Istanbul: "Wir sind keine Sklaven!"

Luftaufnahme des neuen Flughafens von Oktober 2017. Foto: Vussiewussie / CC BY-SA 4.0

Streiks am dritten Flughafen, wo 40.000 Arbeiter beschäftigt sind. Hunderte werden festgenommen. In den regierungsnahen Medien wurden die Streikenden regelrecht diffamiert

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Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass der Emir von Katar dem türkischen Präsidenten Erdoğan einen Luxus-Jet im Wert von 500 Millionen Dollar geschenkt hat. Gegenüber der AKP-nahen Zeitschrift Takvim sagte Erdoğan, er war an dem Flugzeug interessiert, doch der Emir lehnte es strikt ab, von der Türkei Geld anzunehmen.

Auf die Kritik von Kılıçdaroğlu, dem Vorsitzenden der größten Oppositionspartei CHP, erwiderte Erdoğan, das Flugzeug sei nicht sein Privatbesitz, sondern gehöre der gesamten türkischen Republik. Platz genug ist darin auf jeden Fall für einige der Staatsbürger, denn der Jet verfügt neben einem Konferenzsaal über mehrere Bade- und Schlafzimmer.

Pünktlich zum neuen Geschenk soll nun der dritte Flughafen in Istanbul, der bisher noch keinen Namen trägt, eröffnet werden. Die Feierlichkeiten sind für den 29. Oktober geplant, dem Jahrestag der Republiksgründung. Ob der Flughafen bis dahin jedoch wirklich fertig sein wird, ist unter den aktuellen Umständen fraglich.

10.000 Arbeiter im Streik

Am 14. September traten rund 10.000 Arbeiter auf der Flughafenbaustelle in den Streik, um gegen ihre Arbeitsbedingungen zu protestieren. Auf der gesamten Baustelle sind knapp 40.000 Arbeiter beschäftigt, nur ein Bruchteil ist gewerkschaftlich organisiert. Unter dem Slogan "Wir sind keine Sklaven!" versammelten sie sich und versuchten zunächst über die sozialen Medien auf ihren Protest aufmerksam zu machen.

Aus ihren handgeschriebenen 15 Forderungen geht hervor, welche massiven Mängel auf der Baustelle herrschen. Anscheinend wurden einigen Arbeitern über sechs Monate lang keine Löhne gezahlt, es wurde keine oder ungenügend Arbeitskleidung bereitgestellt, die Shuttlebusse, mit denen die Arbeiter von ihren Unterkünften über die riesige Baustelle zum Arbeitsplatz gebracht werden, fielen aus, und die Unterkünfte sowie das Essen befinden sich in gesundheitsschädlichem Zustand.

Hunderte Festnahmen

Forderung Nummer eins ist jedoch: "Kein streikender Arbeiter wird entlassen!" Die Reaktion der Regierung bereits am 15. September macht die Ablehnung der Proteste deutlich. Die Streikenden wurden mit Wasserwerfern und Tränengas angegriffen, über 400 von ihnen wurden in Gewahrsam genommen. 43 Arbeiter und Gewerkschafter wurden am Dienstag einem Haftrichter in Istanbul vorgeführt, doch nur 19 Streikende kamen frei.

Der Vorwurf lautet "Verstoß gegen das Demonstrationsrecht". Von den 24, die sich nun in Untersuchungshaft befinden, sind die wenigsten der politischen Opposition zuzuordnen. Der Vater des verhafteten Selami Sarıboğa beteuert: "Ich bin Mitglied der AKP, wir haben als ganze Familie von Anfang an die AKP gewählt." Dennoch schlussfolgert er: "Wenn es strafbar ist, seine Rechte einzufordern, dann bleiben in diesem Land wohl keine Rechte mehr übrig."

Diffamierung der Streikenden

In den regierungsnahen Medien wurden die Streikenden regelrecht diffamiert. Sie würden Geld von ausländischen Agenten erhalten und "unser" Land durcheinanderbringen wollen, hieß es da. Um eine Infiltrierung der Proteste von außen zu beweisen, wurde angeführt, dass einige der Protestierenden ohne Sozialversicherung arbeiteten und demnach wohl gar keine Arbeiter seien. Statt dies als arbeitsrechtliches Problem zu erkennen, wurden entrechtete Arbeiter also als "ausländische Agenten" präsentiert.

In diesem Jahr ist dies bereits der zweite Streik gegen die Zustände auf der Flughafenbaustelle. Im März hatten die Arbeiter gegen die hohe Zahl an Arbeitsunfällen protestiert. Während das Verkehrsministerium damals von 27 tödlichen Unfällen sprach, veröffentlichte die Zeitung Cumhuriyet einen Bericht, dem zufolge über 400 Arbeiter verunglückt seien.

Dass dies lange nicht öffentlich wurde, könnte an dem Schweigegeld liegen, dass den Familien der Betroffenen gezahlt wurde, meinte Mustafa Akyol, der damals Vorsitzender der Gewerkschaft İnşaat İş war. Die Türkei steht laut der International Labour Organisation (ILO) seit Jahren auf dem dritten Platz der Länder mit den meisten tödlichen Arbeitsunfällen.

Mit dem näher rückenden Termin der geplanten Eröffnung des Flughafens steigt der Druck auf die Arbeiter. Nach dem die vermeintlichen Organisatoren der Proteste verhaftet wurden, brachte man neue Arbeitskräfte zur Baustelle. Einer von ihnen sagte gegenüber Ahval News:

Gestern rief mich die Subunternehmer-Firma an. Sie erzählten mir, die Protestierenden seien Provokateure und Terroristen. Die Person am Telefon sagte mir, Leute wie ich hätten es mehr verdient, am Flughafen zu arbeiten und ihr Gehalt zu verdienen. Ich habe von dem Streik gehört, aber ich bin seit acht Monaten arbeitslos. Es gibt doch an jedem Arbeitsplatz Probleme.

Ahval News

Die Arbeitslosigkeit und soziale Unsicherheit nehmen in der aktuellen Wirtschaftskrise der Türkei zu. Doch die Firma IGA, die den Flughafenbau betreibt, steht der AKP nahe und hat kaum Konsequenzen zu befürchten.

France24 berichtete am Mittwoch, Vertreter der IGA hätten sich mit einigen der Arbeiter getroffen und die Arbeit würde wieder aufgenommen werden. Über den Verbleib der 24 Inhaftierten liegen bisher keine aktuellen Informationen vor. Bis zu ihren Prozessen werden sie wahrscheinlich in Untersuchungshaft bleiben.