Machtkampf in Afrika

Äthiopiens Zukunft zwischen geopolitischen Spannungen und innerer Zerrissenheit

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Äthiopien hat eine interessante und kulturell reiche Geschichte. Wirtschaftlich war Äthiopien lange von feudalistischen Strukturen geprägt und politisch von Kaiser- und Königshäusern beherrscht. Im Jahr 1974 wurde Kaiser Haile Selassie von sogenannten kommunistischen Kräften, angeführt von Mengistu Haile Mariam, gestürzt. Unter einem kommunistischem Deckmäntelchen begann die Ära der Derg-Diktatur. Außenpolitisch mit der damaligen Sowjetunion verbündet, propagandistisch kommunistisch verbrämt, war dieses Regime faktisch eine Diktatur, in der sich wenige die Taschen füllten.

Nach längerem Bürgerkrieg wurde dieses Regime von einer Allianz aus Befreiungsbewegungen verschiedener Ethnien - vor allem aus Tigray - gestürzt, so dass 1991 eine Regierung der nationalen Einheit unter Meles Zenawi gebildet wurde. Die neuen Machthaber fanden ein abgewirtschaftetes, zerrissenes Land mit enormer Auslandsverschuldung vor.

Entwicklung Äthiopiens unter der Regierung von Meles Zenawi

Meles Zenawi formulierte folgende Visionen für Äthiopien: Beseitigung des Hungers, Gleichberechtigung aller Äthiopier und Ethnien und eigenständige Entwicklung des Landes.

Um die Gleichberechtigung aller Ethnien zu erreichen, wurde eine dezentrale und föderale Regierungsstruktur eingeführt. Regionale Regierungen, kulturelle Diversität und weitgehende regionale Selbstverwaltung waren Charakteristika dieser Struktur. Sogar dem Wunsch Eritreas nach einer Abtrennung wurde stattgegeben, obwohl es viele Gegenstimmen gab und der eigene Zugang zum Meer und damit zu den Häfen dadurch verloren ging.

Wirtschaftlich setzte Meles Zenawi auf das südostasiatische Entwicklungsmodell. Die Wirtschaft Äthiopiens sollte wachsen ohne sich gleichzeitig auf Gedeih und Verderb von ausländischen Geldgebern und privaten Investments abhängig zu machen. Öffentlicher und privater Sektor sollte sich in einer Weise ergänzen, dass damit eine optimale ökonomische Entwicklung zum Wohle aller Äthiopier möglich wurde. Besonderes Augenmerk lag dabei auf der Entwicklung der Infrastruktur als eine Voraussetzung für die Entwicklung sowohl der Landwirtschaft als auch der verarbeitenden Industrie. Einem neoliberalen Entwicklungsmodell wurde eine Absage erteilt.

In den folgenden Jahren gelang es so, über 15 Jahre hinweg ein stetiges Wirtschaftswachstum zu erreichen, die Infrastruktur in Form von Straßen, Eisenbahnverbindungen, Telekommunikation und Luftverkehr zu entwickeln, soziale Entwicklung in den Bereichen Bildung und Gesundheit voran zu bringen und trotz wachsender Bevölkerung die Armut deutlich zu verringern.

In der Erkenntnis, dass Energie einer der Schlüsselfaktoren für die Entwicklung des verarbeitenden Gewerbes ist, wurden visionäre Zukunftsprojekte wie der Renaissance-Staudamm in Angriff genommen. Ohne den Aufbau und die Weiterentwicklung des verarbeitenden Sektors ist das Problem der Jugendarbeitslosigkeit - eine der Ursachen für militante Jugendbewegungen in einigen Regionen des Landes - nicht in den Griff zu bekommen.

Was ist über die Visionen des neuen Premierministers bekannt?

Vor dem Hintergrund der beachtlichen ökonomischen und sozialen Fortschritte, die Äthiopien seit dem Amtsantritt von Meles Zenawi bewältigt hat, ist die Ausgangslage für den neuen Premierminister Abiy Ahmed deutlich komfortabler als dies 1991 für Meles Zenawi war.

Abiy Ahmed formulierte - soweit bisher bekannt - folgende Visionen für die Zukunft: Liebe, Vergebung und Einheit sowie Frieden mit Eritrea, wirtschaftliche Liberalisierung, Zentralisierung und Wahlen.

In den ersten Monaten seiner Amtszeit hat Abiy Ahmed vor allem von Frieden, Liebe und Verständigung gesprochen und emsige diplomatische Aktivitäten in Richtung auf Eritrea sowie in Richtung auf die USA und ihre arabischen Verbündeten unternommen. Der beginnende Friedensschluss mit Eritrea ist ein Ergebnis.

Innenpolitisch fanden Gespräche und Avancen gegenüber Oppositionskräften von Überresten des ehemaligen Derg-Regimes bis hin zur Oromo Liberation Front statt. Politische Gefangene - einschließlich solcher, die wegen terroristischer und gewaltsamer Aktionen inhaftiert waren - wurden freigelassen.

Darüber hinaus bleibt sein Programm für das Land bisher eher vage. Es deuten sich jedoch einige strategische Linien an. Wirtschaftlich scheint Abiy Ahmed auf ein neoliberales Modell zu setzen. Er scheint bereit, wichtige Bereiche der äthiopischen Wirtschaft für westliche und arabische Investoren zu öffnen. Britische Banken sind interessiert an Beteiligungen und auch die deutsche Telekom signalisiert Interesse am Telekommunikationsgeschäft. Zur Privatisierung von Land gibt es Andeutungen, es ist jedoch noch nicht klar, wohin die Reise diesbezüglich gehen wird.

Strategische Partnerschaften mit ausländischen Partnern scheinen sich zu verschieben. Das Gewicht von China - bisher Hauptpartner in der wirtschaftlichen Entwicklung - wird zugunsten von Kooperationen mit arabischen und westlichen Staaten sowie Wirtschaftsmächten verschoben. Kredite aus dem arabischen Raum sowie ein Weltbank-Kredit passen hier gut ins Bild.

Einige Äußerungen Abiy Ahmeds deuten auch in Richtung auf eine stärkere Zentralisierung und weniger Autonomie für die Regionen. Massive Eingriffe in der Somaliregion deuten ebenfalls in diese Richtung.

Auch im Hinblick auf den Dammbau scheint sich nun die Politik der neuen Regierung zu ändern. So wurde Ägypten zugesichert, dass der Damm in absehbarer Zeit nicht fertiggestellt würde. Der durchführenden Firma METEC wurde überraschend der Auftrag entzogen, der hochgeachtete leitende Ingenieur wurde erschossen in seinem Wagen aufgefunden. Offiziell als Selbstmord deklariert, gehen viele Beobachter jedoch von einem politischen Mord aus. Der Grand Ethiopian Renaissance Dam ist ein großes Zukunftsprojekt, weitgehend eigenfinanziert und wurde bisher vor allem durch die staatliche Baugesellschaft METEC abgewickelt. Zu 60 % ist der Damm fertiggestellt. Allerdings ist er vor allem im Nachbarland Ägypten immer auf Widerstand gestoßen.