Erdogan kündigt weitere militärische Invasionen in Syrien an

Die syrischen Kurden setzen propagandistisch auf ihre Kämpferinnen und die Gleichberechtigung als Abgrenzung zu den männerdominierten islamischen Gesellschaften. Bild: YPJ

Die "Zahl der Sicherheitszonen in Syrien" soll auch im Osten des Euphrat ausgebaut werden, sagt der türkische Präsident, der in Deutschland feierlich empfangen wird und weiter in Konfrontation mit den USA agiert

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Am Mittwoch warf US-Präsident Donald Trump im UN-Sicherheitsrat Russland und dem Iran vor, die "Schlächterei" von Bashar al-Assad zu ermöglichen. Allerdings dankte er auch dem Iran, Russland und Syrien "nach meiner sehr starken Forderung", die Offensive auf Idlib und die drei Millionen Menschen, die dort leben, "entscheidend verlangsamt" zu haben, um die 35.000 "Terroristen" zu ergreifen: "Holt die Terroristen, aber die Zurückhaltung, so hoffe ich, bleibt." Besonders hob er die Türkei hervor, die dabei geholfen habe, die Offensive zu stoppen.

Russland, Iran und die Türkei haben vereinbart, Idlib zu einer Art Gefängnis zu machen. Türkische Truppen bilden den ersten Ring, dahinter kommen russische Truppen. Syrien hat sich unter der Bedingung einverstanden erklärt, dass zwei wichtige Autobahnen, die bislang von den Milizen blockiert werden, von türkischen Truppen frei passierbar gemacht werden. Überdies soll die Türkei dafür sorgen, dass die islamistischen HTS-Kämpfer, ursprünglich al-Nusra, isoliert werden, obgleich es ein enges, wenn auch wechselndes Geflecht der bewaffneten Gruppen in Idlib gab und gibt.

Wie die Vereinbarung umgesetzt werden kann, wenn die Dschihadisten sich nicht der türkischen Allianz der Nationalen Befreiungsfront (NLF) zumindest pro forma anschließen, ist die Frage. Wenn die Türkei mit Idlib ähnlich wie mit dem von türkischen Truppen und Milizen besetzten Gebieten Afrin und die Region um Al-Bab und Dscharablus verfährt, dann dürfte ein Konflikt mit Damaskus schwelen. Zwar versicherte der türkische Präsident Erdogan, dass die Türkei die besetzten Gebiete nur stabilisieren will, aber es werden Verwaltungsstrukturen aufgebaut und neben der Vertreibung der Kurden andere Gruppen, etwa die islamistischen Kämpfer, die aus anderen syrischen Regionen abziehen mussten, angesiedelt.

Dass Erdogan nicht im Sinne amerikanischer Interessen handelt, aber auch nicht russischen Interessen gehorcht, machte er auch in New York vor seinem Besuch in Deutschland deutlich. Am Sonntag hatte er auf Versammlungen türkisch-amerikanischer Gruppen erklärt, dass die Türkei nicht nur nach Manbidsch, sondern auch östlich des Euphrat in die von Kurden kontrollierten Gebiete vorrücken könnte. Das wäre aber eine Offensive auch gegen die USA, die die syrischen Kurden bzw. die YPG/SDF unterstützen.

Sie dienen den USA als Bodentruppen, um jetzt gegen die verbliebenen Rückzugsgebiete des IS vorzugehen und den amerikanischen Einfluss auf Syrien zu sichern. In Manbidsch gestand Washington Ankara nur gemeinsame Patrouillen zu. Erdogan kündigte an, dass die Türkei "die Zahl der Sicherheitszonen in Syrien" ausbauen werde, was auch den Osten des Euphrat betreffe. Man werde im Osten des Euphrat ähnlich wie bei den Operationen Schutzschild Euphrat und Ölzweig vorgehen.

Truppenkonzentrationen an syrischer Grenze

Al-Monitor ist der Meinung, dass türkische Truppen zuerst Richtung Tell Abyad an der türkischen Grenze vorstoßen könnten, das zwischen Kobane und Ras al-Ayn liegt. In Tell Abyad, zunächst ab 2012 von islamistischen Gruppen kontrolliert, ab 2014 vom Islamischen Staat und schließlich seit 2015 von den Kurden, leben angeblich mehr Araber als Kurden. Ähnlich leicht sei die auch an der türkischen Grenze liegende Stadt Ras al-Ayn einzunehmen, wo allerdings die kurdische Bevölkerung die arabische überwiegt.

Erdogan hat immer die syrische Kurden als Bedrohung der Türkei bezeichnet, sie mit der PKK identifiziert und als Terroristen stärker bekämpft als den Islamischen Staat. Ähnlich wie er mit dem Einmarsch in Dscharabulus und Al-Bab verhindern wollte, dass ein durchgehendes kurdisches Territorium an der Grenze zur Türkei entsteht, während die Türkei die Präsenz des IS dort duldete, wahrscheinlich auch unterstützte, will man nun nach Afrin offenbar zumindest die syrischen Gebiete unter Kontrolle bringen, die an die Türkei grenzen und von den Kurden verwaltet werden.

Erdogan erklärte in New York, dass die Türkei Dscharablus, al-Bab und Afrin eingenommen habe, um die Region "nicht zu einem Terrorkorridor" werden zu lassen. Direkt werden die USA kritisiert, "unsere strategischen Partner" hätten den Kurden 18.000 Lastwagenladungen an Waffen und Munition geliefert, dazu kämen 3000 Transportflugzeuge. Das sind vermutlich Fantasiezahlen.

Angeblich, so berichtet Takvim, findet bereits eine Truppenkonzentration an der syrischen Grenze statt. Die Offensive sei am Laufen, erste Ziele seien Tell Abyad, Kobane, Qamishli und Ras al-Ayn. Ein Angriff auf Kobane, die Stadt, die zum Symbol des von den USA unterstützten Kampfs der Kurden gegen den IS geworden ist, wäre ein Affront. Ob die Türkei dabei noch auch Russland zählen könnte, ist fraglich. Moskau hat die Besetzung von Afrin gebilligt, um andere Gebiete von Milizen zu säubern und der Kontrolle der syrischen Regierung zu unterwerfen. Man wollte die Türkei als Partner gegen die USA halten, die Kurden Richtung Damaskus treiben und die Türkei benutzen, um die Astana-Verhandlungen fortzuführen, die Assads Herrschaft sichern sollen.

Ob Moskau, auch wenn es gegen die geopolitischen Interessen der USA geht, aber auch weitere türkische Invasionen goutieren würde, ist nicht klar, da damit Damaskus, aber auch Russlands Einfluss geschwächt würden. Russlands Regierung setzt allerdings auf die Integrität Syriens, weswegen die kurdischen Unabhängigkeitsbestrebungen auch nicht ins Konzept eines vereinten Syriens unter der Kontrolle von Damaskus passen. Genauso wenig kann Moskau ein Ausbau der türkischen Kontrolle in Syrien gefallen, schließlich funktioniert die Zusammenarbeit mit dem Nato-Mitglied Türkei nur auf höchst fragile Weise, da Erdogan versucht, seine Interessen im Ausspielen der Interessen von Russland und den USA durchzusetzen.

Fehim Tastekin von al-Monitor glaubt nicht, dass die Türkei ohne explizite Duldung der USA in die kurdischen Gebiete Syriens einmarschiert, sondern die Truppenkonzentrationen nur eine Abschreckung darstellen sollen. Aber bislang hat die Türkei auch ungehindert in Syrien interveniert und hat sich dort festgesetzt, ähnlich wie man im Irak verfährt. In Ankara könnte man durchaus meinen, auch weiterhin frei zwischen dem russisch-amerikanischen Konflikt handeln zu können.

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