Migranten: Tunesien unter Druck der EU

Banlieue im Norden von Tunis. Foto: Citizen59 / CC BY-SA 3.0

Vor allem Deutschland und Frankreich wollen, dass das nordafrikanische Land bei der "Steuerung der Migration" mitmacht und Ausschiffungsplattformen zulässt

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Die italienische Regierung hatte zuletzt die Schraube noch einmal angezogen, als sie Richtung Brüssel damit drohte, die Zahlungen an die EU einzustellen, wenn in Brüssel keine Einigung darüber zustande komme, wie die Migranten an Bord des Küstenwachschiffs Diciotti auf andere EU-Länder verteilt werden. Italien will keine Migranten mehr aufnehmen, die über das Mittelmeer in einen italienischen Hafen gebracht werden, sagt Innenminister Matteo Salvini, seit er im Amt ist.

Im Fall Diciotti übernahm der andere Wahlsieger und stellvertretende Regierungschef, Luigi Di Maio von der 5-Sterne-Bewegung, die Rolle desjenigen, der sich mit der EU anlegt. Er drohte der EU damit, dass Italien nicht länger bereit sei, "jährlich 20 Milliarden Euro an die EU zu zahlen, wenn sie sich nicht bei der Verteilung der Flüchtlinge vor Catania einige". Europa habe weder Solidarität noch Verantwortung gezeigt, so Di Maio.

Oettinger versus Di Maio

Selbstverständlich erklärten Vertreter der EU umgehend, dass sie sich auf solche Drohungen, die auch die EU-Mission Sophia betreffen, nicht einlassen würden. Schließlich würden da zwei Angelegenheiten miteinander verbunden, die nichts miteinander zu tun haben. Dies machte zum Beispiel der deutsche EU-Kommissar Oettinger geltend, der sich häufig mit Italien in einer schulmeisterlichen Art anlegt, die auf deutsche Spar-Grundtugenden baut.

Oettinger wies den Versuch der italienischen Regierung zurück, den aktuellen Streit um die Migrationspolitik mit der Debatte über den EU-Haushalt zu vermischen, wie es die FAZ formulierte.

Di Maio hat da eine andere, nachvollziehbare Wahrnehmung. Der deutsche Oettinger habe sich nie gemeldet, wenn Italien um solidarische Hilfe bei den anderen EU-Staaten nachgefragt habe, als es um die Migranten ging, die vor allem in italienische Häfen gebracht wurden. Jetzt, wo es ums Geld geht, würde sich Oettinger dauernd zu Wort melden.

Die Migranten von der Diciotti sind inzwischen an Land gelassen worden. "Irland und Albanien hatten erklärt, einige von ihnen aufzunehmen, die übrigen werden jetzt in Einrichtungen der katholischen Kirche versorgt", berichtete die Tagesschau am Donnerstagabend.

Andere Wahrnehmungen

Allein dass die Migranten den Vorwurf der Folter, der Vergewaltigungen und anderer Qualen in den Lagern in Libyen wiederholen, ist schon ein klares Zeichen dafür, dass hier nichts erledigt ist. Die italienische Positionierung legt eine neuralgische Stelle der EU offen. Angesichts dessen, dass das Migrationsthema eine ziemliche politische Wucht entfaltet, ist Feuer unter dem Dach der behäbigen, etwas weltfernen Amtsträger in Brüssel.

In zwei europäischen Hauptstädten sind die Regierungen sehr aufgeschreckt. Jedenfalls wird aus Tunesien berichtet, dass dort der Druck aus der EU als so stark empfunden wird, dass er bei "Fenster und Türen" hereinkommt, immer besser koordiniert seien die Forderungen aus Europa zur ausgelagerten Steuerung der Migration. Besonders aus Deutschland und Frankreich komme er. Die Spannungen in Tunesien würden steigen.

Es geht um die etwas eigenartig "regionale Ausschiffungsplattformen" genannten Zentren, die der EU-Plan zur Migrationssteuerung in Drittstaaten etablieren will, um die Migration über das Mittelmeer zu regeln. Tunesien ist als Standort "umworben".

Wie in der EU-Pressemitteilung Ende Juli genauer ausgeführt wird, sollen diese Plattformen, die wunschgemäß in nordafrikanischen Ländern geschaffen werden sollen, die Migranten trennen, in solche, die eine Chance haben, in Europa aufgenommen zu werden -und die anderen. Diese werden von dort aus zurück in ihre Heimatländer geschickt. Idealerweise gehen sie. Falls nicht könnten auf die Dauer schwierige Situationen für die Länder mit den "regionale Ausschiffungsplattformen" entstehen.

Jedenfalls fürchten das die nordafrikanischen Länder und sträuben sich. Sie spielen nicht mit, wie es die EU will. Daher der Druck auf Tunesien. Ägypten macht zum Beispiel nicht mit, wie es ganz deutlich erklärte. Und von Algerien und Marokko hat man bislang auch keine echte Bereitschaft vernommen, solche Anlauf- und Auswahlzentren zu errichten.

In Libyen gibt es bislang niemand, der solches mit Verlässlichkeit verfügen könnte. Auch Tunesiens Haltung heißt bis jetzt "Nein".

"Rote Linien"

Es gebe "rote Linien", heißt es von der tunesischen Regierung, gemeint ist ein Kontrollverlust. Man befürchtet, wie der Le-Monde-Afrika-Korrespondent Frédéric Bobin aus Tunis berichtet, dass es durch diese Zentren einerseits eine Sogwirkung gibt und anderseits "Spannungen", gleichbedeutend mit unerwünschtem Ärger. Man habe jetzt schon Schwierigkeiten damit, dass die sozialen Leistungen für die Bevölkerung nicht ausreichen.

In Tunesien wie auch in anderen nordafrikanischen Ländern wird die europäische Perspektive auf die Migranten nicht übernommen, es gibt einen anderen Blick. Migranten, die in europäische Länder wollen, werden nicht verfemt, sondern unterstützt, wie sich am Verhalten der tunesischen Küstenwache zeigt.

Die Zahlen, die in einem Bericht der in Afrika basierten Organisation Institute for Security Studies (ISS) zur Migration aus Tunesien erwähnt werden, zeigen, dass die Wächter Migranten durchlassen. Es gebe eine "inoffizielle Toleranz", so der Bericht.

Laut Le Monde gibt es in Tunesien vor allem eine Zivilgesellschaft, die der Regierung auf die Finger schaut, wenn es um Menschen- und Bürgerrechte geht, und die Einstellung gegenüber Migranten, die laut dem eben erwähnten ISS-Bericht in aller Regel und überwiegend aus Tunesien, das - noch - kein Transitland sei, stammen, ist so, dass sich auch die Familien und der Staat zuhause etwas davon verspricht.

Allerdings steht es wirtschaftlich in Tunesien ganz und gar nicht besonders gut. Das ist laut Le Monde der Ansatzpunkt der Europäer. In einigen Aspekten funktioniert der schon. Die Zahlen der Migranten, die aus EU-Ländern zurückgeschickt werden und in Tunesien wieder aufgenommen, sollen laut Le Monde gestiegen sein. Das werde aber in aller Diskretion so gehandhabt.