Artikel-Sieben-Verfahren gegen Ungarn: Wie geht es weiter?

Europaparlament während der Debatte um ein Artikel-Sieben-Verfahren gegen Ungarn. Bild: EU. Screenshot: TP

Orbán sieht Wahrscheinlichkeit für Verbleib in der EVP bei 50:50

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Nach Informationen des österreichischen Senders ATV meinte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán auf einer Fraktionsklausur seiner Fidesz-Partei in Velence bei Budapest gestern, das 448-zu-197-Votum des Europaparlaments für ein Artikel-Sieben-Verfahren gegen Ungarn beruhe darauf, dass ihn die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel "bestrafen" wolle. Die hatte zuvor über ihren Regierungssprecher Seibert mitteilen lassen, sie "vertrete die Auffassung, die EU als Wertegemeinschaft könne nur funktionieren, wenn alle die Werte auch achteten".

CDU und CSU stimmten unterschiedlich ab

Bei der Abstimmung am Mittwoch hatten bis auf den Sachsen Hermann Winkler alle deutschen CDU-Abgeordneten für die Einleitung eines Artikel-Sieben-Verfahrens gegen Ungarn gestimmt. Von den fünf bayerischen CSU-Abgeordneten war es dagegen nur der EVP-Fraktionschef Manfred Weber, der sich als EVP Spitzenkandidat bewirbt. Alle anderen votierten - womöglich auch mit Blick auf die anstehende Landtagswahl in Bayern - gegen Strafmaßnahmen.

Vorher hatte sich die für die erforderliche Zweidrittelmehrheit entscheidende christdemokratische EVP-Fraktion, der auch die Fidesz angehört, nicht auf eine gemeinsame Position einigen können und ihren Mitgliedern freigestellt, wie sie abstimmen. Bezüglich der dort ebenfalls diskutierten Forderung des österreichischen ÖVP-Abgeordneten Othmar Karas nach einem Ausschluss der Fidesz aus der EVP meinte Orbán ATV zufolge, die Wahrscheinlichkeit dafür liege bei 50:50.

M5S überraschend dafür

Außer der Mehrheit der Christdemokraten hatte sich auch die italienische Regierungspartei M5S für ein Artikel-Sieben-Verfahren gegen Ungarn entschieden. Das war unter anderem deshalb überraschend, weil sie der Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD) angehört, deren Sprecher Nigel Farage von der britischen UKIP sich bei der Plenardebatte entschieden gegen ein solches Verfahren aussprach und zu Orbán meinte: "Join the Brexit Club - you'll love it" (vgl. Ungarn-Verfahren könnte Bewegung in die Fraktionslandschaft im Europaparlament bringen).

Die andere italienische Regierungspartei, die Lega, stimmte im Europaparlament gegen ein Artikel-Sieben-Verfahren. Ihr Vorsitzender, Innenminister Matteo Salvini, meinte dazu: "Die ungarische Regierung und das Volk fordern mehr Sicherheit und Beschäftigung. Warum führt Europa deswegen einen Prozess gegen sie? Das ist ein Wahnsinn." Auf die Regierungszusammenarbeit in Italien hat das unterschiedliche Abstimmverhalten im Europaparlament seinen Angaben nach keinen Einfluss: "Jeder ist frei, so zu stimmen, wie er es für richtig hält".

Ratsbeschluss dürfte an Polen scheitern

Der Beschluss des Europaparlaments geht nun an die Europa- und Außenminister der Mitgliedsstaaten. Sind davon mindestens vier Fünftel - also 22 - der Auffassung, dass in Ungarn die "eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung" der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie oder der Grundrechte besteht, muss der EU-Rat der ungarischen Regierung Gelegenheit zu einer Stellungnahme geben. Außerdem kann er Empfehlungen aussprechen. Für einen danach möglichen Stimmrechtsentzug reicht dann keine Vier-Fünftel-Mehrheit: Hier ist Einstimmigkeit notwendig, wobei das betroffene Land selbst nicht mitstimmen darf.

Dass diese Einstimmigkeit zustande kommt, ist unwahrscheinlich, weil die polnische Regierung wahrscheinlich dagegen votieren wird. Gegen sie läuft bereits seit Dezember ein Artikel-Sieben-Verfahren wegen einer Justizreform (vgl. Kritik an polnischer Justizreform: Sitzt Deutschland im Glashaus?). Eine Anhörung dazu ist für die zweite Septemberhälfte geplant. Hier hat die ungarische Regierung bereits signalisiert, ihr Veto dagegen einzulegen, dass Polen das Stimmrecht entzogen wird.

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, der ein Artikel-Sieben-Verfahrens gegen Ungarn Anfang der Woche noch explizit guthieß, betont inzwischen, dass das Einleiten so einer Maßnahme "weder eine Verurteilung noch ein Beweis" dafür ist, dass es in Ungarn "Fehlentwicklungen gibt". Stattdessen spricht er vom "Start in einen Diskussionsprozess", in dem Fragen geklärt werden sollen.

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