich Schlimmeres verhindert.

Ausgespäht hatten die Terroristen neben dem Touristenziel "Sagrada Família" auch das Stadion des FC Barcelona, diverse katalanische Diskotheken, Schwulentreffs sowie den Eifelturm. Nach Paris wollten sie, "so Allah will", nach den Anschlägen in Katalonien gelangen. Geplant waren dort parallele Blutbäder, wie von den Terroristen aufgenommene Bilder und Handyvideos zeigen.

"Mit eurem Geld bereiten wir uns vor, um euch zu töten", sprechen sie in die Kamera. Den "Feinden Allahs" solle gelehrt werden "Blut zu weinen", erklären sie, während sie mit Sprengstoff herumwerkeln und auch Sprengstoffwesten basteln.

Die Umgebung des Eifelturms "für einen Anschlag" ausgespäht

Die Aufnahmen zeigen eben auch, dass Kommandomitglieder am 13. August 2017 die Umgebung des Eifelturms "für einen Anschlag" ausgespäht haben. Dass einige der Terroristen nach Paris gereist waren, war schnell bekannt geworden, weshalb auch Verbindungen zu möglichen Terroristen in Frankreich untersucht wird.

Der Audi A3, der in Cambrils von der katalanischen Polizei Mossos d'Escuadra gestoppt worden war, und dessen fünf Insassen dabei erschossen wurden, war wenige Tage vor den Vorgängen in Katalonien in Paris registriert worden. Das Fahrzeug wurde von einem Radar wegen überhöhter Geschwindigkeit geblitzt. Die französische Polizei hatte von einer eiligen Reise gesprochen. Eine Nacht hatten die Terroristen in der französischen Hauptstadt verbracht.

Ungereimtheiten und Lücken bei den Ermittlungen

In den Ermittlungen gibt es aber weiter viele Ungereimtheiten und Lücken. So fragen sich viele Beobachter, warum zum Beispiel Sprengstoffexperten in Alcanar erst mit zehnstündiger Verspätung eintrafen, was die Ermittlungen und Fahndung nach den Zellenmitgliedern verzögert hat.

Zunächst war man von einer Gasexplosion ausgegangen. Die Tedax-Experten hätten aber schnell festgestellt, dass man es mit einer Bombenfabrik zu tun hatte. Die Fahndung nach den übrigen Terroristen hätte schneller anlaufen können.

Foto: Ralf Streck

Vor allem gibt aber die Rolle des Terrorchefs besonders viele Rätsel auf. Schnell wurde bekannt, dass es "Kontakte" zwischen dem Imam und dem Geheimdienst gab. Das hatte der CNI sogar schnell eingeräumt. Allerdings weist der Sprecher der Staatsanwaltschaft am Nationalen Gerichtshof nun wachsweich zurück, dass Es Satty ein Spitzel war.

Es gäbe in Bezug auf die "Verbindung des Imam mit dem CNI in den Ermittlungen keine Hinweise darauf", sagte Miguel Ángel Carballo. "Wir haben kein Element gefunden, in der Untersuchung dieser Frage helfen würde."

Die Frage ist, ob und wie stark überhaupt danach gesucht wurde und wird. Zudem ist nun auch noch bekannt geworden, dass Es Satty nicht nur Kontakt zum Geheimdienst hatte. Als der Imam eine Gefängnisstrafe bis 2014 wegen Drogenhandel absaß, erhielt er im Knast auch noch Besuche von Beamten der paramilitärischen Guardia Civil, hatte erst kürzlich die große Tageszeitung El País veröffentlicht.

Vermutet wird, dass diese Kontakte zu spanischen Sicherheitskräften auch zu seiner frühzeitigen Entlassung führten und auch seine Abschiebung nach Marokko verhindert haben, wie sie im Urteil nach Strafverbüßung festgelegt worden war.

Die Aufklärung dieser Zusammenhänge ist offenbar in Madrid unerwünscht. Der von katalanischen Parteien im spanischen Parlament geforderte Untersuchungsausschuss wurde mit den Stimmen der bis Juni regierenden Volkspartei (PP) und der nun regierenden Sozialdemokraten (PSOE) sowie der rechten Ciudadanos (Bürger) verhindert.