Mazedonien versinkt in eine neue Phase der politischen Krise

Boykott-Camp in Skopje. Bild: F. Stier

Mazedonier lassen das Referendum zur Umbennung in Nordmazedonen scheitern und machen vorgezogene Parlamentswahlen wohl unvermeidlich

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Wie ein Hürdenläufer hat Mazedoniens Ministerpräsident Zoran Zaev (Machtwechsel in Mazedonien) in den vergangenen eineinhalb Jahren Hindernisse für die euroatlantische Integration seines Landes überwunden. Im Frühjahr 2017 machte er den Parteien der albanischen Minderheit weitreichende Zugeständnisse, um sie als Koalitionspartner für seine Sozialdemokratische Union Mazedoniens (SDSM) zu gewinnen.

Die albanische Sprache werde Landessprache in ganz Mazedonien, versprach er, zudem sollten die rund ein Viertel der Bevölkerung stellenden Albaner in staatlichen Symbolen wie Hymne und Wappen stärker repräsentiert werden. Mazedonische Nationalisten verurteilten Zaevs Politik als Gefährdung der nationalen Einheit und Landesverrat.

Albanerviertel in Skopje. Bild: F. Stier

Im August 2017 unterzeichnete Regierungschef Zaev dann mit seinem bulgarischen Amtskollegen Boiko Borissov einen Freundschafts- und Nachbarschaftsvertrag (Bulgaren und Mazedonier - Freunde und gute Nachbarn per Vertrag). Zuvor hatten die Bulgaren die lange geplante und immer wieder verzögerte Vereinbarung zur Bedingung gemacht für ihre Unterstützung von Mazedoniens Beitrittsbemühungen zur NATO und zur Europäischen Union (EU).

In der Konsequenz des Vertrags nimmt eine bilaterale Expertenkommission nun eine Neubewertung gemeinsamer historischer Ereignisse vor, um Streitigkeiten über Geschichtsinterpretationen beizulegen. Auch dies prangerte die wenige Monate zuvor in die Opposition gegangene nationalistische "Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation - Demokratische Partei für Mazedonische Nationale Einheit" (VMRO-DPMNE) als Ausverkauf nationaler Interessen Mazedoniens an.

Am Mazedonien mit Griechenland verbindenden Prespa-See gelang Zoran Zaev am 17. Juni 2018 dann sein größter Coup; er einigte sich mit dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras auf die Beilegung des jahrzehntealten Namensstreits. Seit Mazedoniens Unabhängigkeit von Jugoslawien Anfang der 1990er bestreitet Griechenland unter Verweis auf seine nordgriechische Region Makedonija die Legitimität des verfassungsmäßigen Staatsnamens "Republik Mazedonien". Bei internationalen Organisationen wird das Balkanland deshalb als "Former Yugoslavian Republic of Macedonia" (FYROM) geführt.

Im Prespa-Vertrag erklärte sich Mazedonien nun zu seiner Umbenennung in Nord-Mazedonien bereit. Griechenland versprach als Gegenleistung dafür, seine fast drei Jahrzehnte währende Blockade von Mazedoniens Beitrittsaspirationen zur NATO und zur EU aufzugeben.

Ohne dass es der Prespa-Vertrag zwingend erfordert hätte, wollte sich Zoran Zaev in einer Volksbefragung der Zustimmung des mazedonischen Volkes zu diesen Vereinbarungen vergewissern. So waren am Sonntag, dem 30. September 2018, 1,8 Millionen stimmberechtigte Mazedonier aufgerufen, die Frage zu beantworten, "Sind Sie für den Beitritt zur NATO und EU durch die Anerkennung der mazedonisch-griechischen Vereinbarungen?"

Regierungschef verkauft Niederlage als "Erfolg der Demokratie"

Knapp zwei Drittel von ihnen versagten sich aber dieser Wahl, nur knapp 37% der Stimmberechtigten bzw. gut 666 000 Mazedonier, gaben ihre Stimme ab. Das Referendum verfehlte das für seine Gültigkeit erforderliche Quorum von 50% plus einer Stimme deutlich. Damit ist Zoran Zaev auf seinem Hindernislauf über die wichtigste Hürde gestolpert, sein Land nach einer achtzehnmonatigen Phase der Stabilisierung wieder in die politische Krise gestürzt.

Gegner der Umbenennung sprechen von Genozid. Bild: F. Stier

Am Abend nach der Schließung der Stimmlokale geschah indes etwas Unerwartetes und Unerhörtes. Der klar unterlegene Zaev präsentierte sich seinen Anhängern als strahlender Sieger und erklärte das gescheiterte Referendum zum "Erfolg der Demokratie". Zwar sei das Quorum nicht erreicht worden, räumte Zaev ein, von den Abstimmenden hätten aber über 90% die gestellte Frage bejaht und ihre Zustimmung zum Vertrag von Prespa und ihr Bekennntnis zu NATO und EU kundgetan. Zudem habe das Referendum keinen rechtlich bindenden, sondern konsultativen Charakter gehabt. Das mazedonische Parlament solle nun zügig den politischen Willen der 600.000 Bürger in "politisches Handeln" umsetzen, die für Mazedoniens euroatlantische Perspektive unter dem Namen Nord-Mazedonien gestimmt hätten.

In der mazedonischen Sobranie (Versammlung) kommt Zaevs Koalition aus SDSM und einigen Albanerparteien lediglich auf 71 Sitze. Für die Verabschiedung der vom Prespa-Vertrag geforderten Verfassungsänderungen incl. Umbenennung des Landes in Nord-Mazedonien ist aber eine Zwei/Drittel-Mehrheit von achtzig Mandaten nötig. Er werde Gespräche mit der Opposition führen, um die nötige Parlamentsmehrheit zu bekommen, kündigte Zoran Zaev am Abend des Referendums an.

Sollte dies nicht gelingen, strebe seine Partei vorgezogene Neuwahlen an, um mit einer größeren parlamentarischen Vertretung die Umsetzung des Prespa-Vertrags fortzusetzen. Erst wenn das mazedonische Parlament die Verfassungsänderungen beschlossen hat, kann die Ratifizierung des Vertrags von Prespa durch die griechische Volksvertretung Mazedoniens Weg zur euroatlantischen Integration freimachen.

Oppositionsführer spricht von Wahlbetrug

Seit Dezember 2017 ist der Universitätsprofessor Hristian Mitskovski Vorsitzender der VMRO-DPMNE und damit Oppositionsführer. Er hat das schwere Erbe seines Vorgängers Nikola Gruevski angetreten, der Mazedonien gut zehn Jahre in autokratischer Weise regiert hat. Gruevski knebelte in seinem Cäsarenwahn die Medien des Landes und verwandelte die Hauptstadt Skopje in eine pseudo-historistische Puppenstube. Aufgrund seiner ultranationalistischer Politik gab es im mazedonisch-griechischen Namensstreit über Jahre hinweg keine Entwicklung. Als Quittung für sein Regime hat sich Nikola Gruevski eine erstinstanzliche Verurteilung zu zwei Jahren Haft wegen Korruption eingehandelt.

"Ich verantworte nicht die Politik von Nikola Gruevski, war nie Mitglied seiner Regierung", geht VMRO-Chef Mitskovski am 2. Oktober 2018 in einem Gespräch mit einer Gruppe deutscher Journalisten leicht auf Distanz zu seinem Amtsvorgänger. Der Sitzungssaal im obersten Stock des VMRO-Parteigebäudes ist ganz im Stile Gruevskis gestaltet, riesige Kristalllüster hängen von der Decke, an den Wänden kitschige Landschaftsmalereien und Historienschinken.

Die Vorgängerregierung hat monumentalen Kitsch hinterlassen. Bild: F. Stier

Im Vorfeld des Referendums hat sich Mitskovski dafür kritisieren lassen müssen, dass er als VMRO-Chef keine eindeutige Position zur Volksabstimmung vertrat. Während der radikale Kern der Nationalisten unmissverständlich für den Boykott des Referendums agitierte, stellte es Mitskovski den VMRO-Anhängern frei, nach ihrem Gewissen zu entscheiden, ob sie an ihr teilnehmen wollten. An seiner persönlichen Ablehnung von Mazedoniens Umbenennung in Nord-Mazedonien und anderer Bestimmungen des Prespa-Vertrags ließ er indes keinen Zweifel.

"In persönlichen Gesprächen habe ich Ministerpräsident Zaev meine Kritik an der Formulierung der Frage des Referendums mitgeteilt und konstruktive Gegenvorschläge unterbreitet. Zaev hat diese ignoriert", erzählt Hristian Miskovski. Gemäß internationalen Gepflogenheiten sollten Referenden jeweils nur eine Frage zur Beantwortung mit ja oder nein stellen, führt er aus, die Volksabstimmung vom Sontag habe den mazedonischen Bürger aber gleich zu drei Themen befragt, seiner Haltung zur NATO, zur EU und zur Umbenennung seines Heimatlandes. Dass die große Mehrheit der Mazedonier ihre Antwort darauf verweigert hat, begrüßt Mitskovski. "Zoran Zaev hat während der Kampagne zum Referendum die Umbenennung stets mit großer Euphorie vertreten, für die meisten Bürger handelt es sich bei ihr aber um eine ungerechte Voraussetzung für unseren Beitritt zur NATO und zur EU."

Mitskovski signalisiert keine Bereitschaft, die Ablehnung seiner Partei zum Prespa-Vertrag aufzugeben. Stattdessen behauptet er, beim Referendum sei es in mehreren Wahlkreisen nachweislich zu Wahlbetrug gekommen. Informationen seiner Mitarbeiter zufolge sollen "mindestens 50.000 Stimmen unrechtmäßig in Wahlurnen gesteckt" worden sein, um die Wahlbeteiligung und die Zustimmung zum Referendum zu erhöhen. "Daten der Staatlichen Wahlkommission (DIK) entnehmen wir, dass die Wahlbeteiligung in mehreren Orten zwischen 17 Uhr und dem Schließen der Wahllokale um 19 Uhr sprunghaft angestiegen ist. In manchen Wahllokalen müsste alle acht Sekunden ein Bürger seine Stimme abgegeben haben, was unmöglich ist. Wir werden dies der internationalen Gemeinschaft zur Kenntnis geben und fordern, dass eine unabhängige Institution den Verdacht auf Wahlmanipulation überprüft. Außerdem bestehen wir auf einer parlamentarischen Untersuchungskommission", kündigt Miskovski an.

In den kommenden zehn Tagen werde sich zeigen, ob die Regierung Zaev die nötigen Parlamentsstimmen für die vom Prespa-Vertrag geforderten Verfassungsänderungen erhalte, erwartet Hristian Mitskovski. Falls nicht, könne es Ende November vorgezogene Parlamentswahlen geben.

Neuwahlen sind wahrscheinlich

Doch schneller als noch am Abend des Referendums und am Tag danach erwartet muss Regierungschef Zoran Zaev inzwischen wohl eingesehen haben, dass es eine unüberwindbare Hürde sein wird, die Parlamentsmehrheit für die Verfassungsänderungen zu bekommen. Zumindest verbreitete das Online-Medium PlusInfo am Abend des 2. Oktober 2018 unter Berufung auf einen "hohen Funktionär der Regierung", die Meldung: "Es wird kein Treffen zwischen Zaev und Mitskovski geben, die Regierung geht zu Neuwahlen."

Damit würden sich auch die Hoffnungen von EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn und EU-Außenbeauftragter Federica Mogherini zerschlagen. In einer gemeinsamen Erklärung werteten beide unisono mit Zoran Zaev die "überwältigende Mehrheit" der abgegebenen Ja-Stimmen als Aufforderung an das Parlament, die "nächsten Schritte für die Umsetzung der Namens-Vereinbarung durch Annahme der Verfassungsänderungen" zu unternehmen. Dies wird voraussichtlich nicht passieren, wahrscheinlicher ist, dass Mazedonien in eine neue Phase seiner jahrzehntelangen politischen Krise eintritt.