Abseits der Tränen

Das Kapitol, der Sitz des Senats. Bild: TP

Die Senatsanhörung von Ford und Kavanaugh wird zur Emotionalsein-Olympiade

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Wer dachte, dass die Darstellung von Politik und "Wahrheitsfindung" in Serien wie House of Cards, Ozark oder den Simpsons an der Realität vorbeigeht, der musste sich gestern von eben dieser eines Besseren belehren lassen: Bei der Anhörung des Supreme-Court-Kandidaten Brett Kavanaugh (vgl. Supreme Court: Trump nominiert irischstämmigen Katholiken) und der Psychologieprofessorin Christine Blasey Ford, die ihm einen sexuellen Übergriff vorwirft, zeigte sich, dass die Serien zwar vielleicht manchmal übertreiben, aber den Kern eines Problems durchaus treffen.

In beiden Aussagen - nein, besser: Auftritten - ging es nämlich vor allem um öffentlich zur Schau gestellte Emotionen. Vielleicht waren sie echt, vielleicht aber auch nicht, und Kavanaugh kämpfte auch deshalb mit Tränen, weil er vorher einsah, dass er in den USA des Jahres 2018 nicht anders gegen eine an den Universitäten entstandene Geistesmode ankommt, deren Vertreter mit ihrer Forderung, man müsse immer denen glauben, die behaupten, ein Opfer zu sein, im Grunde die Abschaffung des Rechtsstaats fordern.

Merkwürdigkeiten

Abseits der Tränen und Emotionen wirkt einiges an den Vorwürfen gegen Kavanaugh zumindest merkwürdig: Zum Beispiel die Tatsache, dass die oppositionellen Demokraten mindestens seit Juli von Fords Behauptungen wussten, sie aber erst zu einem Zeitpunkt einsetzten, zu dem sie hoffen konnten, dass sie die Ernennung eines neuen Supreme-Court-Richters bis hinter die Halbzeitwahlen am 6. November hinausschieben und dann mit eventuell günstigeren Mehrheitsverhältnissen einen ihnen genehmeren Kandidaten fordern können.

Mindestens ebenso seltsam erscheint angesichts ihrer inzwischen bekannten Geschichte als Vielfliegerin Fords Vorbringen, sie habe Flugangst und könne deshalb nicht zu einem Aussagetermin nach Washington kommen. In ihren Ausführungen dazu, wem sie angeblich von dem Vorfall erzählte, gibt es Widersprüche. Offen bleibt, warum sie bei ihrem Lügendetektortest im August das Wort "früh" in der Zeitangabe frühe 1980er Jahre strich, wenn sie sich später angeblich genau erinnern konnte, dass der Vorfall 1982 geschah, und warum keiner der von ihr genannten Zeugen ihre Erinnerungen an die Party bestätigen konnte, auf der der Vorfall passiert sein soll.

Bier und Furzwitze

Der politische Eifer, mit der sie in der Vergangenheit gegen Trump und die Republikaner opponierte, lässt es nicht ausgeschlossen erscheinen, dass bei ihr auch ein gewisser - bewusster oder unbewusster - Belastungseifer vorliegt. Andererseits gibt es an US-Bildungseinrichtungen tatsächlich eine Jock-Subkultur, in deren Rahmen erwiesenermaßen sexuelle Übergriffe geschahen (vgl. Duke-Universität hält Seminare zu "toxischer Maskulinität" ab).

Ein Indiz dafür, das Kavanaugh ihr angehörte, sehen Politiker der demokratischen Partei darin, dass er damals viel Bier trank und Furzwitze machte. Ob ihnen diese Konstruktion nutzt, wird sich zeigen: In Sozialen Medien schien sie gestern eher eine Solidarisierungswelle mit Kavanaugh zu erzeugen, weil es anscheinend nicht wenige Amerikaner gibt, die das mit 17 Jahren ebenfalls machten.

Diese Stimmung scheint auch Donald Trump wahrgenommen zu haben: Er stellte sich nach Kavanaughs Aussage wieder deutlich fester hinter seinen Kandidaten, als er das vorher gemacht hatte. In diesem Zusammenhang verwies er auch darauf, dass er im Wahlkampf selbst Missbrauchsvorwürfen ausgesetzt gewesen sei, die sich als gegenstandslos erwiesen hätten. Würde er einen anderen Kandidaten als Kavanaugh vorschlagen, kämen die Demokraten seiner Meinung nach erneut mit solchen Vorwürfen an.

Dass sich gestern auch der Trump-Gegner Lindsey Graham öffentlich auf Kavanaughs Seite schlug, deutet darauf hin, dass der Justizausschuss des Senats den Kandidaten heute mit republikanischer Mehrheit absegnen könnte. Macht er das, ist am Dienstag das Senatsplenum an der Reihe.

Stormy-Daniels-Anwalt fordert FBI-Untersuchung

Nach dem Bekanntwerden von Fords Anschuldigungen meldeten sich beim US-Senat noch zwei weitere Frauen, die behaupten, Kavanaugh habe sie sexuell belästigt: Deborah Ramirez, die mit ihm in Yale studierte und behauptet, der Supreme-Court-Richter-Kandidat habe ihr damals seinen Penis ins Gesicht gedrückt, und Julie Swetnick, die glaubt, sie haben ihn gesehen, wie er zusammen mit einem Freund vor einer Tür zu einem Zimmer anstand, in dem eine Gruppenvergewaltigung stattgefunden haben soll. Michael Avenatti der Rechtsanwalt des mit Trump in einen Rechtsstreit verwickelten Ex-Pornostars Stormy Daniels (vgl. FBI-Durchsuchung bei Trumps Anwalt), fordert deshalb, Kavanaugh solle das FBI dazu auffordern, diese Vorwürfe zu untersuchen.

Kavanaugh bestritt auch diese Vorwürfe und meinte, er habe "während der Schulzeit und viele Jahre danach" keinen Geschlechtsverkehr "oder auch nur so etwas Ähnliches wie Geschlechtsverkehr" - eine Anspielung auf Bill Clintons Wahrheitsverdrehung in der Lewinsky-Affäre, bei der der Kandidat vor 20 Jahren auf Seiten der Ermittler mitwirkte.

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