"Assad ist ein Schwein, aber…"

Erste Inauguration von Hafez al-Assad (unterste Reihe ganz links), dem Vater von Baschar al-Assad, im März 1971. Foto: Syrian History Archive / gemeinfrei

Selbst Syrer, die keine Assad-Freunde sind, sehen die vom Westen unterstützten Rebellen nicht als Lösung. Was soll ich also vom Gut-und-Böse-Schema halten, das mir unsere Leitmedien vermitteln?

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Bei einer Wanderung mit Syrern durch Brandenburg höre ich vieles, das mich an Pakistan und Afghanistan erinnert. Auch 1979 beim Einmarsch der Sowjetarmee in Afghanistan wurde die Welt in den westlichen Medien in Gut und Böse eingeteilt - auch damals gab es die guten Rebellen (Mujahedeen) und die bösen Russen.

"Assad ist ein Schwein, aber im Vergleich mit den Dschihadisten augenblick-lich das kleinere von zwei großen Übeln für mein Land." Der das sagt, hätte allen Grund, emotionsgeladen das Ende von Assad zu fordern, schließlich verlor er durch die syrische Armee ein Bein. Im Jahr 2013 fuhr er als 22-Jähriger in einem Krankenwagen von freiwilligen Arzthelfern, die nicht den Weißhelmen angehörten, zwischen den Fronten, als sein Fahrzeug von einer Granate getroffen wurde.

"Wir haben damals allen geholfen, auch syrischen Soldaten", erinnerte er sich im vergangenen Sommer in Berlin. Anstatt Rache fordert er eine Lösung: "Zuerst muss der Krieg beendet werden, damit der Wiederaufbau angepackt werden kann. Dann kann über ein demokratisches Syrien ohne Assad geredet werden, was nicht von heute auf morgen passieren wird. Ich bin überzeugt davon, dass die Syrer verstanden haben, dass unsere Zukunft weder von Religiösen noch von einem Diktator Assad bestimmt werden soll."

"Zuerst muss der Krieg beendet werden"

Drei Wochen später in Brandenburg stehe ich am Ortsausgang von Neuruppin. Zu den Klängen einer Daira (Rahmentrommel) tanzen junge Männer und Frauen, in Shorts und Bikini-Oberteilen, während Anwohner aus den Fenstern starren.

Die Erklärung, dass hier 150 syrische Flüchtlinge zum Gedenken an Pater Frans van der Lugt durch Brandenburg wandern, sorgt bei den wenigen, die nachfragen, für Staunen. "Franz ging es nicht darum, uns zum christlichen Glauben zu bekehren. Er wollte, dass Syrer aus den verschiedensten Teilen des Landes zusammenkommen und auf Wanderungen ihr eigenes Land entdecken", sagt Daja, die mit Franz durch Syrien gestiefelt war - der Pater wurde 2014 in Homs von Dschihadisten ermordetet.

Das Bild von jungen, freundlichen Männern, die gut Deutsch sprechen und freizügig gekleideten Frauen, die sich lachend des Lebens freuen, haben wohl die wenigstens Neuruppiner unter dem Wort Flüchtlinge gespeichert. Ich auch nicht - und das ist die einzige von zwei Meinungsverschiedenheiten, die ich in einigen der knapp 140 kurzen und langen Gesprächen mit den sympathischen Wander(inne)n hatte.

Denn nicht alle Syrer, denen ich bisher begegnet war, haben so schnell und gut Deutsch gelernt und wussten, was sie in ihrer neuen Heimat Deutschland machen werden. Schon gar nicht diejenigen, die ich in meinem Sommer am Berliner Alexanderplatz getroffen hatte. Wie auch? Eine neue Sprache zu lernen und sich in einer fremden Kultur zu Recht zu finden, gehört nicht zu den alltäglichen Aufgaben des Lebens. Dass einige Menschen, die zu uns kommen, an dieser Aufgabe scheitern, ist nachvollziehbar.

"Lieber Assad als die Dschihadisten"

In Brandenburg zeigte sich auch, wie der Mensch von seinem Umfeld geprägt wird: Die meisten (syrischen) Berliner konnten super tanzen und feiern, und selbst lauwarmes Sternburger konnte ihre gute Laune nicht vertreiben - aber mit dem Laufen hatten sie es nicht so. Die (syrischen) Bayern legten lieber einen Euro mehr für ein kaltes Weizen an der Tanke hin und konnten wandern wie Bergziegen.

Was mir die Wanderer über ihr Leben in Syrien erzählten, deckte sich mit den Erfahrungen, die mir bisher zugetragen worden waren. Ein Assad-Freund war nicht unter ihnen und trotzdem hörte ich etliche Male: "Lieber Assad als die Dschihadisten, dann kann in ein paar Jahren erneut einen Demokratieversuch gestartet werden."

Diejenigen, die an den Demonstrationen gegen Assad teilgenommen hatten, erzählten eine ähnliche Geschichte wie Tammam: "Auch ich ging 2011 auf die Straße, weil ich endlich Demokratie wollte. Doch schnell tauchten am Rande der Demonstrationen bewaffnete Religiöse auf. Als ich einen von ihnen fragte, was sie hier machten, antwortete er, dass sie nur zu unserem Schutz da seien."

Wer dann angefangen hat mit den Schießereien - Assads Truppen oder die Religiösen -, konnte mir niemand genau sagen. Jedenfalls wurde dann gekämpft und nicht mehr demonstriert. Die von mir Befragten erzählten, dass sie sich von da ab in ihre Wohnungen zurückgezogen hätten.

"Wir waren so naiv"

Auf die Frage, ob Assads Geheimdienst sie nicht verfolgt habe, antwortete Tammam: "Nein. Assad machte das geschickt. Verfolgt wurden nur die Anführer der Demokratiebewegung. Die standen dann vor der Wahl, Syrien zu verlassen oder sich den Religiösen anzuschließen". Als ich von Tammam wissen wollte, wie er das heute sehe, kam eine Antwort, die ich auch schon gehört hatte: "Wir waren so naiv. Nicht weil wir für Demokratie auf die Straße gingen. Wir waren so naiv, weil wir geglaubt hatten, dass der Iran und Saudi-Arabien zulassen werden, dass wir Syrer selbst entscheiden können, wie wir die Zukunft unseres Landes gestalten."

Viele westliche Medien fassten den Konflikt am Anfang sehr simpel zusammen: Assad und seine Schergen sind Alawiten und die Mehrheit der Syrer Sunniten. Da die Saudis auch Sunniten sind, kommen sie ihren Glaubensbrüdern gegen den Unterdrücker Assad zur Hilfe. Der Haken: Auch unter den Sunniten gibt es viele verschiedene Richtungen und im eher gemäßigten Islam Syriens waren die Anhänger der streng konservativen Islam-Auslegung der Saudis, dem Wahhabismus, eine Minderheit.

Dass nur die Wahhabiten von Assads Geheimdienst ins Auge genommen wurden, wäre auch eine zu einfache Wahrheit: Dafür hörte ich zu viele Geschichten von Verhaftungen und Folter - ein extrem Religiöser war keiner von ihnen. Frei-gekommen sind sie nicht, weil das Assad-Regime sie für unschuldig erklärte, sondern weil sie das Glück hatten, dass ihre Familien genug Geld aufbrachten, um sie freizukaufen.

"Über die Mullahs haben wir Witze gemacht"

Wenn ich die Wanderer fragte, wie das in Syrien sei mit der Religion, bekam ich regelmäßig emotionale Antworten: "Syrien ist doch nicht Afghanistan oder Pakistan. Wir waren das fortschrittlichste und toleranteste Land in der Region." Wenn ich nachhakte, was sie von Afghanistan oder Pakistan wüssten, zeigte sich, dass die meisten das gleiche Bild hatten, wie der durchschnittliche Europäer: Pakistan und Afghanistan in einen Topf werfend, fielen Begriffe wie Taliban, Fanatiker und Bomben.

Für mich klang jedoch Vieles von dem, was mir die Syrer über ihr Land vor dem Krieg erzählten, wie die Geschichten älterer Pakistaner und Afghanistan-Reisender: "Über die Mullahs (Religionsgelehrten) haben wir Witze gemacht. Es gab Nachtclubs, Bars und Alkohol. Kaum eine Frau war verschleiert", lautete ein Standardsatz von älteren pakistanischen Großstädtern, wenn sie über die Zeit bis 1977 sprachen.

"Die Afghanen waren zivilisierter als wir", ist ein selbstironischer Standardsatz von Afghanistan-Reisenden aus dieser Zeit, als sie in Kabul auf den Dachterrassen saßen und die Haschischpfeifen kreisen ließen. Auch wenn nicht in allen Teilen Afghanistans und Pakistans diese Zustände herrschten, bleibt unbestritten, dass Islamisten und eine strenge Koran-Auslegung nicht das alltägliche Leben bestimmten.