Ist die Sicherheit der Stromversorgung wegen alter Software gefährdet?

Verbundwarte bnNETZE Bild: Christoph Jehle

Früher gab es nur wenige zentrale Kraftwerke, die zumeist in der Höchstspannungsebene einspeisten, heute gibt es Millionen von Einspeisern

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In einem ZDF-Beitrag unter dem Titel Stromausfälle - Software sorgt für Blackouts wird die Meinung vertreten, dass die Steuerungscomputer der Stromnetze instabil geworden seien und daher in Deutschland immer häufiger für kurze Zeit die Lichter ausgehen würden. Da kurzzeitige Stromausfälle von weniger als drei Minuten in Deutschland statistisch nicht erfasst werden, ist es in der Praxis gar nicht möglich, diese Aussage zu verifizieren oder zu falsifizieren.

Dass die Situation der Stromversorgung in Deutschland heute komplexer als früher ist, hat mit zwei politischen Entscheidungen in der jüngeren Vergangenheit zu tun, die sich im täglichen Betrieb als mehr oder weniger inkompatibel herausgestellt haben. Da ist auf der einen Seite die Liberalisierung des Energiemarktes mit dem Unbundling von Stromverkauf und Netzbetrieb und dann Jahre später die sogenannte Energiewende.

Unbundling zu Optimierung des Marktes

Mit dem Unbundling von Netzbetrieb und Stromhandel wollte man den Markt so weit liberalisieren, so dass praktisch jeder Stromhändler bundesweit handeln kann. Man ging in der Folge davon aus, dass Deutschland gewissermaßen eine Kupferplatte sei, wo Strom an jedem Punkt zum Börsenpreis verfügbar sei. Die Differenz zwischen dem bundeseinheitlichen Preis an der Börse und den realen Strombereitstellungskosten geht über Netzentgelte in den Preis für die Endverbraucher ein.

Die Netzentgelte müssen jeweils von der Bundesnetzagentur genehmigt werden. Im Rahmen der Genehmigungen wird immer der kostengünstigste Netzbetreiber als Benchmark herangezogen und Investitionen zur Netzstabilisierung konnten bis vor kurzem nur mit großem Aufwand eingepreist werden, was in der Praxis wohl auch dazu geführt hat, dass Investitionen zur Verbesserung der Netze durchaus unterblieben.

Lassen sich Investitionen in neue Hardware noch ziemlich gut definieren und preislich fixieren, so ist dies bei der benötigten Optimierung der Software so einfach nicht möglich. Zudem muss die Software, die von Drittanbietern bezogen wird, an den eigenen Betrieb angepasst werden. Und dabei kann sich der Aufwand für die notwendigen Testläufe durchaus in die Länge ziehen, kann man doch den Betrieb zum Testen nicht einfach mal abschalten.

Als das Unbundling hierzulande beschlossen wurde, war die Stromversorgung noch stark hierarchisch organisiert. Von den zentralen Großkraftwerken ausgehend wurde der Strom über die Höchstspannungsebene, die Hochspannungsebene und die Mittelspannungsebene in die Verteilnetze geführt. Dabei gab es nur wenige Einspeiser, eine mehrheitlich konstante Richtung des Stromflusses und nur die Kunden waren mehr oder weniger dezentral verteilt. Das Standardlastprofil hatte sich als ziemlich verlässlich für den täglichen Lastverlauf gezeigt. Doch dann kam die Energiewende.

Die Energiewende wirbelt den eingespielten Netzbetrieb durcheinander

Mit der Energiewende und der damit verbundenen Abkehr von den großen thermischen Kraftwerksblöcken und ihren als Minutenreserve ausgelegten Pumpspeicherkraftwerken hat sich die Netznutzung dramatisch verändert. Jetzt sind nicht nur die Verbraucher dezentral angeordnet, sondern auch die Stromeinspeiser.

Dazu sind die meisten Einspeiser heute nicht mehr an das Höchstspannungsnetz angebunden, sondern speisen in die Mittelspannungs- oder Niederspannungs-Verteilnetze ein. Und diese Einspeisung findet wie man am Beispiel des Energiedorfs Wildpoldsried im schwäbischen Landkreis Oberallgäu (vgl… Von der Windkraft zum Microgrid) sehen kann.

Diese strukturelle Veränderung der Stromversorgung ist eine direkte Folge der politisch gewünschten Energiewende und diese war zum Zeitpunkt der Energiemarktliberalisierung noch nicht vorgesehen. Und so zeigen sich inzwischen die praktischen Nachteile des Unbundling im Tagesgeschäft. Dies versucht man im Sinne eines Bridgeing zwischen Netzbetrieb und Stromhandel mit dem Instrument der netzdienlichen Maßnahmen abzufedern. Dazu zählen unterschiedliche Versionen von Stromspeichern, die Strom speichern können, wenn ein Überangebot besteht, aber auch die gesamte Bandbreite der Sektorkopplung, womit beispielsweise das besser zu speichernde Gas zeitweilig durch Strom aus dem Wärmemarkt verdrängt wird.

Die Verteilnetzbetreiber

Die Verteilnetzbetreiber sind für die faktische Belieferung der Endkunden zuständig. Das war klassischerweise die Verbindung zwischen Hochspannungsnetz und lokalem Niederspannungsnetz. Es gibt nach der Übersicht der Bundesnetzagentur aktuell (Stand: 09.05.2018) knapp 900 Verteilnetzbetreiber in Deutschland.

Vielfach ist der Verteilnetzbetreiber auch der lokale Grundversorger, doch dies ist nicht zwingend, weil die Funktion des Grundversorgers nicht vom Netzbetrieb abhängig ist. Grundversorger ist der Stromanbieter, der im jeweiligen Netz im Dreijahresüberblick die meisten Endverbraucherkunden bedient hat. Schließt eine Kommune einen neuen Konzessionsvertrag mit einem anderen Netzbetreiber ab, dauert es in der Regel mehrere Jahre, bis auch die Grundversorgung in diesem Netz wechselt.

Steigende Herausforderungen für die Netzwarten

Neben dem Unbundling und der Energiewende kam in den vergangenen Jahren eine weitere Herausforderung auf die Netzbetreiber hinzu, weil einzelne Kommunen für das Stromnetz auf ihrer Gemarkung neue Konzessionsverträge abgeschlossen haben und die historisch gewachsenen und nicht galvanisch getrennten Netze jetzt von verschiedenen Unternehmen betrieben werden. Hier müssen sich die betroffenen Verbundwarten ständig über Zustände und Veränderungen informieren, die Auswirkungen auf den anderen Netzbetreiber haben könnten.

Im Rahmen des EEG-Einspeisemanagements haben die Verbundwarten in der Regel die Möglichkeit einspeisende EEG-Anlagen temporär in der Erzeugung zu drosseln oder ganz abzuschalten. Dieser Fall kann auftreten, wenn entweder die Netzsicherheit gefährdet sein könnte oder aber die Systemsicherheit im übergeordneten Transportnetz aufgrund von Übererzeugung gefährdet ist. Es lassen sich heute praktisch alle EEG-Anlagen über 10 kWp von der Verbundwarte des aufnehmenden Netzbetreibers fernsteuern.

Das Instrument der Abschaltung steht auch bei Überlast (Untererzeugung) zur Verfügung. Dabei werden, in der Regel auf Anforderung des Transportnetzbetreibers, bestimmte Lastblöcke temporär abgeschaltet. Diese Maßnahmen des Einspeisemanagements und der Kaskade werden nach Aussage von Verteilnetzbetreibern regelmäßig gemeinsam mit den vorgelagerten Netzbetreibern geübt.

Was die Aussage im zitierten ZDF-Bericht angeht, dass über 30 Jahre alte Software in den Netzwarten zum Einsatz käme, hat Telepolis bei einem der Branchenverbände nachgefragt. Nach Aussage des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) ist nicht grundsätzlich auszuschließen, dass es in der Netzwarte eines deutschen Stromverteilnetzbetreibers noch Softwarebestandteile gibt, die schon mehrere Jahrzehnte alt sind. Der VKU stellt in diesem Zusammenhang fest: "Uns sind keine Fälle bekannt, in welchen die Prozesse in einer Verbundwarte auf solchen Software-Fossilien beruht."

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