"Die AfD will eine andere Republik"

Daniel Bax über die rechte Parallelöffentlichkeit, die Medien und die AfD

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Eine "rechte Parallelöffentlichkeit" hat sich gebildet, "die sich in ihrer apokalyptischen Weltsicht ständig selbst bestätigt." Das sagt der Journalist und Autor Daniel Bax im Interview mit Telepolis. Die Rechtspopulisten, so Bax weiter, zeichneten ein düsteres Bild der Wirklichkeit, um dann vermeintliche Lösungen anzubieten. Der ehemalige Redakteur der taz hat sich in seinem aktuellen Buch "Die Volksverführer - Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind" genauer mit der AfD, aber auch mit den Medien auseinandergesetzt.

Seine Erkenntnis: Obwohl Medien die AfD immer wieder kritisierten, machten sie es der Partei bisweilen sehr einfach, sich in Szene zu setzen. Ein Interview über Rechtspopulismus, über Qualitätsmedien, die sich zu sehr nach den Funktionsprinzipien des Boulevardjournalismus orientieren und die Frage, wie Journalisten mit der AfD umgehen sollten.

Herr Bax, haben die Medien die AfD mit stark gemacht?

Daniel Bax: Ich fürchte, ja. Wenn man sich anschaut, welche Themen in den TV-Talkshows der letzten Jahre dominiert haben, dann waren das die Themen der AfD. Überdurchschnittlich viele Talkshows drehten sich um Themen wie Flüchtlinge, Islam und Terrorismus, und übernahmen schon im Titel und der Anmoderation die Schlagworte und oft auch die Perspektive der Rechtspopulisten, die in diesen Zusammenhängen stets ein Bedrohungsszenario zeichnen.

Daniel Bax: Auch die Bild-Zeitung betreibt, ob bewusst oder unfreiwillig, das Geschäft der AfD, indem sie die Zustände in Deutschland ständig überdramatisiert. Boulevardmedien pflegen vielerorts in Europa ein geradezu symbiotisches Verhältnis zu den Rechtspopulisten in ihren Ländern, man arbeitet quasi Hand in Hand. In Großbritannien haben die britischen Boulevardblätter den "Brexit" mit herbei geschrieben, in Österreich stützen sie die FPÖ, in den USA hat der Sender Fox News letztlich Donald Trump den Weg bereitet.

Das sind Boulevardmedien. Die scheinen nicht anders zu können.

Daniel Bax: Ja, aber leider macht sich auch in etablierten Leitmedien und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hierzulande ein Trend zur Boulevardisierung bemerkbar. Dessen Stilelememente - die Personalisierung , die Dramatisierung, die Vereinfachung und der Appell an Emotionen und Ressentiments - prägen die Berichterstattung auch manch seriöser Medien. Daneben hat sich eine rechte Parallelöffentlichkeit gebildet, die sich in ihrer apokalyptischen Weltsicht ständig selbst bestätigt. All das hilft den Rechtspopulisten, die ebenfalls ständig die Gegenwart weit schlimmer zeichnen, als sie ist, um sich als Retter in der vermeintlichen Not zu präsentieren und einfache Lösungen anzubieten.

Ein kommerzielles Mediensystem ist anfällig für Populisten

Die AfD sieht sich aber eher als ein Opfer der Medien?

Daniel Bax: Das ist richtig, das gehört zu ihrem Selbstverständnis, so stellt sie sich gerne dar. Dabei kann die AfD den etablierten Medien eher dankbar sein, dass sie ihnen und ihren Lieblingsthemen immer wieder bereitwillig ein Forum bieten. Die AfD versteht es sehr geschickt, auf der Klaviatur der etablierten Medien zu spielen, etwa durch gezielte Provokationen. Die Empörung über ihre kalkulierten Grenzüberschreitungen beschert ihnen immer wieder Aufmerksamkeit. Zugleich benutzt sie diese Empörung, um sich als Opfer der Medien darzustellen, die ihnen angeblich Unrecht tun.

Zu ihrem Spiel mit den Medien gehören auch die halbherzigen Distanzierungen, mit denen AfD-Politiker immer wieder so tun, als seien sie nur falsch verstanden oder zitiert worden. Wichtig ist ihnen, von den Medien wahrgenommen zu werden. Dafür ist ihnen fast jedes Mittel recht. Man darf auch nicht vergessen: In keiner anderen Partei sind so viele gestandene Journalisten in Spitzenpositionen vertreten wie in der AfD, angefangen bei ihrem Vorsitzenden Alexander Gauland. Sie wissen also sehr gut, wie die Medien funktionieren.

Aber dieses Vorgehen ist doch im Grunde genommen leicht zu durchschauen. Boulevardisierung aufseiten der Qualitätsmedien hin oder her: Es sollte für Qualitätsmedien ein Leichtes sein, den Strategien der AfD bereits im Ansatz journalistisch sauber entgegenzutreten. Nochmal: Warum tun sich die sogenannten seriösen Medien damit so schwer?

Daniel Bax: Das Problem ist, dass es für Medien selbst ja auch attraktiv sein kann, auf populistische Themen zu setzen, weil sie hohe Einschaltquoten und Auflagen versprechen. Das ist verführerisch, denn damit lässt sich viel Geld verdienen. Die Talkshows oder die Bild-Zeitung setzen ja nicht auf ihre Aufregerthemen, um der AfD zu helfen. Sondern weil sie gut fürs Geschäft sind. Wir alle sind Teil des Problems, wenn wir uns vielleicht über Nebensächlichkeiten mehr echauffieren als über wirklich wichtigere Dinge. Das Netz hat da teilweise die Funktion eines Brandbeschleunigers.

Ein kommerzielles Mediensystem ist anfällig für Populisten, die ständig deren Reiz-Reaktions-Muster bedienen. Donald Trump ist dafür ein Musterbeispiel. Er hat den Medien in den USA im Wahljahr ein Rekordergebnis beschert. "Er mag schlecht fürs Land sein, aber gut fürs Geschäft", sagte ein TV-Senderchef einmal über ihn. Sie mussten ja nur die Kamera draufhalten, wenn er irgendwo auftrat - irgendein Spektakel war garantiert. So haben sie Trump viele Stunden kostenloser Sendezeit eingeräumt und ihn größer gemacht, als er ist. Er hat seine Konkurrenten in den Schatten gestellt, weil er ganz einfach unterhaltsamer war als sie, er hat sie mit seinen grellen Sprüchen übertönt.

Darum hassen Populisten in Europa auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und wollen ihn am liebsten abschaffen. Das ist ihr Programm, ob in der Schweiz, in Österreich oder in Deutschland. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat seine Schwächen. Aber er folgt zum Glück nicht dem reinen Quotenkalkül.

Mal genauer: Was fällt Ihnen auf, wenn Sie beobachten, wie die Medien mit der AfD umgehen?

Daniel Bax: Sie gehen der AfD oft auf den Leim - allein schon dadurch, dass sie ihrer Erzählung folgen, dass Migration, Integration und Flüchtlinge die Schicksalsfrage unserer Nation seien. Das sind zweifellos wichtige Themen. Aber es gibt auch andere Themen, die mindestens ebenso wichtig sind und die ein großer Teil der Bevölkerung als wichtig empfindet, die dadurch aber in den Hintergrund geraten.

In einer Emnid-Umfrage für die "Bild am Sonntag" kam vor kurzem heraus, dass die meisten Deutschen derzeit den Kampf gegen Altersarmut und der Einsatz für gleiche Bildungschancen für die wichtigsten politischen Herausforderungen unserer Zeit halten. Ich denke, die steigenden Mieten sind in vielen Großstädten auch ein Thema, das viele Menschen beschäftigt. Auf diese Herausforderungen haben Rechtspopulisten keine Antwort. Stattdessen suchen sie nach Sündenböcken und finden sie in Minderheiten und "den Eliten".

Die rechte Medienblase

Wird hier nicht ein grundlegendes Problem deutlich? Schon seit längerem ist zu beobachten, dass Medien Themen setzen, die nicht unbedingt mit dem, was eine Vielzahl von Bürgern für wichtig hält, übereinstimmen. Um nur mal ein Beispiel zu bringen: Anne Will kommt aus der Sommerpause und in ihrer ersten Sendung geht es um: Klimawandel. Illner kommt aus der Sommerpause in ihrer Sendung geht es um: Klimawandel. So wichtig das Thema auch ist, es ist eben auch ein Liebllingsthema von vielen Vertretern des journalistischen Milieus. Ein paar Tage vor der Sendung wurde bekannt, dass deutlich mehr Kinder in Deutschland von Armut betroffen sind als angenommen. Offensichtlich wurde das Thema als unterrangig bewertet.

Daniel Bax: Es gibt einen Herdentrieb im Journalismus. Wenn ein Thema gerade im Gespräch ist, dann steigen alle mit ein. Dadurch entsteht manchmal ein Bild von Gleichförmigkeit, das Populisten wieder als Beweis dafür dient, dass die Medien angeblich gleichgeschaltet wären. Ich finde: Wir als Journalisten sollten nicht nur über den Klimawandel reden, wenn es im Sommer mal etwas heißer ist als sonst. Und wir sollten auch mehr über Kinderarmut und die Schere zwischen arm und reich in diesem Land reden.

Wenn man sich aber anschaut, welche Themen im rechten Medienkosmos dominieren, dann ist das noch viel einseitiger. Da geht es nur um Flüchtlinge, Muslime und Gutmenschen, die angeblich die Zukunft unseres Landes bedrohen. Das ist eine mediale Parallelwelt, die in sich geschlossen ist und die überhaupt keinen Widerspruch zulässt. Da kommt der Klimawandel nicht vor - oder wenn, dann nur als Witz, weil sie glauben ja nicht daran - , und Kinderarmut ganz sicher auch nicht.

Auch in den etablierten Medien gibt es Journalisten, die eine ähnliche Weltsicht haben, die Muslime für ein riesiges Problem und den Flüchtlingssommer 2015 für den Anfang vom Ende des Abendlands halten. Sie vertreten eine ähnliche Agenda wie die AfD, auch wenn sie der Partei selbst vielleicht nicht nahe stehen. Im rechten Medienkosmos, ob im Internet oder am Zeitungskiosk, gibt es dagegen keine abweichenden Meinungen. Da herrscht eine Einheitsmeinung vor, und da gibt es auch keine kontroversen Debatten. Während in den etablierten Medien also durchaus rechte Standpunkte wie die der AfD Platz finden und auf die Debatte abfärben, dringen umgekehrt andere Standpunkte nicht in die rechte Medienblase vor. Das ist eine Asymmetrie.

Durch die Fokussierung der Medien auf Probleme entsteht ein Zerrbild der Realität

Was können die Medien tun?

Daniel Bax: Mit ihrer Fixierung auf negative Ereignisse - auf Krisen und Konflikte, auf Terror und Gewalt - tragen die Medien tendenziell ohnehin schon dazu bei, ein Zerrbild unserer Realität zu zeichnen. Viele Journalisten verstehen es als ihre vordringlichste Aufgabe, auf Probleme hinzuweisen und Konflikte abzubilden.

Was ja auch in Ordnung ist.

Daniel Bax: Ja, das ist in der Tat eine wichtige Aufgabe der Medien. Aber der Alltag in unseren vielfältiger werdenden Einwanderungsgesellschaften ist viel weniger spektakulär und konfliktreich, als es oft den Anschein hat, wenn man nur der Medienberichterstattung folgt. Durch deren Fokussierung auf Probleme entsteht ein Zerrbild der Realität - gerade, was Fragen der Migration angeht. Insbesondere in Regionen abseits der großen Städte mit ihrer wachsenden Vielfalt, die dort ganz selbstverständlich ist, und in Bevölkerungsschichten, die wenig persönliche Kontakte mit Migranten, Muslimen oder Flüchtlinge haben, können sich dadurch Vorurteile verfestigen.

Inwiefern?

Daniel Bax: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Die Kriminalität in Deutschland ist, statistisch gesehen, auf einem historischen Tiefstand. Trotzdem haben viele Menschen Angst vor steigender Kriminalität. Das liegt auch an der Art und Weise, wie manche Medien über bestimmte Straftaten berichten - speziell, wenn sie von Flüchtlingen begangen werden. Das sorgt für eine Verunsicherung, die mit realen Entwicklungen und Gefahren wenig zu tun haben.

Manche dieser Straftaten sind allerdings auch besonders "spektakulär" bzw. grausam. Außerdem: Vorhandene kulturelle Unterschiede beim Lösen von "Konfliktsituationen" müssen beim Thema Migration und Integration auch diskutiert werden. Ist man nicht bereit, diese Diskussion offen und ehrlich zu führen, hat die AfD sofort wieder einen Ansatzpunkt, um im populistischen Sinne zu agieren. Wie sehen Sie das?

Daniel Bax: Es ist eine immer wiederkehrende Behauptung, dass wir angeblich zu wenig über die Probleme der Integration gesprochen hätten und dies den Rechtspopulisten nützen würde. Schon in der Sarrazin-Debatte wurde dieses Argument vorgebracht. Das war vor acht Jahren, und das war schon damals ein Mythos.

Ich würde sogar sagen, das Gegenteil ist der Fall. Wir reden über nichts anderes, und kulturelle Unterschiede werden überbetont. Wir reden über Kopftücher, über Ganzkörperschleier, über Verbrechen von Flüchtlingen. Dahinter steht auch ein einseitiges Verständnis von Integration: Wenn Migranten ein Verbrechen begehen, wird es ihrer Kultur angelastet. Wenn Deutsche ein Verbrechen begehen, ist das eine monströse Ausnahme. Die NSU-Verbrechen oder massenhafter Missbrauch in der katholischen Kirche werden nicht der deutschen Kultur angelastet. Die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht von Köln wurden dagegen schon überwiegend als Ausdruck einer anderen Kultur aufgefasst - als seien sexuelle Übergriffe in nordafrikanischen uns islamischen Kulturen nicht auch tabu.

Wenn Pegida-Anhänger für Putin schwärmen, sagt niemand, die seien nicht integriert. Wenn Deutschtürken für Erdogan sind, dagegen schon. Das ist ein doppelter Maßstab, und er ist leider die Regel.

Migranten sind nicht gewalttätiger als andere Menschen, und Gewalt ist auch nichts Kulturspezifisches. Trotzdem rufen Gewalttaten von Migranten oder Flüchtlingen ein größeres Medienecho hervor als andere.

Nochmal zur AfD: Was wäre denn von journalistischer Seite der richtige Umgang mit einer Partei, die so agiert, wie die AfD?

Daniel Bax: Man sollte die AfD behandeln wie jede andere Partei. Das heißt, sie sachlich zu den Themen befragen, die man für die wirklich entscheidenden Themen hält. Das kann natürlich auch die Flüchtlingspolitik sein, aber eben nicht nur.

Zugleich sollte man nicht so tun, als wäre die AfD eine Partei wie jede andere. Denn in vielen Punkten steht die AfD mit grundlegenden Werten des Grundgesetzes, mit den Menschenrechten und der Menschenwürde auf Kriegsfuß. Die Lösungen, die sie anbietet, sind oft diskriminierend bis menschenverachtend. Das muss man auch so klar ansprechen. Die AfD will eine andere Republik - eine, die weniger tolerant ist, die autoritär ist und die nur eine Meinung gelten lässt, nämlich ihre. Auf was das letztlich hinauslaufen würde, kann man derzeit in der Türkei, in Russland, in Polen oder Ungarn besichtigen.

In den USA haben viele Journalisten Donald Trump zunächst unterschätzt und für ein Unterhaltungsphänomen gehalten, das hohe Einschaltquoten bringt. Jetzt haben sie einen Präsidenten, der sie pauschal als "Feinde des Volkes" bezeichnet und angreift. Also: Journalisten sollten diese Partei erst nehmen und sie danach befragen, was sie zur Lösung unserer Zukunftsfragen anzubieten hat. Und sie sollten zugleich klar machen, dass diese Partei eine ernste Gefahr für unser demokratisches Gemeinwesen darstellt.

Vor allem aber sollten sie nicht auf ihre ständigen Provokationen und andere Strategien hereinfallen oder ihr die Opferrolle abnehmen, die sie so gerne spielt. Lieber sollte man sich den Gruppen widmen, die tatsächlich Opfer ihrer Agitation und Hetze sind. Insbesondere für Flüchtlinge und Muslime ist die Lage durch die AfD schwieriger geworden.