Umkämpftes Mittelmeer

Foto: sea-eye.org

Private Rettungsorganisationen werden an die Kette gelegt. Mitten im Krimi um das Schiff "Aquarius" startet Frontex die Überwachung mit Drohnen und will die Koordinaten von Flüchtlingsbooten an Libyen geben

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Die libysche Küstenwache wird zum Türsteher der Europäischen Union aufgebaut. Bald soll die Truppe Aufklärungsdaten von Frontex erhalten, um Boote mit Geflüchteten möglichst noch in Küstengewässern zu stoppen. Die Informationen könnten von Langstreckendrohnen stammen, mit denen die Grenzagentur seit gestern das Mittelmeer überwacht.

Zunächst handelt es sich dabei um ein Pilotprojekt zur Nutzung von zwei militärische Drohnen aus Italien und Israel, ab 2019 könnte der Regelbetrieb beginnen. So jedenfalls steht es in einem früheren Entwurf des Arbeitsprogramms für die EU-Satellitenüberwachung.

Auch im Rahmen der EU-Militärmission wurden bereits große Drohnen des italienischen Militärs eingesetzt. Frontex hat im Mittelmeer außerdem einen "Mehrzweck-Flugdienst" gestartet. Aufnahmen von Flugzeugen werden in Echtzeit in ein Lagezentrum nach Warschau gestreamt.

Demnächst will die Agentur Fesselballons zur "Grenzraumüberwachung aus der Luft" testen. Frontex rechnet deshalb mit deutlich mehr Lageinformationen über Boote von Geflüchteten und will die Koordinaten jetzt an die libysche Küstenwache weitergeben. Bevor die Agentur hierfür wie gewünscht grünes Licht vom Rat und der Kommission erhält, müssten jedoch mehrere Verordnungen geändert werden.

Europäische Kommission bezahlt Leitstellen in Libyen

Es ist unklar, wie die Frontex-Informationen Libyen offiziell erreichen sollen, bislang existiert keine zuverlässige Infrastruktur für die Kommunikation. Für 46 Millionen Euro richtet das italienische Innenministerium deshalb zwei Lagezentren für Sicherheitsbehörden in Tripolis ein.

Das Geld kommt von der Europäischen Kommission und ist unter anderem für eine beim Militär angesiedelte Rettungsleitstelle gedacht, mit der die Küstenwache eine erst kürzlich ausgerufene libysche Seenotrettungszone beaufsichtigen soll. Unterstützung kommt von der Internationalen Organisation für Migration (IOM), die der Küstenwache Tablet-Computer zur Verwaltung zurückgeführter Migranten überlässt.

Zwar soll die maritime Seenotrettungs-Leitstelle erst in zwei Jahren fertig gestellt sein. Trotzdem dient sie schon jetzt als Kontaktstelle für italienische Behörden, um Libyens Küstenwache mit der Koordinierung von Rettungsmissionen zu beauftragen. Die Truppe hat in manchen Monaten dieses Jahres bereits die Hälfte aller Rettungseinsätze auf Hoher See durchgeführt und die an Bord genommenen Migranten nach Libyen zurückgebracht. Für die privaten Rettungsorganisationen war die libysche Küstenwache hingegen meist unerreichbar.

Italienische und libysche Behörden arbeiten schon seit geraumer Zeit in einem gemeinsamen Kontrollzentrum in Rom zusammen. Unter den Beteiligten sind die libysche Küstenwache, die "Abteilung gegen illegale Migration" des Innenministeriums sowie Geheimdienste aus Libyen und Italien. Libyen ist außerdem in das europäische Überwachungssystem EUROSUR eingebunden. Eigentlich dürfen dort nur EU-Mitgliedstaaten teilnehmen, der Anschluss wird deshalb über ein regionales Netzwerk für das Mittelmeer realisiert.

Kriminalisierung privater Retter

Während die Kooperation mit Libyen technisch und organisatorisch vorangetrieben wird, legen die EU-Mitgliedstaaten private Seenotretter an die Kette. Seit der Beschlagnahme der "Iuventa" des deutschen Vereins Jugend Rettet e.V. im August 2017 und Ermittlungen gegen Mitglieder der Crew werden alle Nichtregierungsorganisationen, die mit Schiffen und Aufklärungsflugzeugen im Mittelmeer unterwegs sind, juristisch verfolgt.

Am 2. Juli 2018 wurde die "Sea Watch 3" von Sea-Watch e.V. im Hafen von Valletta/ Malta festgesetzt, nachdem die Hafenbehörde zur Untersuchung des niederländischen Flaggenstatus die Ausfahrt verweigert. Eine Registrierung in Staaten wie den Niederlanden ist nötig wegen des restriktiven deutschen Schiffsregisters.

Private Rettungsorganisationen können ihre Schiffe in Deutschland nur als Sportboot oder als kommerzielle Schiffsklasse zulassen, dies gilt beispielsweise für Fähren oder Passagierschiffe. Zuletzt hatte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bestätigt, dass es in Deutschland keine Möglichkeit zur Registrierung von Seenotrettungsschiffen gibt.

Auch das Schiff "Sea Watch 2", das mittlerweile vom deutschen Verein Mission Lifeline übernommen und in "Lifeline" umbenannt wurde, ist in Valletta/ Malta festgesetzt. Der Kapitän Claus-Peter Reisch hatte sich geweigert, Geflüchtete an die sogenannte libysche Küstenwache zu übergeben. Gegen Reisch wird jetzt in Malta wegen der angeblich fragwürdigen Registrierung des Schiffes in den Niederlanden verhandelt.

Schließlich ist auch der deutsche Sea-Eye e.V. von der Kriminalisierung betroffen. Der Verein betrieb unter niederländischer Flagge die "Seefuchs", die ebenfalls in Malta am Auslaufen gehindert wird.

Repressalien gelten auch Suchflugzeugen, die von den Organisationen seit letztem Jahr im Mittelmeer genutzt werden. Mit der Schweizer humanitären Piloteninitiative (HPI) betreibt Sea-Watch e.V. die "Moon Bird". Das kleine Aufklärungsflugzeug wurde seit Mai mehrfach am Fliegen gehindert, da angeblich die Einhaltung von Verwaltungsvorschriften überprüft werden musste.

Im Juli entschieden die maltesischen Behörden, dass die "Moon Bird" nur noch starten darf, wenn sie zur Hilfe bei der Seenotrettung von einem Staat angefordert wurde. Eine weitere Organisation, Pilotes Volontaires, betreibt mit Sea-Watch e.V. von Lampedusa aus die "Colibri". Seit dieser Woche hat das Suchflugzeug die Seenotrettungszone jedoch für Wartungsarbeiten verlassen.

Absage vom Vatikan

Als letztes privates Schiff ist derzeit die "Aquarius" von SOS Mediterranée im zentralen Mittelmeer unterwegs. Die medizinische Versorgung sowie das medizinische Personal stellt dabei die Organisation Ärzte ohne Grenzen. Nach der Rettung von 58 Menschen von einem Schlauchboot dümpelt die "Aquarius" vor Malta und wartet auf Anweisungen der Behörden, wo die Geretteten von Bord gehen sollen.

Auch SOS Mediterranée hat Ärger mit dem Flaggenstatus ihres Schiffes. Nachdem zunächst Gibraltar die Flagge wegen der Nutzung des Schiffes zur Seenotrettung entzog, wich die Organisation nach Panama aus. Vermutlich auf Druck der Europäischen Union will jetzt auch das mittelamerikanische Land der "Aquarius" die Flagge wegnehmen. Dies wäre aber erst möglich, nachdem das Schiff einen Hafen angelaufen hat. Dadurch wird das Warten vor der maltesischen Küste zum Krimi.

Das Ende für die private Seenotrettung ist jedenfalls noch nicht besiegelt. Die britische Organisation Refugee Rescue betreibt eine Seenotrettungsmission in Lesbos/ Griechenland. Sie nutzt dafür das Schiff "Mo Chara". Die baskische Organisation Maydayterraneo sammelt Spenden für ein Schiff zum Betrieb im zentralen Mittelmeer. Die spanische Organisation Proactiva Open Arms, die auf Hoher See vor Libyen mit den Schiffen "Open Arms" und "Astral" kreuzte, will nach der Verfolgung durch die italienische Justiz jetzt in der Straße von Gibraltar aktiv werden.

Womöglich gelingt es auch den mit juristischen Spitzfindigkeiten verfolgten Nichtregierungsorganisationen, einen anderen Staat für die Registrierung ihrer Schiffe zu finden. Ein solches Schiffsregister wird seit 1951 unter anderem beim Vatikan geführt.

Seit dessen Einrichtung sind laut der katholischen Presseagentur keine Schiffe bekannt, die je unter vatikanischer Flagge fuhren. Einen Antrag für die "Lifeline" hat der Kirchenstaat jetzt abgelehnt, weil das Schiff "keine tatsächliche Beziehung zum Vatikanstaat" habe. Man wolle aber für die Besatzung beten.