"Schutzverantwortung", Libyen und Neo-Kolonialismus

Fayiz as-Sarradsch, der "international anerkannte" Ministerpräsident und das Staatsoberhaupt Libyens kann kaum die Hauptstadt Tripolis kontrollieren und ist Widersacher von Chalifa Haftar. Bild: pm.gov.ly

Wie Libyen nach massiven Lügen angeblich wegen "Menschenrechte" in eine "Demokratie" gebombt werden sollte, dann im Chaos zerfiel und sich Kolonialmächte erbitterten Streit um die Pfründe des Landes liefern

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Dass die NATO im Jahr 2011 nach massiven Lügen und Kriegspropaganda nicht nur einen Bombenkrieg unter dem Vorwand einer "Flugverbotszone" führte und auch vor Ort mit Dschihadisten und Spezialeinheiten den Staat zerstörten, vermutlich das Gold verschwinden ließen2 und ein Chaos den Terroristen und Milizen übergab, ist Folge der Lügen, mit denen immer wieder, zuletzt jetzt in Syrien Angriffskriege durch "Schutzverantwortung", auf Englisch: Responsability to Protect - oder abgekürzt "R2P" -, gerechtfertigt werden sollen.

Aber auch im Jahr 2018 ist nicht absehbar, dass das Libyen endlich befriedet werden könnte, ganz zu schweigen von einer Demokratisierung. Stattdessen führen ehemalige Kolonialstaaten erbitterte Fehden um die Vorherrschaft im Land.

Am 5. September erreichte, nach schweren Kämpfen und vielen Toten in Tripolis, die UNO einen vorläufigen Waffenstillstand. Aber die NATO-Staaten Italien und Frankreich liefern sich nach wie vor eine erbitterte Fehde um die Vorherrschaft in dem von Chaos geplagten Land. Diese beiden EU-Länder, haben, neben den arabischen Diktatoren, die in dem Land ihre eigenen Kleinkriege führen, die Führung bei der "Befriedung" des Landes übernommen.

Italien hatte 2008 einen historischen Vertrag mit Muammar al-Gaddafi geschlossen. Darin war vereinbart worden, dass Italien Libyen für die Ausbeutung und Verbrechen der Kolonialzeit entschädigt, während Gaddafi sich verpflichtete, den Fluss von Migranten, die illegal nach Italien kamen, zu stoppen.

Frankreich dagegen war eine der treibenden Kräfte bei dem Angriffskrieg der NATO, schon damals scharf von Italien dafür kritisiert. Wie man heute weiß, damals aber nicht in unseren Medien lesen konnte, zurecht. Seit dem Fall von Gaddafi ist eingetreten, wovor Blogger und italienische Politiker gewarnt hatten, dafür aber als "Diktatorfreunde" und Demokratiefeinde verleumdet worden waren.

Libyen zerfiel in ein Chaos, in dem Stämme und Sekten sich gegenseitig bekämpfen. Es entstand ein Bürgerkrieg, der Menschenhandel in einem Umfang ermöglichte, wie seit dem Ende des Imports von Sklaven nach Europa nicht mehr gesehen. Hundertausende Migranten strömten mit der Hilfe krimineller Netzwerke nach Europa oder landeten auf Sklavenmärkten. Die historische Warnung Gaddafis, dass Europa "schwarz werden würde", sollte man den existierenden libyschen Staat zerstören, begann sich zu realisieren.

Zunehmende Feindschaft zwischen Frankreich und Italien

Und so stehen heute wie 2011 Italien und Frankreich auf unterschiedlichen Positionen in der Libyen-Politik. Während Italien und die USA die "international anerkannte Regierung" in Tripolis unterstützen, hat sich Frankreich mit der im Osten des Landes etablierten Regierung von General Khalifa Haftar verbündet, der inzwischen den größten Teil des Landes in Form einer Militärdiktatur kontrolliert.

Italien dagegen schloss vor kurzem eine Vereinbarung mit der Regierung in Tripolis und finanzierte die Bekämpfung der illegalen Migration nach Europa bzw. Italien. Leider kann aber die "international anerkannte Regierung" in Tripolis nicht einmal die Hauptstadt, geschweige denn das ganze Land, kontrollieren. Eigentlich besteht ihre Macht lediglich darin, mit den Geldern der EU-Länder Milizen zu bestechen, die schmutzige Arbeit für sie zu erledigen.

Derweil hat Haftar eine funktionierende Militärverwaltung aufgebaut und einen großen Teil der Netzwerke der illegalen Migration in seinem Gebiet beseitigt. Auch wenn aus interessierten Kreisen anders berichtet wird.

Um die fehlende Legitimation der "international anerkannten Regierung" in Tripolis zu demonstrieren und die Marionettenspieler der Weltmächte dazu zu bewegen, ihn als legitimen Herrscher zu akzeptieren, ließ Haftar durch verbündete Milizen Tripolis angreifen. Dabei wurde sogar die italienische Botschaft gefährdet. Was zu bitteren Anschuldigungen der neuen Regierung in Italien gegen Frankreich führte, dass sie diese Angriffe genehmigt, wenn nicht sogar angeordnet habe.

Hintergrund der zunehmenden Feindschaft zwischen Frankreich und Italien dürfte die Migrationspolitik sein. Während sich Frankreich für das deutsche System einer unternehmensfreundlichen (illegalen) Migration aussprach, verfolgt die neue Regierung in Italien eine strikte Politik der Beendigung illegaler Migration.

Die Spannungen zwischen Italien und Frankreich erreichten ihren Höhepunkt, als bei einem Treffen des ungarischen Premierministers Viktor Orban und seinem italienischen Partner Matteo Salvini Macron sich selbst als deren Haupt-Gegner definierte und als Feind der "populistischen" Anti-Migrations-Politik. Salvini erklärte daraufhin:

Meine Befürchtung ist, dass jemand aus wirtschaftlichen Motiven und eigennützigen nationalen Interessen die Sicherheit Nordafrikas und als Ergebnis die Europas als Gesamtheit gefährdet. (…) Ich denke an jemand, der einen Krieg führte, der nicht hätte geführt werden sollen, jemand, der Wahltermine bestimmt, ohne mit seinen Verbündeten, der UNO oder den Menschen in Libyen zu reden.

Salvini

In Libyen verschärft sich der Stellvertreterkrieg

Aber auch die Interessen der Diktaturen der Region spielen eine große Rolle, und ihr Einfluss wächst. Sie benutzen Libyen nicht nur als Schlachtfeld für ihre Fehden, sondern auch stellvertretend für ihre Machtansprüche in der ganzen Region. Libyen ist eines der Länder, die nach dem "Arabischen Frühling" in Anarchie verfielen, als die vom Westen unterstützten Aufständischen die nationalistischen und sozialistischen Regime der Ba'athisten im Mittleren Osten und Nordafrika stürzten, um den letzten Rest an Einfluss aus der Zeit der Sowjetunion zu beseitigen.

Während im Mittleren Osten die Waffe der religiösen Unterschiede raffiniert für die Teile-und-Herrsche-Politik der Großmächte eingesetzt wurde, war die Lage in Libyen unterschiedlich. Hier gab es eine solche Feindschaft nicht. Deshalb musste der Weg über Bombardierung unter der Deckung einer Sicherheitsratsentscheidung zugunsten einer Flugverbotszone und verdeckter Kriegsführung auf dem Boden gewählt werden. Da Russland und China aus diesem Missbrauch des Sicherheitsrates gelernt hatten, war dieser Weg bisher für Syrien versperrt.

In Libyen verschärft sich der Stellvertreterkrieg, der einerseits von Katar, andererseits durch Saudi-Arabien finanziert und geschürt wird. Aber beide haben sehr ähnliche extremistische Dschihadisten "unter Vertrag", die wahhabitische Religiosität in seiner mittelalterlichen Form vertreten.

Katar unterstützt die Moslembruderschaft, bzw. die mit ihr verbündeten Milizen in Libyen, die dort einfach "Islamisten" genannt werden. Dem gegenüber werden die Vertreter der Militärregierung von Haftar als "Anti-Islamisten" bezeichnet. Während Haftar gegen die Milizen der Bruderschaft kämpft, wird er durch Saudi-Arabien unterstützt.

Allerdings finden sich in seiner Armee eine Reihe von Salafisten, auch solche, die bereits wegen Kriegsverbrechen vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gesucht werden. Darüber hinaus verhängte seine Militärregierung ein Reiseverbot für Frauen, das von einem wahhabitischen Imam bestätigt worden war. Und so erkennt man, dass der Begriff "Islamist" nicht religiös zu sehen ist, sondern als Gruppe, die von Katar unterstützt wird und gegen Haftar kämpft.

Die ehemaligen Kolonialmächte einschließlich der USA, die entgegen der geschichtlichen Tatsache behaupten, niemals Kolonialmacht gewesen zu sein, haben Libyen unter dem Vorwand von "Menschenrechten" ins Chaos gebombt und kämpfen heute wie Geier um die Ressourcen.

Etwas Ähnliches wäre wohl in Syrien passiert, hätte das säkular regierte Land nicht mächtige Freunde wie Russland und den Iran und treue Verbündete wie die größte Partei des Libanon, die Hisbollah. Wenn am 18. September 2018 ein französisches Kriegsschiff unprovoziert Raketen auf Syrien schießt und dadurch die Terroristen unterstützt, wenn die NATO-Länder Türkei, Frankreich und die USA große Teile des Landes besetzen und die legitime Regierung des Landes bombardieren, wenn diese Terroristen bekämpft, wenn vier israelische Bomber ein russisches Flugzeug als Deckung nehmen und die Nähe des Flughafens von Damaskus bombardieren, als gerade eine internationale Messe zum Wiederaufbau des Landes stattfindet, erkennt man, dass Libyen keineswegs ein "Fehler" war oder "schlecht gelaufen" ist.

Vielmehr war Libyen Teil der Politik, mit der missliebige Länder zerstört werden, um später auf den Ruinen eine Herrschaft aufzubauen, die den Mächtigen dieser Welt gehorsam ergeben ist. Eine Politik, die von einer US-Außenministerin "Schöpferische Zerstörung"1 genannt wurde. Und wenn die Bundesregierung Deutschlands heute erklärt, dass in der Syrien-Krise "alle Optionen offen" wären, also auch eine Beteiligung am Angriffskrieg gegen Syrien, obwohl der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages bereits wiederholt die Aktionen der USA als völkerrechtswidrig klassifizierte, und damit eine Unterstützung dieser Aktivitäten durch Deutschland auch gegen das Grundgesetz verstoßen, und nicht nur gegen Artikel 26 (Vorbereitung eines Angriffskrieges) sondern auch gegen Artikel 25 (Völkerrecht), erkennt man wie gerne auch Deutschland das Faustrecht des Mittelalters nutzen würde.

Wenn die Rüstungsausgaben in den nächsten Jahren verdoppelt werden sollen, dann sicher nicht um uns gegen irgendwelche "Feinde" zu verteidigen. Offensichtlich erkennen die Wähler nicht die Differenz zwischen ihrem Wunsch und der Politik der eine deutsche Regierung bildenden Parteien CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP.

Denn während die Umfrageergebnisse sich gegen Krieg und Aufrüstung aussprechen, zeigen die Wahlergebnisse das Gegenteil. Womit wieder einmal die Macht der Medien deutlich wird, die die Krieg vorbereitende Politik unterstützen. So wie sie im Jahr 2011 gegen die FDP hetzten, weil diese sich damals noch gegen eine Kriegsbeteiligung im Angriffskrieg gegen Libyen unter der Scheinlegitimation der "Flugverbotszone" ausgesprochen hatte.

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