Polizeibeauftragte statt Vorbeugehaft

Bild: sebaso/CC0

Opfer von ungerechtfertigter Polizeigewalt haben kaum eine Chance, zu ihrem Recht zu kommen

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Wenn derzeit über Polizei-Gesetze und "Reformen" gesprochen wird, geht es meistens um reaktionäre und demokratiefeindliche Vorschläge. Wie etwa in Bayern, wo im Zuge des Landtagswahlkampf inzwischen ein Polizeigesetz besteht, in dem mehrtägige Haft zur Gefahrenabwehr oder auch zur Personalienfeststellung, also eine Art Vorbeugehaft, vorgesehen ist, überdies Überwachung missliebiger Personen, elektronische Fußfesseln, Platzverweise und Videokameras an allen Ecken. All dies dient angeblich der "Gefahrenabwehr". Was Landesinnenminister Herbert Reul in NRW plant, ist kaum lustiger und auch in anderen Bundesländern wird an ähnlichen Gesetzen gebastelt.

SPD, Grüne, Linke, Piraten oder wer gerade in den Landes-Parlamenten die Opposition darstellt, beharren meist auf der Ablehnung der jeweils vorgesehenen Änderungen, ohne weitere Perspektiven zu eröffnen. Als sei die Welt vor diesen neuen Gesetzen in Ordnung gewesen. Was leider öfter fehlt, ist der Mut, zu einem Demokratie fördernden Gegenentwurf. Einem Polizeigesetz, das über die Ablehnung der neuen Repressions-Instrumentarien hinausgeht.

Zur Demokratie gehört nämlich auch eine demokratische Kontrollmöglichkeit staatlichen Handels und hier insbesondere des staatlichen Gewaltmonopols. Dazu gehören auch unabhängige Beschwerdestellen gegen missbräuchliche Polizeigewalt und gleichzeitig zur Klärung von Konflikten innerhalb der Polizei. Die Einrichtung solcher Stellen würde sich bestimmt auf die Selbstmordrate innerhalb der Polizei auswirken.

Die bisherige Erfahrung zeigt, dass Opfer von ungerechtfertigter Polizeigewalt kaum eine Chance haben, etwa über Strafanzeigen gegen Polizeibeamte zu ihrem Recht zu kommen. Genau so wenig finden etwa von ihren Kollegen gemobbte Beamte einen neutralen Ansprechpartner. Bekanntlich ist die Polizei als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft tätig. Das bedeutet auch, Staatsanwälte müssen sich weitgehend auf die Polizei verlassen können. Es besteht meistens ein enges Arbeits- und auch Vertrauensverhältnis. Was ja auch gut ist und so sein soll. Wissenschaftliche Untersuchungen, etwa des Bochumer Kriminologen Tobias Singelnstein, zeigen, dass nur ein geringer Bruchteil von Verfahren gegen Polizeibeamte zur Anklage kommt.

Strafanzeigen gegen Prügel-Polizei sind meist folgenlos

So wurden zum Beispiel in Berlin im Jahr 1998 nur bei1,2 Prozent und 1999 nur in 1,3 Prozent der Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt (§340 StGB), Anklage erhoben. Deshalb genügen die üblichen Mittel der Strafverfolgung in diesen Fällen nicht. Notwendig ist eine umfassendere Kontrollmöglichkeit der Zivilgesellschaft gegenüber der Polizei. Zudem besteht ein Bedarf an effektiven Beschwerdemöglichkeiten für Polizeibeamte bei Fehlverhaltens innerhalb der Polizei. Diese Forderungen sind nicht neu, aber wichtiger denn je.

Unabhängige Polizeikontrollen werden seit den 60ziger Jahren gefordert, aber Gutes dauert in diesem Land bekanntlich länger. Manchmal auch zu lang. "Spätestens seit dem studentischen Ermittlungsausschuss zum tödlichen Polizeischuss auf Benno Ohnesorg 1967 in Berlin ist die Forderung nach unabhängiger Polizeikontrolle auf der Agenda der bundesdeutschen Bürgerrechtsbewegung", so Eric Töpfer(1). Töpfer befasst sich auch im Rahmen seiner Arbeit für das Deutsche Institut für Menschenrechte mit dieser Thematik.

Polizeibeauftragte auch für den Bund gefordert

Bereits im Jahr 2008 legte die Humanistische Union Gesetzentwurf zur Institutionalisierung eines Polizeibeauftragten vor, der fortan auch als Vorlage oder zumindest als wichtige Anregung für entsprechende Gesetzentwürfe von Grünen und Linken im Bundestag und in verschiedenen Landesparlamenten diente und auch weiterhin dient. Im Bundestag wurden 2015 Entwürfe der Linken und 2016 der Grünen zur Berufung eines Bundespolizeibeauftragten mit Zuständigkeit für die Bundespolizei, das BKA und den Zoll eingebracht, diskutiert und schließlich von der Großen Koalition abgelehnt.

Federführend bei den Grünen war deren heutige Innenpolitische Sprecherin Irene Mihalic, vor ihrer Wahl in den Bundesag als Polizeibeamtin tätig. Für die Linken präsentierte Frank Tempel den Gesetzentwurf, ebenfalls vor seiner Wahl in den Bundestag als Polizeibeamter tätig.

Doch die Vertreter der Polizeigewerkschaften lehnten in den Anhörungen zu den Gesetzentwürfen diese entschieden ab. Dabei tat sich Jörg Radek, der Vorsitzende der Bezirksgruppe "Bundespolizei" in der GdP, besonders hervor. Er sah keine "Notwendigkeit" für die Einrichtung einer solchen Stelle.

In Rheinland-Pfalz hatte die GdP dem gegenüber bereits 2014 sogar einen eigenen Gesetzentwurf für die Einrichtung eines Polizeibeauftragten vorgelegt. Offenbar wird dieses Thema innerhalb der GdP ähnlich kontrovers diskutiert, wie die Frage der Kennzeichnung von Polizeibeamten.

Die Diskussion über beide Themen wird auch in dieser Wahlperiode fortgeführt. Die Forderung nach einem Bundespolizeibeauftragten werden zumindest Linke und Grüne erneut auf die Tagesordnung setzen.

Der Linke Frank Tempel selbst arbeitet mittlerweile in der Koordinationsstelle "Häusliche Gewalt", angesiedelt bei der Gleichstellungsbauftragten der Landesregierung Thüringen. Er wird sich insofern allenfalls noch mit Polizisten-Gewalt befassen, wenn sich diese in deren Wohnung ereignet.

Für die Grüne Irene Mihalic steht fest, dass die Forderung nach Polizeibeauftragten in Bund und Ländern notwendig ist. Sie kündigte diesbezüglich einen weiteren Vorstoß ihrer Bundestagsfraktion an. Als einen Grund nannte sie auch, dass die seit 2015 bestehende Vertrauensstelle der Bundespolizei von den Beamten kaum genutzt würden: "Nur 214 Eingaben in drei Jahren bei über 40 000 Mitarbeitern zeigen deutlich, dass die Vertrauensstelle kaum angenommen wird", erklärte sie gegenüber dem Handelsblatt. Diese "Vertrauensstelle" untersteht direkt dem Präsidenten der Bundespolizei und ist nur ihm gegenüber berichtspflichtig.

Polizeibeauftragte bisher nur in drei Ländern

Als erstes Bundesland erweiterte Rheinland-Pfalz am 18. Juli 2014 die Aufgabe des bereits 1974 existierenden Bürgerbeauftragten des Landtags um die neue Aufgabe eines unabhängigen und weisungsfreien Polizeibeauftragten. Die damalige rot-grüne Landesregierung ging damit über den im Koaltionsvertrag von 2011 vereinbarte Einrichtung dieser Stelle im Landesinnenministeroum hinaus. Eric Töpfer bemerkt dazu in seinem CILIP-Artikel: "Ausschlaggebend für das Umdenken der SPD dürfte gewesen sein, dass die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zuvor einen eigenen Gesetzentwurf für einen Polizeibeauftragten vorgelegt hatte. Das neu geschaffene Amt sollte das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Bürger und Polizei' stärken."

Dem rheinland-pfälzischen Vorbild folgten die Landtage von Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein. In Kiel übernahm die seit 1994 existierende Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten zum 1. Oktober 2016 zusätzlich auch die Aufgabe als Polizeibeauftragter. Die Juristin Samiah El Samadoni ist gleichzeitig auch Antidiskriminierungsstelle und Imbudsperson für die Kinder- und Jugendhilfe des Landes. In Baden-Württemberg wurde das Amt des Landespolizeibeauftragten völlig neu geschaffen. Amtsinhaber ist der ehemalige Polizeipräsident von Aalen, Volker Schindler. Er nahm seine Arbeit im Februar 2017 auf.

In Rheinland-Pfalz ist der Polizeibeauftragte mehrheitlich mit den Anliegen von Beamten beschäftigt, wobei es oft um Probleme mit Versetzungen oder mangelnden Beförderungen geht. Bis Mitte Juli 2018 gingen Eric Töpfer zufolge 253 Eingaben aus der Polizei ein bei nur 73 Bürgerbeschwerden.

In Hamburg gab es infolge eines großen Polizeiskandals eine auf Wunsch der Grün Alternativen Liste (GAL) geschaffene, politisch besetzte "Polizeikommission" als Beschwerdestelle. Sie wurde nach dem Regierungswechsel 2001 der Regierung Ole von Beust (CDU) und Ronald Barnabas Schill (Schill Partei) wieder abgeschafft. Seitdem besteht in Hamburg keine vergleichbare Einrichtung. In anderen Bundesländern wird immer mal wieder darüber diskutiert, ohne dass bisher konkrete Schritte zur Einrichtung einer solchen Stelle erfolgten. In Bremen plant die rot-grüne Stadtregierung die Einrichtung eines Gewaltbeauftragten (siehe Seite 114 der Koalitionsvereinbarung).

Dessen Zuständigkeit soll sich nicht nur auf die Polizei, sondern auch auf andere Behörden wie etwa den Bereich der Psychiatrie erstrecken. Diesbezügliche Verhandlungen zwischen SPD und Grünen, waren bei Redaktionsschluß noch in Gange. Deshalb mochte sich keiner der Akteure dazu näher äußern.

In Berlin steht der Polizeibeauftragte auch im aktuellen Koalitonsvertrag. Gesetzgeberische Aktivtiäten stehen noch aus. Gerade Berlin mit seinen rituellen Gewaltexzessen zwischen autonomen Demonstranten und der Polizei zum 1. Mai eines jeden Jahres könnte einen Dialog zwischen Demonstrationsteilnehmern und Polizei ganz gut vertragen. In Berlin kann man auch den Eindruck bekommen, als habe man bei der Rekrutierung bei der Polizei auf die rechte Gesinnung geachtet. Da kam es denn auch schon mal vor, dass Polizisten ihre in Zivil tätigen Kollegen verprügelten.

Im beschaulichen Bonn gab es über Jahre hin neben dem "Polizeibeirat" auch einen Gesprächskreis "Bürger und Polizei" dem leitende Polizeibeamte und professionelle Demonstrations-Anmelder wie der - verstorbene "Manni Stenner". Er gehörte zu den Organisatoren der großen Friedens-Demonstrationen auf dem Bonner Hofgarten. Die Existenz dieser Initiative hing maßgeblich an der Mitarbeit von bestimmten Polizeibeamten. Als diese im Rahmen normaler Beförderungen Bonn verließen, ließ sich der Gesprächskreis nicht weiter aufrecht erhalten. Versuche, ihn mit anderen Personen zu reaktivieren, scheiterten bisher.

Bei Demonstrationen in Bonn, auch bei den großen Anti-Atomwaffen-Demonstrationen mit mehreren hunderttausend Teilnehmern in an 1980ger Jahren, war keine martialisch ausgerüstete Polizei und auch kein Wasserwerfer zu sehen. Beides wurde vorgehalten, aber nicht sichtbar. Sie waren versteckt. Auch das war ein Teil der in Bonn zumindest damals üblichen De-Eskalationstrategie. Für die Berliner Polizei wohl eher ein Fremdwort. Was davon in Bonn und überhaupt in NRW, unter Innenminister Herbert Reul mit wilden Gesetzesvorhaben übrig bleibt, ist unklar.

In jüngster Zeit gab es in Bonn gleich zwei Vorfälle überzogener Gewaltausübung durch Polizeibeamte. In einem Fall wurde M. O., ein deutscher, farbiger Journalist, von Polizisten nachts misshandelt, weil er den Verkehrsunfall einer Polizeibeamtin mit ihrem Dienstwagen fotografiert hatte. Wenig später folgte die mit viel Prügel verbundene Festnahme eines jüdischen Professors aus den USA, der zuvor wegen Tragens einer Kippa von jungen Arabern geschlagen worden war. Als die von Zeugen des Vorfalls herbei gerufene Polizei eintraf, flohen die Täter und statt ihrer wurde der Professor, also das Gewaltopfer, von den Beamten zu Boden gerissen und verprügelt ("Don’t get in trouble with the German police!"). In beiden Fällen erstatteten Beamte Strafanzeige gegen die Opfer, wie das eben so üblich ist bei ungerechtfertigter Polizeigewalt.

Uni Bochum sucht Opfer von rechtswidriger Polizeigewalt

Beides Fälle, die vielleicht Eingang finden in eine neue wissenschaftliche Untersuchung, die derzeit an der Ruhr-Universität in Bochum vorbereitet wird. Und da es noch keine Polizeibeauftragten in allen Bundesländern gibt, bleibt auch der Wissenschaft nur die Selbsthilfe, um an seriöses Datenmaterial zu gelangen. So bereitet das Forschungsprojekt KViA-Pol am Lehrstuhl für Kriminologie derzeit eine bundesweite Online-Befragung von Opfern rechtswidriger Polizeigewalt vor.

Mit dieser Befragung wollen die Wissenschaftler unter Leitung des Institutsleiters Prof. Dr. Tobias Singelnstein Betroffene aus allen Teilen der Gesellschaft erreichen. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt hat zum Ziel, "empirisch fundierte Aussagen über mögliches Fehlverhalten bei polizeilicher Gewaltausübung zu tätigen und das Dunkelfeld des Deliktbereichs" zu beleuchten. "Erstmals in Deutschland wird hierzu eine Opferbefragung durchgeführt, deren Ergebnisse anschließend durch Interviews mit Expertinnen aus verschiedenen gesellschaftspolitischen Bereichen ergänzt werden", heißt es in der Projektbeschreibung. Der Link zur Teilnahme wird, sobald die derzeit laufenden Vorarbeiten erledigt sind, unter www.kviapol-rub.de veröffentlicht. Die Umfrage startet im Spätherbst, wahrscheinlich ab Oktober 2018. Weitere Informationen unter kviapol@rub.de.

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