Justizamt entwertet Zustellungsvorschrift im NetzDG

Grafik: TP

Die Bundesbehörde hält die Pflicht auch dann für erfüllt, wenn an der angegebenen Adresse faktisch nichts angenommen wird

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Im § 5 Absatz 1 des seit Januar 2018 voll gültigen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) heißt es:

Anbieter sozialer Netzwerke haben im Inland einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen und auf ihrer Plattform in leicht erkennbarer und unmittelbar erreichbarer Weise auf ihn aufmerksam zu machen. An diese Person können Zustellungen in Verfahren nach § 4 oder in Gerichtsverfahren vor deutschen Gerichten wegen der Verbreitung rechtswidriger Inhalte bewirkt werden. Das gilt auch für die Zustellung von Schriftstücken, die solche Verfahren einleiten.

(§ 5 Absatz 1 NetzDG)

Der Social-Media-Konzern Facebook hat zwar mit der (auch für die Bundesregierung tätig gewesenen und 2016 in einen Steuerskandal verstrickten) Berliner Kanzlei Freshfields einen Zustellungsbevollmächtigten benannt - aber einen, der den Angaben des bekannten Hamburger Rechtsanwalts Joachim Steinhöfels nach nicht nur Abmahnungen [für] Sperrungen/Löschungen wegen angeblicher Gesetzesverstöße "massenhaft" unbearbeitet zurückschickt, sondern auch "Zustellungen von Gerichten in Verfahren, in denen um rechtswidrige Inhalte gestritten wird" - und sogar einstweilige Verfügungen.

Deshalb beantragte Steinhöfel am 30. Juli beim Bundesamt für Justiz, Facebook wegen Verstoßes gegen § 4 Absatz 1 Nummer 7 und § 5 Absatz 1 NetzDG gemäß § 170 Absatz 2 Satz 1, 152 Absatz 2 der Strafprozessordnung (StPO) in Verbindung mit § 46 Absatz 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) mit einer Geldbuße in Höhe von 250.000 Euro zu bestrafen. Möglich gewesen wären dem NetzDG nach bis zu 5 Millionen Euro (vgl. Verstößt Facebook fortgesetzt gegen das NetzDG? Hohes Bußgeld beantragt).

Verweigerung widerspricht Gesetzesbegründung

Wie Steinhöfel Telepolis mitteilte, verweigert das Bundesamt jedoch die Verhängung dieses Bußgeldes mit der Begründung, Facebook habe ja "auf der Internetseite www.facebook.de unter dem Link 'Impressum/AGBINetzDG'" einen Zustellungsbevollmachtigten genannt, weil es dort wörtlich heißt: "[F]ür Zustellungen in Verfahren bzw. Gerichtsverfahren vor deutschen Gerichten nach § 5 (1) NetzDG: Freshfields Bruckhaus Deringer LLP (Berlin), Potsdamer Platz 1, 10785 Berlin". Dass sich diese Zustelladresse häufig nicht für Zustellungen eignet, scheint für die Behörde keine Rolle zu spielen, wenn sie schreibt: "Eine über die Benennung des inländischen Zustellungsbevollmachtigten gemäß § 5 NetzDG hinausgehende Pflicht ist in § 4 Absatz 1 Nummer 7 NetzDG nicht benannt und folglich nach dem NetzDG nicht bußgeldbewehrt."

"Wenn das richtig ist", so Steinhöfel gegenüber Telepolis, "kann Facebook auch ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, eine Zustelladresse in Entenhausen angeben". Die für die Anwendung der Vorschriften des NetzDG zuständige Behörde macht sich seiner Ansicht nach "lächerlich".

Tatsächlich heißt es in der Gesetzesbegründung zum § 5 NetzDG, es sei "dringend erforderlich, insbesondere zur gerichtlichen Abwehr von strafrechtlich relevanten Falschnachrichten eine schnelle und sichere Zustellungsvariante zur Verfügung zu haben, um den Betroffenen ein schnelles rechtliches Einschreiten zu ermöglichen". Als "Ziel der Regelung" nennt man dort deshalb, "dass die sozialen Netzwerke sozusagen einen 'Briefkasten' im Inland bereitstellen". Machen sie das wie Facebook, wird dieses Ziel eindeutig verfehlt.

Landgericht Frankfurt erlaubt eine Sperre für "zulässige Meinungsäußerung im Sinne des Artikel 5 des Grundgesetzes"

Auch in einem anderen Fall konnte der Social-Media-Konzern unlängst einen Erfolg für sich verbuchen: Das Landgericht Frankfurt am Main erlaubte ihm, einen Nutzer 30 Tage lang für einen Kommentar zu sperren, der eine "zulässige Meinungsäußerung im Sinne des Artikel 5 des Grundgesetzes" ist (Aktenzeichen 2-03 O 310/18). Als Grundlage der Ablehnung des Nutzer-Eilantrages gegen die Sperre sieht das Gericht den Schutz der Berufsfreiheit in Artikel 12 des Grundgesetzes.

Er erlaubt es seiner Ansicht nach, dass private Unternehmen Nutzungsbedingungen aufstellen, die mehr verbieten als der Staat. Die Entscheidung ist jedoch noch nicht rechtskräftig, weshalb in weiteren Verfahrensschritten unter anderem die Frage diskutiert werden könnte, inwieweit der Artikel 12 bei einen Quasi-Monopol wie Facebook mit seiner Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung tatsächlich richtig mit anderen Grundrechten abgewogen wurde.

Die Frankfurter Entscheidung widerspricht außerdem einer einstweiligen Verfügung des Oberlandesgerichts München vom 27. August, der zufolge sich das Meinungsfreiheitsgrundrecht über eine mittelbare Drittwirkung auch auf Facebook-Nutzer erstreckt, weshalb der Konzern gegen Vertragspflichten verstößt, wenn er Beiträge löscht, die der Artikel 5 des Grundgesetzes erlaubt (Aktenzeichen 18 W 1294/18).

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