Putin in Indien - Neuordnung der Machtverhältnisse

Indien und Russland haben einiges gemeinsam - 1958 gab es im indischen Kerala die erste frei gewählte kommunistische Regierung der Erde. Foto: Gilbert Kolonko

Dass Indien mit Russland den Vertrag über das Raketenabwehrsystem S-400 abgeschlossen hat - trotz Trumps Drohungen - überrascht nicht: Der Bau des zweiten Atomkraftwerkes in Bangladesch verbindet

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Am Donnerstag herrschte in Indiens Hauptstadt Neu-Delhi Sonnenschein auf allen Ebenen. Narendra Modi und Vladimir Putin drückten sich bei ihrem Treffen herzlich. Die Sonne lachte und selbst die vielen Soldaten, die man in der Hauptstadt antraf, waren entspannt und freundlich. Der Marsch tausender Bauern nach Neu-Delhi war aus den Schlagzeilen gerückt. Selbst die Feinstaubwerte hielten sich mit 160 Mikrogramm (PM 2,5) pro Kubikmeter Luft merklich zurück. Auch, dass der Milchtee zur Zeit noch weniger Milch enthält, weil die Benzinkosten wegen des hohen Ölpreises in die Höhe schießen, war vergessen.

Am Ende des Treffens hatten Modi und Putin einen Vertrag über 5,4 Milliarden US Dollar abgeschlossen, der die Lieferung des Raketenabwehrsystems Triumf bis zum Jahr 2020 beinhaltet. Dabei verzichtete Indien sogar auf eine Rücktrittsklausel, die bei solchen Verträgen üblich ist. Dazu wurde eine Zusammenarbeit im Bereich Weltraumtechnologie vereinbart. Eine indische Überwachungsstation soll in der russischen Stadt Nowosibirsk eröffnet werden. Ebenso wurde der Kauf von vier russischen Fregatten im Wert von 2 Milliarden US-Dollar in Aussicht gestellt. Außerdem will Indien rund 200 Allzweckhubschrauber im Wert von einer Milliarde US-Dollar erwerben.

Damit hat Neu-Delhi dieses Jahr den Drohungen der US-Regierung schon zum zweiten Mal getrotzt - im Juni hatte die indische Außenministerin Sushma Swaraj erklärt, dass sich ihr Land nicht an Sanktionen gegen den Iran beteiligen würde. Sie ließ den Worten Taten folgen: Seitdem hat Indien 75 Prozent weniger Rohöl in den Vereinigten Staaten gekauft und die Lücke mit iranischem Öl aufgefüllt.

Im letzten Jahr sah es noch so aus, dass Indien und die USA näher zusammenrücken würden, nachdem Washington in der Region nicht mehr auf Pakistan setzt - oder Pakistan jetzt auf China. Doch in Delhi scheint nicht vergessen zu sein, wie es vor 20 Jahren lief. Damals hatte die Clinton-Regierung erklärt, dass sie genug von den leeren Versprechungen Pakistans habe und nun verstärkt mit Indien zusammen arbeiten werde. Doch dann kam der 11. September 2001 und plötzlich war Pakistan wieder der bessere Partner im "Kampf gegen den Terror". Auch was Indiens Verhältnis zu China angeht, ist ein gewisser Abstand zu den USA hilfreich. Als Nachbarn und aufstrebende Wirtschaftsmächte haben Indien und China ein Interesse an einem guten Miteinander.

Indien kann darauf verzichten, ein Baustein der USA im Kampf gegen China zu sein. Zudem hat Peking den Erzfeind Indiens, Pakistan, zwar mit knapp 60 Milliarden US-Dollar in der Schuldenfalle - aber die machen trotzdem weiter, was sie wollen: So präsentierte Islamabad letzte Woche Saudi-Arabien als weiteren Partner für Chinas Seidenstraße durch Pakistan. Dazu erklärte Imran Khan, dass es mit dem Ausverkauf des Landes an Peking so nicht weiter ginge. Noch ein Argument mehr für Indien, sich nicht als Spielball der Vereinigten Staaten missbrauchen zu lassen und sich behutsam weiter China anzunähern.

Der aufstrebene Teil des Landes bleibt den meisten Indern verschlossen. Foto: Gilbert Kolonko

Zusammenarbeit beim Bau von Atomkraftwerken

Was das Verhältnis Delhi zu Moskau vertieft, sind weniger die Waffenverkäufe, als ihre Zusammenarbeit in Sachen Atomkraft. So wurde beim 24-Stunden-Besuch Putins in Neu-Delhi ebenfalls vereinbart, dass das russische Staatsunternehmen Rosatom im südindischen Kudankulam auch die Reaktoren 5 und 6 baut - aller Proteste der örtlichen Bevölkerung zum Trotz. Eine Gruppe indischer und europäischer Wissenschaftler um VT Padmanabhan wies schon vor sieben Jahren darauf hin, dass Rosatom beim Bau der Reaktoren in Kudankulam wohl veraltete Teile aus der Tschernobyl-Reihe benutzt hat. Dazu machten die Wissenschaftler auf etliche andere Probleme mit den Reaktoren in Kudankulam aufmerksam. Trotzdem stellte Modi beim Treffen mit Putin den Bau 10 weiterer russischer Reaktoren im Land in Aussicht.

Noch fragwürdiger ist die indisch-russische Kooperation beim Bau von Atomkraftwerken in Bangladesch. Im Februar hatte der indische Botschafter Pankaj Saran in Moskau einen Vertrag mit dem russischen Staatskonzern Rosatom unterzeichnet, der zwei Reaktoren in Bangladesch aufstellt. Doch liegt der Ort des Atomkraftwerks Ruppur auf einer Schwemmebene. Vor drei Jahren wurde die komplette Baustelle während des Monsuns überschwemmt.

In den heißen Monaten führt der Fluss Padma, der das Kühlwasser liefern soll, kaum Wasser, da Indien dem östlichen Nachbarn mit seinen Staudämmen das Wasser abdreht. Dazu weist Ruppur noch andere schwerwiegende Stadtortnachteile auf.

Trotzdem haben Russland, Indien und Bangladesch jetzt den Bau eines zweiten Atomkraftwerkes vereinbart. Es soll ausgerechnet auf der Insel Char Megha am Meghna Fluss gebaut werden, wo Bangladeschs Nationalfisch, der Hilsa, laicht. Experten warnen, dass das warme, radioaktiv belastete Kühlwasser, das in den Fluss zurück geleitet wird, den Laich tötet. Dabei hatte die Regierung Bangladeschs die Laichgebiete des Hilsa im Süden des Landes erst dieses Jahr zum Schutzgebiet erklärt. So ist zu erwarten, dass sich die Hasina-Regierung von allen zukünftigen Schäden per Gesetz freisprechen wird - wie schon geschehen beim Bau des Atomkraftwerks in Ruppur.

Auch am Bau des Kohlekraftwerks Rampal in der Schutzone der Mangrovenwälder Bangladeschs ist Indien beteiligt. Foto: Gilbert Kolonko

Stillstand bei Erneuerbaren Energien

Ja, Indien und Russland haben in Delhi auch besonders ihre verstärkte Zusammenarbeit in Sachen erneuerbarer Energien betont, wie auch Narendra Modi andauernd hervor hebt, wie wichtig ihm das Thema ist. Doch eine Studie des regierungsnahen Think Tanks NITI Aayog zeigt etwas anderes: Im Jahr 2044 wird der Anteil der erneuerbaren Energien bei mageren 10 -15 Prozent liegen, der aus Kohle bei 42 - 48 Prozent. Zwar würde das einem Rückgang der Energiegewinnung aus Kohle im Ganzen um knapp 15 Prozent entsprechen, aber da Indiens Energieverbrauch steigt, wird auch der Verbrauch der Kohle bis zum Jahr 2037 zunehmen und sich damit nahezu verdoppeln.

So überrascht es auch nicht, dass Projekte wie der Solar Dome nicht vorankommen. Im Februar 2017 hatte Telepolis darüber berichtet, dass der indische Wissenschaftler S.P. Gon Chowdhury eine finnische Entwicklung so zugeschnitten hat, dass sie Millionen von materiell armen Menschen Licht in ihre fensterlosen Hütten bringen könnte. Doch bis jetzt sind nicht einmal 10.000 Solar Domes installiert worden.

Eine der besten Vereinbarungen des 24-Stunden-Besuchs von Vladimir Putin ist ein Abkommen über einen verstärkten Studentenaustausch beider Länder. Für Indiens junge Menschen sind die Vereinigten Staaten immer noch das gelobte Land. Dass die 3,1 Millionen Exil-Inder in den USA die ethnische Gruppe mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen bilden - knapp 100.000 Dollar pro Jahr - zeigt auch, dass es vor allem die geistige Elite Indiens ist, die sich in die Vereinigten Staaten aufmacht. So kann Russland und Indien nichts Besseres passieren, als dass ihre jungen Menschen verstärkt zusammenkommen: Wenn russische Pragmatik und indischer Enthusiasmus sich vereinen, kann das für neue Impulse sorgen.

Die Verbreitung des Solar Domes von Gon Chowdhury kommt einfach nicht voran. Foto: Gilbert Kolonko

Laut dem World Nuclear Industry Status Report von 2017 wurden im Jahr 2016 10,5 Prozent der weltweiten Energie aus Atomkraftwerken gewonnen - 1999 waren es noch 17,6 Prozent. Russland braucht also dringend neue Impulse, damit es bald mehr zu bieten hat, als Waffen und Atomkraftwerke. Wie anfällig das Land in Sachen Öl- und Gasverkäufe ist, hat sich in den Jahren des Preisverfalles gezeigt.

Wer sich Modi und seine Verbindung zu den heimischen Konzernen anschaut, kann sich auch für Indien nur neues Denken wünschen: In Indien besaß das eine Prozent der Superreichen 2016 noch 58 Prozent des Gesamtvermögens, nun sind es 73 Prozent. Dass Indien zu einem Land geworden ist, das außenpolitisch endlich ernst genommen wird, scheint sich für den Großteil der Bevölkerung nicht auszuzahlen.

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