Geschenk an Erdogan? Kurdisches Kulturfestival verboten

Vor dem Besuch Erdogans will man offenbar die gewünschte Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen nicht gefährden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In der Türkei werden alle kurdischen kulturellen Feste und Aktivitäten verboten. Aber das ist nicht nur in der Türkei so, sondern nun auch in Deutschland Gang und Gäbe. Auch hier ist kurdische Kultur nicht erwünscht. Am kommenden Wochenende, am 8. September sollte in Dinslaken das 26. Kurdische Kulturfestival stattfinden. Das kurdische Festival sollte im Zeichen der Solidarität mit dem kurdischen Kanton Afrin in Nordsyrien stehen, der von der türkischen Armee und ihren verbündeten dschihadistischen Milizen Anfang dieses Jahres besetzt wurde.

25.000 Besucher wurden erwartet. Seit 26 Jahren gibt es dieses Fest, an dem sich zahlreiche kurdische Kulturvereine alljährlich beteiligen. 93 kurdische, türkische, ezidische, christliche und alevitische Organisationen sind es dieses Jahr, berichtet Dr. Rizgar Qasim, Sprecher der Veranstalter "Afrin-Solidaritätsplattform".

Geschenk an Erdogan?

Nur 3 Wochen vor dem umstrittenen Besuch des türkischen Präsidenten Erdogan am 28./29. September in Deutschland sorgt das Verbot des 26. Internationalen Kurdischen Kulturfestivals am 8. September in Dinslaken für Aufsehen.

Offiziell führte die Stadt Dinslaken erst technische Gründe für die Absage vom 31. August an. Dass dies ein vorgeschobenes Argument ist, lässt sich unschwer am Ablauf der Verhandlungen erkennen: Bereits im Juli reichten die Veranstalter ein Konzept für die Veranstaltung ein. Die Stadt lud die Veranstalter für den 15. August zu einem Gespräch über das Konzept ein. Einen Tag vorher jedoch, am 14. August, ging bei den Veranstaltern schon die schriftliche Ablehnung des Konzeptes ein, das Gespräch wurde auf den 22.August verschoben. Erst hier seien politische Bedenken geäußert worden, so die Veranstalter. Am 24. August erging erneut ein Ablehnungsbescheid, am 31. August dann die endgültige Untersagungsverfügung.

Schon 2016 wurde versucht, das Fest in Köln zu verbieten. Unter absurden Auflagen wie das Verbot von Essens- und Verkaufsständen konnte das Fest dann trotzdem als "Demonstration" stattfinden. Nun versuchen die Veranstalter das Kulturfestival ebenfalls als temporäre Demonstration anzumelden, damit das umfangreiche Kulturprogramm und die geplanten Redebeiträge der Vorsitzenden der linken türkischen Partei HDP, Pervin Buldan, und von Abgeordneten der Partei Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen trotzdem stattfinden können.

Das Verbot dieser Veranstaltung scheint zum Schmusekurs der Bundesregierung mit dem türkischen Präsidenten zu gehören, der drei Wochen später mit allen Ehren empfangen werden soll. In den Wochen davor gibt es viele Reisen von Politikern in die Türkei und aus der Türkei. Da passt keine kurdische Kultur ins Ablaufprotokoll. Da lässt man schon lieber mal türkische Nationalisten und AKP-Anhänger mit Türkeifahnen sich präsentieren. Wie zum Beispiel das türkische Kulturfest der Grauen Wölfe im März in Hamburg. Türkische Fahnen besänftigen das Gemüt des türkischen Autokraten, kurdische bringen sein Blut zum Kochen.

Die deutschen Behörden versuchen immer wieder, Auftritte kurdischer Politiker zu verhindern. Zuletzt bei einer Demonstration Ende Mai in Köln. Türkische Kulturfeste finden jedes Jahr in vielen deutschen Städten statt, aber ein zentrales kurdisches Kulturfest darf nicht sein?

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden…

Artikel 3 des Grundgesetzes

Rizgar Qasim sieht einen direkten Zusammenhang zwischen dem Verbot des Festes und mit dem Wunsch der deutschen Bundesregierung, die Beziehungen zum türkischen Regime auszubauen. Möglicherweise solle Erdogan besänftigt werden, dass er eventuell nicht, wie von ihm gefordert, öffentlich vor seinen Anhängern in Deutschland sprechen darf.

KCK fordert, den Besuch Erdogans abzusagen

Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) fordert die Bundesregierung in einer Erklärung auf, den Besuch Erdogans abzusagen. Die Einladung Erdoğans nach Deutschland komme einer Unterstützung seiner menschenrechtsverachtenden Politik gegen die Kurden und die Opposition in der Türkei gleich. Die Bundesregierung solle vielmehr anerkennen, "dass das kurdische Volk seit dem 20. Jahrhundert immer wieder zu Flucht und Migration gezwungen worden ist". Mittlerweile würden mehr Kurden aus dem Osten der Türkei in den Metropolen der Türkei und in anderen Ländern leben als in ihrem Jahrhunderte altem Siedlungsgebiet. Allein in Deutschland würden über 1,5 Millionen Kurden leben, die meisten seien aufgrund von Vertreibung nach Deutschland gekommen.

Da wäre als Beispiel das Massaker an der alevitischen Bevölkerung 1978 in Maraş zu nennen. In der Folge wurden alle Kurden, die westlich des Euphrat lebten, zur Flucht nach Europa gezwungen, heißt es in der Erklärung. Danach wurden türkische Familien dort angesiedelt, um die Demographie zu verändern. In den 1990er Jahren waren dann die Gebiete östlich des Euphrats dran: "Kurdische Dörfer wurden niedergebrannt und zerstört, Tausende Menschen fielen den sogenannten Morden unbekannter Täter zum Opfer, Hunderttausende wurden gefoltert, Zehntausende kamen ins Gefängnis…" Die Folge war erneute Migration in die Slums der Metropolen oder nach Europa, die bis heute andauert.

Seit 2014 hat sich die Lage für die kurdische Bevölkerung nochmals verschärft. Nun wurden auch große kurdische Städte wie Diyarbakir, Sirnak, Nuseybin und Cizre zerstört und über eine halbe Million Menschen zur Flucht gezwungen. Die Zahl der kurdischen Asylbewerber aus der Türkei steigt seitdem stetig an.

Der KCK fordert daher die Bundesregierung auf, auch dem kurdischen Bevölkerungsanteil in Deutschland demokratische Rechte wie das Recht auf Demonstrationsfreiheit zu gewähren. Seine Landsleute mahnt er, "extreme Reaktionen zu vermeiden und ihren Protest im Rahmen der deutschen Gesetzgebung zum Ausdruck zu bringen".