Seehofer zur AfD: "Das ist für unseren Staat hochgefährlich"

AfD-Parlamentsgeschäftsführer Bernd Baumann beim Stellen des Antrags, was Horst Seehofer dazu brachte zu sagen, das sei "für unseren Staat hochgefährlich". Screenshot des Bundestags-Videos.

Der Bundesinnenminister entdeckt plötzlich die Gefahr seitens der AfD anhand eines Geschäftsordnungsantrags und spielt durch Übertreibung dabei der AfD in die Hände

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Bundesinnenminister Horst Seehofer hält bislang weiterhin an Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen fest, der seine Behauptungen über das Video aus Chemnitz nicht belegen konnte, dafür aber vor linker Desinformation warnte und der AfD und den Rechten den Rücken gestärkt hatte. Vielleicht auch um den Druck seitens der SPD, die auf Entlassung Maaßens drängt, und dem Verdacht, dass er damit auch der AfD zuarbeitet und der Bundeskanzlerin in den Rücken falle, schoss Seehofer nun wieder in einem Interview einmal eine volle Breitseite gegen die AfD.

Dass Seehofer durchaus schnell handeln und Konsequenzen ziehen kann, hatte er bei der Entlassung der der BAMF-Chefin Jutta Cordt gezeigt. Damals allerdings auf Druck von Rechts und der AfD. Aufgebauscht wurde damals auch von Medien der Vorwurf, vor allem die Außenstelle in Bremen unter der Leitung von Ulrike Bremermann, die 2017 suspendiert wurde, habe Hunderte von Asylanträgen fälschlich durchgewunken, die Rede war von bis zu 3300. Gegen Bremermann wurde mit anderen Mitarbeitern und Anwälten wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit und bandenmäßige Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragsstellung in rund 2000 Fällen von 2013 bis 2017 ermittelt. Seehofer sprach von einem "handfesten, schlimmen Skandal" und entließ danach Cordt.

Es stellte sich dann aber heraus, dass Politiker und Medien - allen voran CSU-Dobrindt, der AfD-mäßig von einer Anti-Abschiebe-Industrie sprach - der rechten Skandalisierung zum Opfer gefallen waren, wohl auch, um ja nicht von AfD und Konsorten beschuldigt zu werden, die angeblich kriminellen Vorgänge zu vertuschen. So wurden bei einer Prüfung der positiven Bescheide der Bremer Außenstelle von den 18.315 positiven Bescheiden, die dort seit 2000 ausgestellt wurden, gerade einmal in 165 Fällen (0,95 Prozent) ein "grobes Hinwegsetzen über Vorgaben" festgestellt. Von 43.000 abgeschlossenen Prüfverfahren des BAMF, wozu auch die 18.000 von Bremen gehörten, wurde in 307 Fällen der Schutzstatus aberkannt.

Deutsche Politiker lieben offenbar noch eher die Form des Interviews, um Positionen unter das Volk zu bringen, während Donald Trump und andere sich direkt und ohne den Umweg über Medien ans Volk wenden. Wie auch immer, der dpa sagte Seehofer, während der Haushaltsdebatte am Dienstag im Parlament habe die AfD einen "Frontalangriff auf den Bundespräsidenten" geführt. Man habe dabei miterleben können, dass die Partei ihre Maske fallen gelassen habe: "Die stellen sich gegen diesen Staat. Da können sie tausend Mal sagen, sie sind Demokraten."

Das ist Seehofer dann aber reichlich spät aufgefallen - und eben zur rechten Zeit, um sich damit schnell von dem Eindruck abzusetzen, die AfD zu decken. AfD-Chef Alexander Gauland war ihm etwa zur Seite gesprungen und hatte von einer "Hetzjagd" auf Seehofer gesprochen. Ob der Anlass so geeignet war, ist freilich fraglich. Seehofer hat bislang eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz abgelehnt. Sollte er dies nun beabsichtigen?

AfD-Parlamentsgeschäftsführer Bernd Baumann hatte zu Beginn der Haushaltsdebatte Steinmeier beschuldigt, seine "Neutralitätspflicht" verletzt zu haben, als er einen Hinweis auf das Chemnitzer Konzert "Wir sind mehr" gegen Fremdenhass (Video) auf Facebook geteilt hatte. Die AfD weiß damit Medien wie Die Welt hinter sich.

Das sei eine "linksradikale Großveranstaltung" gewesen, sagte Baumann: "Von der Großbühne hämmerten Sänger in die Menschenmenge der 65.000, wie gern sie Busfahrer zusammenschlagen, die Köpfe ihrer Gegner zertreten, wie gern sie Frauen so brutal vergewaltigen, dass sie - wörtlich - grün und blau sind. Ist das mit der Würde des höchsten Amtes im Staate vereinbar?" Baumann beantragte in einem Antrag zur Geschäftsordnung, den Einzelplan 01 zum Bundespräsidialamt des Haushaltsentwurfs 2019 als eigenständigen Tagesordnungspunkt aufzusetzen und 60 Minuten lang zu debattieren. Der Antrag wurde abgelehnt, zumal man in der viertägigen Debatte alle Themen ansprechen könne.

Seehofer bezeichnete den Antrag der AfD als "Frontalangriff" und erklärte: "Das ist für unseren Staat hochgefährlich. Das muss man scharf verurteilen. Ich kann mich nicht im Bundestag hinstellen und wie auf dem Jahrmarkt den Bundespräsidenten abkanzeln. Das ist staatszersetzend." Die AfD sei übermütig geworden und habe die Maske fallen gelassen: "So ist es auch leichter möglich, sie zu stellen, als wenn sie den Biedermann spielt. … Mich erschreckt an der AfD dieses kollektive Ausmaß an Emotionalität, diese Wutausbrüche - selbst bei Geschäftsordnungsdebatten. Als ginge es jetzt um die Auflösung der Bundesrepublik Deutschland. So kann man nicht miteinander umgehen, auch dann nicht, wenn man in der Opposition ist."

Diesen in der Tat lächerlichen Antrag so hochzuspielen, bietet der AfD nicht nur wieder einmal die Chance, sich in eine Opferrolle darzustellen, sondern ist in der Tat weit überzogen. Es hätte genügend Gelegenheiten gegeben, AfD-Funktionäre zu rügen, wenn sie menschenfeindlich gegen Ausländer hetzen oder Nazi-Ideologie verbreiten. Mit einen solchen Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung als "staatszersetzend" und "hochgefährlich" zu beschreiben, ist ebenso der Versuch, wieder Aufsehen im AfD-Stil zu erregen wie die Flüchtlingsfrage zur "Mutter aller Probleme" zu erklären.

Alice Weidel reagierte prompt wie erwartet und nahm die - freiwillige oder unfreiwillige? - Einladung Seehofers an: "Innenminister #Seehofer missbraucht sein Amt, um in den Wahlkampf einzugreifen und die #AfD abermals zu attackieren. Nutzen wird das weder ihm noch der CSU."

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